In Dillingen geboren, in Schretzheim aufgewachsen: Erzabt Wolfgang Öxler hat immer noch starke Bindungen in den Landkreis. Hier lebte und arbeitete der heute 63-Jährige vier Jahre im Benediktinerkolleg, absolvierte eine Erzieherausbildung an der Fachakademie für Sozialpädagogik, spielte mit der Band „Nightworkers“ auf Tanzveranstaltungen in der Region. Er trat mit 22 Jahren ins Kloster ein und feierte 1988 in Schretzheim seine Primiz. Der Chef der Benediktinerabtei St. Ottilien erlebt Kirche und Welt in dieser Corona-Pandemie in einem großen Umbruch. Wir sprachen voriges Jahr an Ostern mit dem Seelsorger und Buchautor auch über das, was ihm Mut macht. Seine Antworten sind nach wie vor aktuell.
Der Missbrauchsskandal macht der katholischen Kirche schwer zu schaffen. Erleben wir gerade das anbrechende Ende der Kirche?
Erzabt Wolfgang Öxler: Ich sehe nicht das Ende kommen. Die Kirche befindet sich aber in einer ganz großen Umbruchphase. Auch für viele treue Anhänger hat die Kirche wegen der zahlreichen Missbrauchsfälle ihre Glaubwürdigkeit verloren. Es gibt einen massiven Einbruch, und viele werden wohl nicht mehr zur Kirche zurückkehren. In dem Wort Aufbruch steckt auch das Wort Bruch. Die Macht der Kirche bröckelt weg.
Das klingt nicht nur negativ.
Öxler: Ja, ich erlebe auch sehr viele Neuanfänge. Wenn viele Menschen die Kirche verlassen, bedeutet das ja nicht, dass sie nichts mehr glauben. Es kommen viele Menschen zu uns, die auf der Suche sind, obwohl sie aus der Kirche ausgetreten sind oder in ihrer Heimatgemeinde nicht mehr zur Kommunion gehen dürfen.
Zuletzt gab es erneut Irritationen, weil Papst Franziskus homosexuellen Paaren die Segnung verweigert. Ist die Aufregung angebracht?
Öxler: Ich halte die Entrüstung für berechtigt und frage mich, was denn dieses Schreiben von Rom zu diesem Zeitpunkt soll? Wohl nirgends klaffen Lebenswirklichkeit und kirchliche Lehre so weit auseinander wie beim Thema Sexualität (wie z.B. vorehelicher Geschlechtsverkehr oder Verhütung). Es bleibt für mich auch unverständlich, dass ich Wohnungen und Traktoren segnen darf, aber ein homosexuelles Paar nicht. Wenn die Bitte um den Segen keine Show ist, es wirklich die Bitte um den Segen Gottes für einen Lebensweg ist, dann sollte man ihnen diesen Segen nicht verweigern. Da halte ich mich an den heiligen Benedikt, der in seiner Regel schreibt: „ Der Abt soll mehr helfen als herrschen, und mehr die Barmherzigkeit walten lassen als strenges Gericht. Ein Abt soll die Fehler hassen, aber die Brüder lieben.
Die Aufhebung des Zöllibats löst nicht alle Probleme, sagt der Erzabt
Wie steht es mit dem Zölibat, der vorgeschriebenen Ehelosigkeit für katholische Priester – sollte er nicht abgeschafft werden?
Öxler: Als Benediktiner habe ich die freiwillig gelebte Ehelosigkeit gewählt. Im Unterschied zum Zölibat, das als Zugangsberechtigung dem Priesteramtskandidaten auferlegt wird. Meine Gelübde erlebe ich als Intensivierung meiner Christus-Beziehung. Den Priestern in den Pfarreien würde ich es freistellen, ob sie heiraten wollen oder nicht. Es ist wichtig, dass wir Seelsorger haben, die mitten im Leben stehen. Dass die Aufhebung des Zölibats nicht alle Probleme löst, sieht man bei unseren Brüdern und Schwestern in der evangelischen Kirche.
Fällt es Ihnen schwer, die Ehelosigkeit zu leben?
Öxler: Ich hätte mir gut vorstellen können, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Aber ich verspürte einen Ruf, der mich zu dieser tieferen Christus-Beziehung geführt hat und nie losgelassen hat. Jetzt bin ich 63 Jahre alt. Du kannst im Leben nicht alles haben, sondern nur das eine oder das andere. Ich lebe in guten Beziehungen. Es gab schon Zeiten in meinem Leben, wo ich daran dachte, meinen Lebensentwurf zu ändern. Doch Jesus hat mich immer wieder deutlich auf den Weg der Nachfolge gerufen.
Die Bewegung Maria 2.0 hat jüngst erneut den Zugang für Frauen zu den Weiheämtern der katholischen Kirche gefordert. Warum sollten Frauen nicht zu Diakoninnen und Priesterinnen geweiht werden können?
Öxler: In dieser Richtung muss etwas passieren. Frauen leisten einen großen Dienst in der Kirche. Sie wollen eingebunden sein, und nicht nur die Kirchen putzen. Der verstorbene Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, war mir während meines Aufenthalts in unserem Kloster Jakobsberg zu einem lieben Freund geworden. Er strebte in seinen theologischen Überlegungen schon damals das Diakonat der Frau an. Warum sollte es nicht möglich sein, dass Äbtissinnen und Oberinnen in ihren Gemeinschaften der Eucharistie vorstehen, bevor dort hochbetagte Seelsorger eingeflogen werden.
Gab es auch in Dillingen Missbrauchsfälle?
Sie haben das Benediktinerkolleg in Dillingen erlebt. Gab es da keine Missbrauchsfälle?
