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Landkreis Dillingen: Die Corona-Pandemie im Alltag eines Dillinger Hausarztes

Landkreis Dillingen

Die Corona-Pandemie im Alltag eines Dillinger Hausarztes

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    Hausärzte sind derzeit auch sehr stark von mehreren Seiten gefordert. Das liegt nicht nur an der Corona-Pandemie.
    Hausärzte sind derzeit auch sehr stark von mehreren Seiten gefordert. Das liegt nicht nur an der Corona-Pandemie. Foto: sebra-stock.adobe.com (Symbol)

    Dr. Alexander Zaune ist Koordinator für ambulante Pandemie-Fragen im Landkreis Dillingen und spricht hier im Namen der Hausärzte des Landkreises Dillingen.

    Wie geht es den Hausärzten im Kreis Dillingen zurzeit?

    Dr. Alexander Zaune: Wir alle erleben derzeit höchst turbulente und herausfordernde Zeiten. Neben der Covid-Pandemie-Bewältigung und den üblichen vielfältigen hausärztlichen Aufgaben bewegt uns die Frage der anstehenden Impfungen in unseren Praxen. Sowohl, was die drängenden Fragen der Patienten, als auch die organisatorische Umsetzung angeht. Hier herrscht zur Thematik der dauerhaft sinnvollen Verlagerung der Impfungen in die Hausarztpraxen aktuell keine gute Kommunikation zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und den Hausärzten. Den Stil von oben, der hier vorherrscht, halte ich schlicht für arrogant.

    Dazu steht uns die Umsetzung der Digitalisierung im Gesundheitswesen ins Haus, was für sich betrachtet schon in normalen Zeiten eine Mammutaufgabe ist, während der laufenden Pandemie jedoch zur kaum zu schaffenden Hürde wird. Erschwerend kommt hinzu, dass die Industrie die notwendigen Komponenten kaum zeitgerecht liefern kann. Dass das in der einen oder anderen Kollegenpraxis unserer Ü-65-Jährigen die Entscheidung zum Aufhören deutlich leichter machen könnte, das scheint man gesundheitspolitisch nicht zu erkennen.

    Wie gut ist der Landkreis Dillingen medizinisch aufgestellt?

    Wie gut ist unser Landkreis denn medizinisch aufgestellt?

    Dr. Alexander Zaune
    Dr. Alexander Zaune

    Dr. Zaune: Er gehört in der Bedarfsplanung zu den planerisch am schlechtesten mit Hausärzten vorsorgten Landkreisen in Schwaben und auch in ganz Bayern. Die Gesundheitsregion plus und Landrat Leo Schrell haben gerade auf Basis meiner aktuellen Analyse der Bedarfsplanungs-Zahlen für den Kreis einen Brief an alle entscheidenden Stellen, lokale Abgeordnete und insbesondere an den Gemeinsamen Bundesausschuss in Berlin gesendet. (Ärztemangel: „Mit dieser Berechnung werden wir beschissen“)

    Die Unterschiede pro geplantem Hausarztkassensitz können mit der heutigen Berechnungssystematik dabei bis zu 500 Patienten in ähnlich strukturierten Landkreisen betragen. Bei der fachärztlichen ambulanten Versorgung besteht aus meiner Sicht auch ein Systemfehler in der Planung. Das erklärt die Wartezeiten hier im Landkreis. Positiv stimmen mich für meinen Fachbereich einige gute Entwicklungen in der sogenannte Hausarztzentrierten Versorgung (HzV), da herrscht auch mit vielen Kassen inzwischen eine durchaus gute Zusammenarbeit.

    Das hält der Dillinger Hausarzt von Jens Spahn

    Wie bewerten Sie die Arbeit unseres Bundesgesundheitsministers?

    Dr. Zaune: Aus meiner Sicht hat bisher kein Gesundheitsminister mehr Bürokratie erzeugt als Minister Spahn: Ständig neue Verfügungen und eine wahre Gesetzesflut von oft mäßig durchdachten und in der Auswirkung auf die Hausarztpraxen nicht geprüfter Gesetze. Allein die Abrechnungsregeln für Covid-Abstriche etwa umfassen heute 25 Seiten.

