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Lesetipp: Wo bleibt die Pille für den Mann?

Lesetipp

Wo bleibt die Pille für den Mann?

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    Die Antibaby-Pille für die Frau ist seit den 1960er Jahren in Deutschland erhältlich. Für den Mann gibt es nach wie vor kein hormonelles Verhütungsmittel.
    Die Antibaby-Pille für die Frau ist seit den 1960er Jahren in Deutschland erhältlich. Für den Mann gibt es nach wie vor kein hormonelles Verhütungsmittel. Foto:  Andrea Warnecke, dpa (Symbolbild)

    Sechs Millionen Frauen in Deutschland nehmen die Antibabypille, um eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern. Dem gegenüber stehen sechs Millionen Männer, in deren Hand die Verhütung genauso liegt. Aber: Ein Äquivalent zur hormonellen Verhütung gibt es für sie nicht. Auch wenn das Thema Pille für den Mann immer wieder auftaucht. Auch wenn sich laut Umfragen verschiedener Meinungsforschungsinstitute mindestens jeder zweite Mann in Deutschland vorstellen könnte, eine solche zu nehmen.

    Woran liegt es also, dass die Pille für den Mann immer noch nicht erhältlich ist? Immerhin ist die Antibabypille für die Frau in Deutschland schon seit über 60 Jahren auf dem Markt. Stecken nur medizinische oder auch gesellschaftliche Gründe dahinter? Wie ist der Forschungsstand im Jahr 2022, und was muss geschehen, damit sie in den Handel kommt?

    In fünf Jahren könnte es ein Hormon-Gel zur Verhütung für den Mann geben

    Dass das potentielle Verhütungsmittel für den Mann gar nicht in Form einer Pille kommt, sondern, wenn überhaupt, in einer anderen Gestalt, weiß Prof. Dr. Michael Zitzmann von der Universität Münster. In der Vergangenheit habe man etwa an Spritzen und Pflastern geforscht, erläutert er. Zitzmann ist Androloge und beschäftigt sich seit 23 Jahren am Institut für Reproduktionsmedizin mit der umgangssprachlichen Pille für den Mann. Auch für die Weltgesundheitsorganisation hat er schon eine Studie dazu geleitet.

    Er erklärt: Zurzeit arbeitet die Forschung an einem Gel, das sich Männer täglich auf die Schultern reiben könnten. Und um das stehe es recht gut. Man befinde sich in Phase Drei A der klinischen Studie. Nach Phase drei könne man eine Zulassung beantragen. "In fünf Jahren könnte es soweit sein", prognostiziert der Mediziner. Er schiebt jedoch hinterher: "Das habe ich aber auch schon vor 20 Jahren vermutet." Woran scheitert der Durchbruch in der Forschung also immer wieder?

    Michael Zitzmann ist Professor an der Uni Münster und Facharzt unter anderem für Andrologie und Sexualmedizin.
    Michael Zitzmann ist Professor an der Uni Münster und Facharzt unter anderem für Andrologie und Sexualmedizin. Foto: Privat

    Ein Grund lag in der Vergangenheit in den Hormonen, die ein solches Verhütungsmittel enthält, und den damit verbundenen Nebenwirkungen. Die Pille für den Mann funktioniere durch die Wirkstoffkombination der Hormone Testosteron und Gestagen, erklärt Zitzmann. Die Hormone verhindern, das Spermien hergestellt werden. Ähnlich wie bei der Pille für die Frau: Hier kommt anstelle von Testosteron Östrogen zum Einsatz, das einen Eisprung verhindert. Das Testosteron ist übrigens der Grund, warum die Darreichungsform als Pille nicht in Frage kommt – es würde zu schnell in der Leber abgebaut.

    Wegen der Nebenwirkungen scheiterte die Pille für den Mann bisher

    Schon in den 1970er Jahren, nur zehn Jahre nach dem Verkaufsstart der Pille der Frau, kam laut Zitzmann die Idee "Pille für den Mann" erstmals auf. 1999 begann die Suche nach einem geeigneten Gestagen, 2006 einigte man sich auf eines. 2008 leitete Zitzmann selbst eine der bekanntesten und entscheidendsten Studien mit dem Ziel einer Antibaby-Spritze für den Mann. Die monatliche Spritze war laut Zitzmann vielversprechend, doch bei rund zehn bis 15 Prozent der Anwender traten Nebenwirkungen auf. Dazu zählten Stimmungsschwankungen, Libidostörungen und Gewichtszunahme. An sich nichts Neues bei Hormonpräparaten: Es handelt sich um die gleichen Nebenwirkungen wie bei der Pille für die Frau, bei dem gleichen Prozentsatz der Anwenderinnen.

    Aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation überwog das gesundheitliche Risiko den Nutzen. Die Studie wurde abgebrochen. Zitzmann erklärt: "Wir Forscher wollten die Nebenwirkungen öffentlich machen und die Entscheidung den Anwendern überlassen." Schließlich seien 85 bis 90 Prozent der Teilnehmer mit dem Mittel gut klargekommen und sogar enttäuscht gewesen, als die Studie abgebrochen wurde. Für das Antibaby-Gel sieht die Prognose, was die Nebenwirkungen angeht, besser aus: "Es gibt so gut wie keine", sagt Zitzmann.

    Die Antibabypille verhalf Frauen zur Selbstbestimmtheit in den 70ern

    Neben dem medizinischen Faktor spielen auch historische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Gründe eine Rolle, warum es bisher kein Mittel auf dem Markt gibt. Zitzmann sagt: "Die Pille für die Frau war bei ihrem Aufkommen gesellschaftlich spannend. Man konnte es wissenschaftlich umsetzen, und auch die Pharmaindustrie hat einen großen Markt gesehen." Gerade Letzteres treffe bei der Pille für den Mann nicht zu – es gibt ja bereits ein Mittel. Tatsächlich erklärt eine Sprecherin von Bayer, in den 1960er Jahren das erste Pharmaunternehmen, das in Deutschland die Antibabypille auf den Markt brachte, auf Anfrage, dass vor über zehn Jahren die Entwicklung ihres Produkts für Männer eingestellt wurde. Eine Kombination aus Implantat und Spritze war demnach wirksam, aber nicht anwenderfreundlich genug.

    Die 1960er und 70er waren zudem geprägt vom feministischen Aufbruch: vom Wunsch, selbstbestimmt und unabhängig vom Mann zu leben. Die Pille bedeutete genau das. "Viele Frauen haben mit Sicherheit auch gesagt: Wir wollen die Pille für uns." Die Nebenwirkungen standen laut Zitzmann im Hintergrund. Beide Ansichten haben sich gewandelt. Sowohl Studien der Techniker Krankenkasse als auch der AOK haben ergeben, dass junge Frauen sich immer seltener die Pille verschreiben lassen. Gleichzeitig möchten sich immer mehr Männer an der Verhütung beteiligen. "Und von Frauen wird auch mehr Beteiligung gefordert", sagt Zitzmann.

    "Better Birth Control": Zwei Studentinnen kämpfen für mehr Forschungsgelder

    Dafür, dass es künftig nicht nur ein geeignetes Verhütungsmittel für den Mann, sondern auch einen politischen Rahmen für das Thema gleichberechtigte Verhütung gibt, setzen sich die Berliner Studentinnen Jana Pfenning und Rita Maglio ein. Sie haben mit ihrem Verein "Better Birth Control" im Januar 2021 eine Petition gestartet. Ihre Forderungen: mehr Forschung, mehr Aufklärung, eine Kostenerstattung von Verhütungsmitteln. Ihr Ziel ist es, eine Lobby im Bundestag dafür zu gewinnen. Jana Pfenning sagt, dass es vor allem an mangelnden Forschungsgeldern und nicht vorhandenem Interesse der Pharmaindustrie liegt, dass es bisher mit der Pille für den Mann nichts wurde. Sie ist überzeugt, dass der gesellschaftliche Bedarf da sei und damit auch die Akzeptanz des Mittels, sobald es auf den Markt kommt.

    Jana Pfenning (links) und Rita Magio setzen sich seit 2020 gemeinsam für das Thema gleichberechtigte Verhütung ein. Für ihren Verein "Better Birth Control" konnten sie bereits einige prominente Unterstützer gewinnen.
    Jana Pfenning (links) und Rita Magio setzen sich seit 2020 gemeinsam für das Thema gleichberechtigte Verhütung ein. Für ihren Verein "Better Birth Control" konnten sie bereits einige prominente Unterstützer gewinnen. Foto: Thilo Kunz

    Einen Erfolg konnte der Verein mit seiner Kampagne und der Petition, bei der rund 130.000 Menschen unterzeichnet haben, im vergangenen Jahr verzeichnen: "Einige unserer Forderungen wurden im Koalitionsvertrag verankert", erklärt Pfenning. Jetzt müssten sie in der aktuellen Legislaturperiode nur umgesetzt werden.

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