Früher, vor Corona, hat sich Dr. Heiko Bablich ans Bett seiner schwerkranken Patienten gesetzt. Ihre Hand genommen, mit ihnen gesprochen, das weitere Vorgehen erklärt. Der Chefarzt der Inneren Medizin in Dillingen hat sich gerne die Zeit dafür genommen. Nicht immer ging es dabei nur um die Erkrankung. „Viele Patienten erzählen etwas aus ihrem Leben. Das ist unglaublich spannend, lustig oder verrückt. Das sind die Dinge, die unseren Beruf so schön machen.“
Dann kam das Coronavirus und damit die notwendige Distanz. Es habe fast ein halbes Jahr gedauert, sich die gewohnte Nähe zu Patienten abzugewöhnen. „Da ging leider viel verloren.
Sterben ist Alltag, auch in den Krankenhäusern im Kreis Dillingen. Doch die Umstände haben sich geändert
Die Corona-Pandemie hat nicht nur das Leben, sondern auch das Sterben in den Krankenhäusern völlig verändert. Ein Abschied, wie er vorher möglich war, ist nicht mehr erlaubt. Darunter leiden neben den Angehörigen auch die Menschen, die in den Krankenhäusern in Dillingen und Wertingen arbeiten.
„Sterben, das gehört zu unserem Alltag dazu“, sagt Werner Schauer. Schon vor der Pandemie. Er ist der pflegerische Stationsleiter der Covid-Station in Wertingen, dem Schwerpunktkrankenhaus für Corona. Ein vernünftiger Umgang mit dem Patienten und seinen Angehörigen ist ihm wichtig. „Der Abschied wird bei uns sehr gut und würdevoll gemacht.“ Der Patient soll schmerzfrei gehen können. Und auch der Besuch durch Angehörige oder Geistliche ist ein wichtiger Bestandteil.
Der Dillinger Chefarzt Dr. Bablich betreut viele Tumorpatienten. „Einige davon gehen ihren letzten Weg bei uns. Diesen wollen wir würdig und intim gestalten.“ Vor Corona wurde für Sterbende ein Einzelzimmer eingerichtet. Angehörige konnten persönliche Dinge mitbringen.
Und die Ärzte konnten die Besucher im persönlichen Gespräch auf den Abschied vorbereiten. Denn, so Bablich: „Die Menschen können inzwischen mit dem Tod nicht mehr so gut umgehen. Manche Dinge können unheimlich erschrecken.“ Der Patient selbst soll ohne Schmerzen und Atemprobleme einschlafen können. „Wir haben gelernt, Patienten und Angehörigen ein würdiges Sterben zu ermöglichen.“ Das war vor Corona.
Die Maske macht die Kommunikation mit Patient und Besucher schwer
Jetzt haben die Krankenhausmitarbeiter mit den Angehörigen vorrangig telefonischen Kontakt. Findet dennoch ein persönliches Gespräch statt, ist die Kommunikation nicht immer einfach.
Aufgrund von Masken und Schutzkleidung sehen weder Patienten noch deren Verwandte die Mimik von Ärzten und Pflegern.
„Das ist auch für uns nicht befriedigend“, betont Dr. Bablich. Auch die Schutzkleidung, so Wertingens Stationsleiter Schauer, sei ein Riesenproblem für die Verständigung. „Auf unserer Covid-Station sind viele ältere Patienten, manche dement und schwer krank.“ Zudem gibt es strenge Auflagen für Besucher. Erfreut sei niemand darüber, doch wenn man sie etwa der Familie eines Sterbenden erklärt, zeige sie laut Bablich viel Verständnis.
Dr. Eva Stephan, Chefärztin der Inneren Medizin in Dillingen, beschreibt den täglichen Spagat: „Einerseits gelten sehr strenge Hygieneregeln, andererseits haben wir eine hohe Fürsorgepflicht gegenüber unseren Patienten.“ Parallel dazu telefoniere und maile man sehr viel mehr mit den Angehörigen als vorher. „Wir rufen auch mal zuhause an und sagen, der Patient hätte gerne Cola, bringen Sie die mit?“, schildert die Chefärztin. Selbst auf der Intensivstation versuche man per Skype etwas Nähe nach Hause herzustellen. Die Kirche könne kommen. Und Patienten, die länger im Krankenhaus sind, können Besucher empfangen, die einen Covid-19-Test gemacht haben. „Trotzdem ist es eine Einschränkung“, sagt Dr. Stephan.
Was Angehörige frühzeitig ansprechen könnten - weit vor der Einlieferung in ein Krankenhaus
Um diese Situation stressfreier zu gestalten, rät sie: Patienten und ihre Angehörigen sollten frühzeitig miteinander sprechen und dabei auch sensible Themen wie krank sein und das Sterben nicht aussparen. „Wir erleben immer wieder, dass selbst betagte kranke Patienten noch nie mit ihren Angehörigen darüber gesprochen haben, was sie sich wünschen. Was getan, und vor allem, was nicht getan werden soll.“ Deshalb könne es eine erhebliche Entlastung für die Familie sein, wenn es eine Patientenverfügung gebe und ein Vertrauter benannt wurde, der entscheiden darf. Vor allem in Wertingen sind seit Ausbruch der Corona-Pandemie sehr viele Patienten an oder in Verbindung mit dem Virus gestorben. Die Todesrate hat laut Schauer im Vergleich zu 2019 um knapp ein Drittel zugenommen.