    91 Prozent der Corona-Patienten werden von Hausärzten betreut. Der Aufwand ist doch sicher sehr groß.

    Dr. Zaune: Ich möchte da sehr deutlich differenzieren. Der Aufwand der Kliniken war und ist enorm und man stand in den Kliniken, auch lokal, an der Grenze der Kapazitäten. Wir besprechen das regelmäßig mit allen Verantwortlichen, so auch mit Dr. Wolfgang Geisser. Ich habe höchsten Respekt vor den Leistungen der Kliniken in der Versorgung der schwer verlaufenden Covid-Fälle.

    Gute Versorgung gelingt ja eh nur zusammen. Allerdings wäre ohne die Filterfunktion und Erstbehandlung der Hausärzte in ihren Praxen wohl jede Notaufnahme total überlastet und auch die Rolle unserer medizinischen Fachangestellten kann ich nur nochmals betonen. Da würde ich mir seitens der Politik in Berlin etwas mehr Wertschätzung erwarten, die staatliche Corona-Prämie ging an unseren MFAs leider total vorüber.

    In vielen Praxen im Dillinger Land gilt inzwischen ein Aufnahmestopp

    Mussten Sie oft Patienten wegen Corona-Verdacht abweisen? Kommt das immer noch vor?

    Dr. Zaune: Patienten mit Corona-Verdacht dürfen primär nicht haus- oder auch fachärztlich abgewiesen werden, wir haben alle einen Sicherstellungsauftrag. Die Praxen haben auch das Know-how. Zu Einzelfällen kann ich wenig sagen, das muss man sich genau anschauen. Allerdings gibt es viele Praxen mit Aufnahmestopp (außer bei Plicht zur Nothilfe in lebensbedrohlichen Fällen). Das ist eben die Realität wegen der eingangs unseres Gespräches schon genannten Überlastung der Strukturen. Es gibt für jede Praxis Grenzen der Belastbarkeit und wir haben ja wie oben beschrieben schon geplant deutlich mehr Patienten zu versorgen als manch anderswo.

    Wie eng ist der Kontakt Arzt-Patient in diesen Zeiten? Gibt es Patienten, die wie auch im Krankenhaus zu spät kommen, aus Angst vor einer Infektion?

    Dr. Zaune: Wir sehen beides: sowohl die aus Angst verschleppten Fälle, als auch Probleme, die nicht unbedingt während einer Covid-Pandemie unmittelbar wichtig gewesen wären. Generell braucht man vor einem Arztbesuch dank der Hygiene-Regeln und der getroffenen baulichen oder organisatorischen Schutzmaßnahmen in den Praxen keine Angst zu haben. Man sollte eventuell etwas haushalten mit seinen Konsultationsgründen. Im Zweifel lieber vorher in der Praxis anrufen. Auch Videosprechstunden sind oft eine gute Möglichkeit, seine medizinischen Probleme zu klären. Hausarztpraxen können während Pandemie-Zeiten nicht immer Routine-Termine hundertprozentig garantieren, zumindest kann das unsere Praxis nicht, genauso ist es etwa mit nicht dringlichen Hausbesuchen, das kann dauern.

    Das Impfproblem: Wie tröstet man da Patienten?

    Wie gehen Sie mit Patienten um, die Corona für ein Gerücht halten?

    Dr. Zaune: Man kann man nur versuchen, sachlich zu erklären und zu argumentieren.

    Was sagen Sie Ihren über 80-jährigen Patienten, die immer noch nicht geimpft worden sind?

