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Foto: Illyenko
Foto: Illyenko

Lubava Illyenko mit ihrer Tochter und ihrer Mutter, die es vor einigen Tagen aus der Ukraine nach Donauwörth geschafft hat.

Donauwörth
31.03.2022

Von der Ostukraine nach Donauwörth: Der Schmerz einer Mutter über den Krieg

Von Thomas Hilgendorf

Lubava Illyenkos Mutter war im Kriegsgebiet in der Ukraine eingekesselt. Nach einer dramatischen Flucht ist sie jetzt in Nordschwaben angekommen.

Lubava Illyenko schmerzt der Krieg in der Ukraine in mehrfacher Hinsicht. Die in der Parkstadt lebende Frau wurde im russischen Wladiwostok geboren, einer große Hafenstadt am Pazifik. Aufgewachsen ist sie allerdings in der Ukraine, wo sie bis vor einigen Jahren auch noch lebte und arbeitete. Die 40-Jährige hat den Krieg bereits vor acht Jahren erlebt. Jetzt folgte eine weitere Eskalationsstufe, mit ihrer Mutter mittendrin. Die hat nun fast wie durch ein Wunder Donauwörth erreicht. Und das, obwohl deren Heimatort bis vor Kurzem noch von der russischen Armee eingekesselt war.

Für die Ukrainerin aus der Parkstadt begann der Krieg viel früher

Für Illyenko hat der Krieg nicht erst am 24. Februar 2022 begonnen. Die Kulturmanagerin arbeitete 2014 im Kulturzentrum "Izolyatsia" in der Ostukraine, in einem Ort, der in Deutschland meist nur eingefleischten Fußballfans wegen des dort ansässigen Klubs ein Begriff war – einem Ort, der aber inzwischen schier jedermann bekannt sein dürfte: Donezk. Dort hat sie vor acht Jahren den eigentlichen Kriegsanfang mit Russland erlebt, wie sie sagt. Damals, als die sogenannten prorussischen Separatisten das Gebiet in der Ostukraine abspalten wollten vom ukrainischen Staat. "Das war inszeniert, das ging schon damals von Russland aus", sagt Illyenko.

Sie erinnert sich noch gut an den Beginn des Konfliktes. "Die Sonne schien, aber man hörte Schüsse. Es war eine seltsame Situation. Das seltsamste war diese eigenartige Stimmung des Kriegsbeginns. Es waren plötzlich einfach keine Kinder mehr zu sehen. Nirgends." Verwaiste Spielplätze, trügerische Ruhe, Schüsse in der Ferne – "so spürt man den Anfang eines Krieges. Das erste, was man nicht mehr sieht, das sind die Kinder".

Die ersten Momente des Krieges in der Ukraine: Die Kinder waren weg

Im Sommer 2014 entschied sich Illyenko denn auch schnell, Donezk zu verlassen, so, wie es zahlreiche Ukrainer taten, allem voran die Jüngeren. Illyenko ging nach Kiew, um dort zu arbeiten, in Frieden zu leben. Sie habe sich dann allerdings entschlossen, ihren Master-Abschluss an einer Universität im Westen zu machen, die Wahl fiel auf Augsburg. Der Titel der Masterarbeit hatte mit einem Teil der gemeinsamen Geschichte der Ukraine sowie Russlands zu tun: "Denkmalsturz und Denkmalschutz der Lenindenkmäler in der Ukraine".

Auch an diesem Spezialbeispiel lasse sich die Entwicklung des Konflikts in den vergangenen Jahren nachskizzieren: Nach Beginn des Konfliktes in der Ostukraine sei die Stimmung gegenüber dem großen Nachbarn gereizt gewesen im Volk, sagt Illyenko. Es habe eine Art Kulturkampf begonnen, die russische Sprache sei regelrecht "boykottiert", alte Lenin-Denkmäler zerstört worden, wohl auch, weil sie als Zeichen eines Sowjet-Imperialismus galten. Die Rivalität, die lange Zeit nicht bestanden hatte, sei gewachsen und "sie wurde schließlich zementiert". Das damalige Auflehnen gegen das russische Verhalten sei einerseits nachvollziehbar, sagt die Ukrainerin, andererseits sei sie gegen jene Übertreibungen, wie etwa die Zerstörung von Kulturdenkmälern.

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Die Tochter hat die Flucht der Mutter von Donauwörth aus mit organisiert

Der 24. Februar dieses Jahres sei trotz der Vorboten ein Schock, ein tiefer Einschnitt gewesen. Illyenko, die Ukrainerin, die in Russland geboren wurde, ringt nach Worten, um den Krieg zu beschreiben. "Frech" nennt sie Putins Invasion, "er zerstört die Ukraine". Eigentlich spreche sie selbst von Haus aus russisch, es sei ihre "erste Sprache" gewesen, bis sie etwa 14 Jahre alt war und sie mit den Eltern in die Ukraine zog. Jetzt spreche sie "bewusst" ukrainisch, "auch um Abgrenzung zu zeigen", wie sie sagt.

Denn die Familie war bis vor Kurzem gefangen im Krieg. Die Mutter lebte in Konotop, einer Stadt im Nordosten der Ukraine mit etwa 90.000 Einwohnern. Die Stadt wurde bereits in den ersten Tagen des Krieges von russischen Truppen umzingelt, bis ihnen schließlich die Durchfahrt gewährt wurde. Die Mutter habe das Ganze von ihrem Fenster aus beobachtet, gut 80 Militärfahrzeuge seien an ihrem Haus vorbeigefahren, wohl in Richtung Kiew. Es habe bis vor Kurzem noch keine Gelegenheit gegeben, dass die Mutter die Stadt verlässt.

Eine Zeit, die die Nerven immens belastet habe: "Es gab manchmal kein Internet, keine Verbindung zu ihr. Es war dann einfach die Hölle, warten zu müssen." Irgendwann sei dann die Nachricht gekommen, es gebe einen Fluchtkorridor. Die Mutter machte sich auf, verließ schließlich das Haus. Und sie hatte Glück. Bekannte waren mit dem Auto auf der Flucht, nahmen sie kurzerhand mit. Quer durch die Ukraine, bis Lemberg, wo eine kurze Pause folgte. Dann weiter über das polnische Kattowitz nach Augsburg.

Von Donauwörth aus die Flucht mitorganisiert

Illyenko hat die Flucht von Donauwörth aus mit organisiert. Sie buchte Hotels, besorgte für die Bekannten der Mutter über die Internetseite der Stadt Augsburg eine Wohnung. Die Mutter selbst fand Unterschlupf in Donauwörth bei ihrer Tochter, "und das ist einfach eine große Erleichterung", wie Illyenko sagt.

Angesprochen auf das Thema "Integration", das derzeit viele in der Politik beschäftigt, sagt die Kulturmanagerin, die aktuell an der Uni Augsburg promoviert, das sei wohl erst der zweite Schritt. Die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer hofften dieser Tage, bald schon wieder in ihr Heimatland zurückzugehen. Auch Lubava Illyenkos Mutter will zurück: "Dort ist ihre Kirche, dort ist das Grab meines Papas." Doch wann es Frieden geben wird, der eine Rückkehr ermöglicht, das weiß derzeit noch niemand.

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