Es gab Tage, da reichte die Wertinger Leichenhalle nicht
An besonders schlimmen Tagen hatte die Leichenhalle in Wertingen nicht gereicht. „So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei.“ Coronapatienten würden teils sehr lange leiden, bevor sie sterben. Das bedeute viel zusätzliche Arbeit für das Personal. Parallel dazu versuche das Team, trotzdem auf den Patienten einzugehen („einer durfte einen Schluck Bier trinken, er hat sich so gefreut“), die Angehörigen einzubinden und aufeinander zu achten. „Ich denke, wir machen das relativ gut – aber natürlich würde ich es mir anders wünschen.“
Im Alltag ist dabei auch viel Kreativität gefragt. Weil auf der Corona-Intensivstation in Wertingen der Handyempfang nicht der beste ist, wurde beispielsweise ein Patient samt Bett ganz nah ans Fenster gefahren. Ein Pfleger rief die Angehörigen per WhatsApp an, packte das Handy in eine Tüte und gab es ihm. Diese Szene schildert Christoph Knab, pflegerischer Leiter der Wertinger Intensivstation. Dort betreut er gleichzeitig Covid-Patienten. Man versuche immer, alles möglich zu machen. Deswegen gibt es inzwischen auch Handy-Tüten, und Fernsehen und das Telefonieren übers Festnetz ist für die Wertinger Patienten derzeit auch umsonst.
Die Infektionszahlen sinken, die Belegung der Intensivbetten hoch - in Dillingen und in Wertingen
Zwar sinken inzwischen die Infektionszahlen, doch die Belegung der Corona-Intensivstationen bleibt hoch. Die zweite Welle, betont Dr. Bablich, sei wesentlich härter als die erste. Manche Covid-Patienten müssten sechs bis acht Wochen beatmet werden. „Im Schnitt bleiben Patienten fünf bis sechs Tage auf unserer Station. Corona-Patienten sind wochenlang krank.“ Es sei surreal, sich in voller Schutzmontur um einen Menschen zu kümmern, der an zig Schläuche angeschlossen ist. „Das kann sich keiner vorstellen“, sagt er. Deswegen fürchtet Bablich auch, dass manche Kollegen oder Mitarbeiter die Erfahrungen während der Pandemie traumatisieren könnten. (Wenn sich zum Lockdown im Landkreis Dillingen die Trauer gesellt)
Vom Normalbetrieb sind beide Häuser weit entfernt. Seit Februar sind auf eine Anordnung hin planbare Operationen wieder erlaubt, sagt Dr. Hubert Grundner, Chefarzt der Wertinger Chirurgie und Pandemiebeauftragter. Doch stünden diese immer in Konkurrenz zu Covid-19-Fällen. „Wir starten behutsam und versuchen Operationen zu vermeiden, wo die Gefahr besteht, dass der Patient danach intensivmedizinisch betreut werden muss.“ Gerade die Nicht-Corona-Patienten haben laut Dr. Bablich lange zurückstecken müssen. Es oblag dem medizinischen Bereich zu entscheiden, welche Operation verschoben werden konnte, und welche nicht.
Aufgrund der Corona-Pandemie sei die Arbeitsbelastung erheblich angestiegen. Dazu die viel aufwendigere Kommunikation: Man würde gern mehr Zeit mit Sterbenden und ihren Angehörigen verbringen; „doch andere Patienten brauchen uns auch. Dann fehlt die Zeit – und das fällt uns auch schwer“, sagt Bablich.
Was am Wertinger Krankenhaus aufgefallen ist
Und noch etwas bedrückt den Arzt: Er fürchtet, dass viele Menschen sterben, weil sie eine medizinische Untersuchung vermieden haben, aus Angst vor einer Coronainfektion. „Manche kommen erst, wenn es nicht mehr anders geht. Jeder von uns hatte Patienten, die dieses Leiden nicht hätten hinnehmen müssen.“ Die Zahl der Schwerkranken steige. Bablichs Wertinger Kollege Dr. Hubert Grundner bestätigt das. Gleich mehrere veraltete Blinddarmentzündungen hatte der Mediziner in Wertingen bemerkt. „Eine Entzündung ist schnell operiert. Stattdessen haben sich manche Menschen wochenlang gequält.“ Das alles wirkt sich auf die Personalsituation aus. Irgendwie geht es laut Dr. Bablich aber immer. Alle Kollegen hätten den Anspruch, die Patienten optimal zu versorgen. „Vor zwei, drei Monaten habe ich gedacht, jetzt geht es wirklich nicht mehr. Wir hatten oft freie Betten, aber kein Personal, um mögliche Patienten zu versorgen.“ Eines Morgens meldeten sich drei Mitarbeiter, die Hälfte seines Teams, mit Fieber krank. „Da fragt man sich schon, wie man den Tag überstehen soll.“
Bereichsleiter Knab schildert aus Wertinger Sicht: Das Team sei während der Pandemie eng zusammengewachsen. Einmal hätte das Krankenhaus über das Wochenende sechs Beatmungen gehabt, dafür hätten aber die Mitarbeiter nicht ausgereicht. „Es hat nur eine Bitte per WhatsApp gebraucht, schon hatten wir genug Personal“, berichtet er stolz. Dennoch befürchtet Knab, dass das große Engagement aufhört. Die Mitarbeiter, vermutet er, werden irgendwann an ihre Grenzen geraten und dann einfach nicht mehr können."
Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die andere Seite des Leids
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