    Dr. Zaune: Warten Sie, Sie sind ja in Prio-Gruppe 1, eine Super-Prio 1 gibt es nicht. Den Impfstoffmangel, der sich ja bessern soll und muss in den nächsten Wochen, haben die EU und die Bundesregierung zu vertreten, nicht die lokalen Strukturen. Die können nur Impfstoffe verabreichen, die geliefert werden. Insgesamt ist die Impfquote vergleichsweise gut bei uns, bei der Verteilung herrschen aus meiner Sicht gerechte Kriterien, man hält sich an die gültige Impfverordnung und hätte schon wesentlich mehr geimpft, wenn mehr Impfstoff da wäre. Es sollte sich diesbezüglich zeitnah bessern. Aber jeden Härtefall können wir leider nicht unmittelbar bedienen Stand heute. (Ein Dillinger Senior wartet sehnsüchtig auf die Corona-Impfung)

    Hat sich auch das Patientenverhalten verändert? Sind sie aggressiver?

    Dr. Zaune: Kann man nicht verallgemeinern, die ganze Gesellschaft steht seit 2/20 unter erheblichem Stress. Aber viele Berichte über zunehmende Aggressionen gegen Rettungsdienst, Schwestern, Notaufnahmen, Ärzte, MFAs, Kliniker etc. gab es vorher auch schon seit Jahren, nicht erst seit Covid. Ich habe das natürlich schon in meiner Klinikzeit in Großstadthäusern oder auch als Notarzt zur Genüge erlebt. Die allermeisten unserer Patienten haben für Wartezeiten, komplizierte Kassenregeln, Covid-Situation, gesetzliche Pflichten, veränderte Abläufe durch Pflichtvorgaben schon Verständnis. Echte direkte Aggressionen erleben wir schon auch gelegentlich. Das meiste davon bekommen in der Praxis unsere MFAs ab. Aber in aller Regel lassen sich derartige Probleme professionell auffangen, vernünftig besprechen und lösen.

    Auch Ärzte und ihre Mitarbeiter nimmt der Tod von Patienten mit

    Der Verlauf einer Corona-Erkrankung wurde teils als unberechenbar beschrieben: Der Patient war auf einem guten Weg und ist dann trotzdem gestorben. Was macht das mit einem Arzt?

    Dr. Zaune: Ich glaube, man muss stets die Demut vor Verläufen bewahren und wachsam bleiben, das gilt nicht nur für Covid. Es bleibt aber auch die Erkenntnis, dass manches schicksalhaft verläuft – trotz unserer Filterfunktion und moderner Intensivmedizin und allen anderen Bemühungen. (Corona im Kreis Dillingen: Auch Ärzte und Pfleger trauern um die Patienten)Manches Einzelschicksal bleibt am Ende schwierig zu ertragen, vor allem für die Angehörigen. Für uns aber auch. Im Moment sehen wir in den Hausarztpraxen nun einige Patienten mit recht variablen Covid-Folgesyndromen, bei den Allermeisten scheint die durchgemachte Infektion jedoch erstmal keine Langzeit-Beeinträchtigung gebracht zu haben und ist ausgeheilt. Ordentliche Studien dazu wird es geben, dann wissen wir mehr.

    Haben die Ärzte und ihre Mitarbeiter nicht auch selbst Angst vor einer Ansteckung? Gab es auch Corona-Fälle unter dem Hausärztepersonal?

    Dr. Zaune: Es gab Fälle im Kreis, zum Glück nicht allzu viele. Würden wir täglich mit Angst als Grundstimmung in unsere Praxen gehen, wäre ein Arbeiten nicht möglich. Das Einhalten der Hygiene-Regeln und der Standardabläufe schützt. Ein Restrisiko bleibt, das hieße dann eher Vorsicht bei der Berufswahl. Wir müssen als Versorger-Ärzte mit unseren Teams damit leben. Die erfolgreichen Impfungen vieler Haus- und Facharztpraxen nach den gültigen Priorisierungsregeln der Impfverordnung haben eine gewisse Beruhigung gebracht, in den Heimen etwa sehr deutlich, die weiteren Impfungen können nun nur Schritt für Schritt und nach Verfügbarkeit der Impfstoffe abgearbeitet werden.

    Was macht es mit einem Praxisteam, unter solchen Belastungen zu arbeiten?