Öxler: Nein, da weiß ich nichts. Es gab keine einzige Missbrauchsanzeige. Allerdings wurde einmal ein Pater angezeigt, weil er nachts im damals angrenzenden Freibad (heute Colleg-Parkplatz) gebadet hat.
Wie war es mit körperlicher Gewalt?
Öxler: Es gab keine Anzeigen. Ein Bruder hat die Buben ab und zu am Ohr gezogen, aber das wurde nicht als dramatisch empfunden. Ich fand diese Gemeinschaft im Benediktinerkolleg in Dillingen ganz außergewöhnlich. Das war ein lustiger Haufen. Ich war damals so fasziniert, dass ein Benediktinerpater Fußball spielt. Die Gemeinschaft und die Spiritualität der Benediktiner haben mich fasziniert. Mein damaliger Beichtvater, ein bekannt gewordener Kleptomane, hatte mich zu Realschulzeiten gefragt, ob ich nicht Pfarrer werden möchte. Über ihn kam ich zum Benediktinerkolleg. Ja, Gott kann auch auf krummen Zeilen gerade schreiben.
Als Musiker machten Sie damals auch von sich reden.
Öxler: Ich spielte bei den Nightworkers an der Orgel. Wir traten in den Tanzlokalen in Unterfinningen, Deisenhofen und Steinheim auf, und natürlich auch bei Faschingsbällen im Dillinger Kolpingsaal, heute Stadtsaal. Das Nachtarbeiter-Dasein war eine tolle Zeit, ich verdiente ganz gut Geld, das wieder ins Equipment floss. Da habe ich gelernt, vor Menschen hinzustehen und zu reden.
Ostern ist das wichtigste Fest der Christen. Es wird die Auferstehung Jesu gefeiert. Was macht Sie da so sicher, dass an diesem Glauben etwas dran ist?
Öxler: Sicherheit ist da die falsche Herangehensweise. Es geht nicht um todsicher, sondern um lebensgewiss. In den wichtigen Dingen des Lebens wie Liebe, Glaube, Hoffnung gibt es keine Gewissheit. Ein anderes Wort für diesen Glauben ist Vertrauen. Mit Gruppen mache ich oft das Experiment, dass ich hinter Menschen stehe und sie auffordere, sich rückwärts fallen zu lassen, weil ich ihnen zusichere, dass ich sie auffange. Vielen fällt das unheimlich schwer, sie machen Zwischenschritte, um das Risiko zu minimieren. Dies ist sinnbildlich für das große Loslassen am Ende unseres Lebens, weil Gott uns zusagt, dass wir nicht aus seiner Hand fallen werden. Was ängstigt Dich der Schiffbruch, wenn Gott der Ozean ist? Der Glaube an die Auferstehung spendet mir Trost für mein Leben im Hier und Jetzt.
Die Osterkerze als Symbol für den Auferstandenen
Was tun Sie, wenn Sie zweifeln?
Öxler: Der Zweifel ist nicht Unglaube, sondern er ist der Bruder des Glaubens. Wenn Petrus zu zweifeln beginnt, dann geht er unter, und als er wieder auf Jesus schaut, gewinnt er Oberwasser. Wir haben die Zusage von Jesus: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt.“ Menschen die zweifeln, stellen Fragen und sind wie Thomas der Zweifler oft viel näher an Jesus dran. So gehe ich im Gebet mit meinen Fragen und Zweifeln zu Jesus. Mir begegnen immer wieder Menschen, die ihr Leben wegwerfen wollen, weil sie keinen Sinn mehr darin sehen. Wir können noch so viel besitzen – wenn wir kein „Wofür“ im Leben haben, bleibt unser Leben unerfüllt. Der Glaube erzeugt Resilienz, Widerstandsfähigkeit und die Kraft, immer wieder neu zu beginnen.
Was raten Sie unseren Leserinnen und Lesern an Ostern, das erneut durch einen Corona-Lockdown getrübt ist?
Öxler: Ich freue mich, dass Kirche als systemrelevant angesehen wird und so die Möglichkeit für Präsenzgottesdienste gegeben ist. An Ostern könnten Familien auch zuhause eine Osterkerze entzünden und miteinander beten. Die Osterkerze ist in unserem Glauben Symbol für den Auferstandenen, der uns Licht auf unserem Weg sein will. Heinrich Böll schreibt einmal in einem Gedicht „Wenn die Raupen wüssten, was einmal sein wird, wenn sie erst Schmetterlinge sind, sie würden ganz anders leben: froher, zuversichtlicher und hoffnungsvoller.“ Der Tod ist nicht das Letzte. Das Leben endet nicht, es wird verändert. In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern ein gesegnetes Osterfest und leben Sie trotz allem zuversichtlich und hoffnungsvoll.
Erzabt Wolfgang Öxler kommt am Montag, 25. April, zu einem Vortrag nach Dillingen. Zu dieser Lesung lädt der Katholische Akademikerkreis Dillingen alle Interessierten ein. Der bekannte Benediktiner liest um 19.30 Uhr im Stadtsaal aus seinen Büchern. Kartenvorverkauf (Preis fünf Euro) bei Bücher Brenner Dillingen.
Erzabt Wolfgang Öxler hat mit der Augsburger Fotografin Andrea Göppel das Buch „Haltestellen für die Seele: Gedanken für den Weg durchs Leben“ (Herder-Verlag, 179 S., 25 Euro, ISBN 978-3-451-03279-0) herausgebracht. Die Fotos und Gedanken wollen Ruheplätze sein und der Seele guttun, gerade in unserer von Unruhe geprägten Zeit.
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