    Dr. Zaune: Das ist sehr unterschiedlich, es schweißt schon auch zusammen. Allerdings sind die starken Belastungen auch für alle schwierig, MFAs, Ärzte und die Patienten. Konflikte bleiben da nicht aus, das muss man aushalten, ausdiskutieren und gegenseitiges Verständnis haben, manchmal trennen sich dann auch die Wege.

    So bewertet der Hausarzt das Dillinger Testzentrum

    Hausärzte und ihre Teams sind auch im Test- oder Impfzentrum gebraucht worden und dort teils immer noch im Einsatz. Wie bringt man diese zusätzliche Zeit im Alltag noch unter?

    Wer sich im Dillinger Testzentrum testen lassen möchte, muss sich vorher telefonisch anmelden und online registrieren. Der erhaltene QR-Code muss beim Termin vorgelegt werden.
    Wer sich im Dillinger Testzentrum testen lassen möchte, muss sich vorher telefonisch anmelden und online registrieren. Der erhaltene QR-Code muss beim Termin vorgelegt werden. Foto: Karl Aumiller (Archiv)

    Dr. Zaune: Dank einer guten Kooperation des lokalen öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und der Bundeswehr haben wir das zusammen gestemmt, wobei wir Kassenärzte dabei etwa zeitweise Nachmittags-Abstrichtermine in der Weberstraße mitgeleistet haben. Aktuell macht es nun der ÖGD wieder alleine. Wir unterstützen aber auch, wenn wir etwa einen Wohnblock als vermeintlichen Hotspot identifiziert haben. Aber klar ist, dass Kapazitäten in einem Kreis wie dem unseren endlich sind. Ich wundere mich sehr oft, wie die große Politik von offenbar unbegrenzten Ressourcen der Vertragsärzteschaft in ihren Verfügungen ausgeht. Aber nicht nur bei uns, sondern auch beim ÖGD oder der Klinik. Wenn man jetzt sogenannte „kostenlose“ PoC-Ag-Schnelltests für alle überall propagiert, gehört doch dazu zu sagen, dass diese Tests am Ende nicht kostenfrei sind, sondern mit Steuergeld oder anderweitig bezahlt werden müssen. Wer soll und kann sie leisten? Sicher nicht überfüllte Hausarztpraxen, die primär für die Behandlung von Kranken zuständig sind. Meine erfahrenen MFAs und ich haben wie manch andere Praxis oder der ÖGD einige Einrichtungen oder Firmen in der Abstrichtechnik geschult, die führen nun die Schnelltests durch, das ist ein gangbarer Weg.

    Wie zufrieden können wir im Kreis Dillingen mit dem Ablauf im Testzentrum sein?

    Dr. Zaune: Aus meiner Sicht hat der ÖGD unter der Leitung von Dr. Uta-Maria Kastner und mit Hilfe der Bundeswehr und uns Niedergelassenen in Anbetracht der verfügbaren Ressourcen bisher einen guten Job gemacht. Natürlich gab und gibt es stets Kritik, die wird auch aufgenommen und man hat immer versucht, die Abläufe neu zu überdenken und möglichst zu optimieren.

    Wie ist die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Einrichtungen (niedergelassene Ärzte/KKH/Test-/Impfzentrum) in Dillingen und in (Nord-)Schwaben?

    Dr. Zaune: Sie erwähnen die vielen Schnittstellen, die es in unserem Gesundheitswesen gibt. Wir haben lokal eine wöchentliche Konferenz zwischen Landratsamt, ÖGD, Klinik, Niedergelassenen, Katastrophenschutz, Pflege, in der sich die Strukturen austauschen, die neue Härtefallkommission tagt auch einmal pro Woche, ist aber an gültige Priorisierungsregeln bei Impfstoffmangel gebunden. Ich empfinde diese Zusammenarbeit als sehr produktiv und glaube, die aktuellen Infektionszahlen geben uns allen letztlich recht. Die Kostenträgerseite gibt es auch noch. Die Schnittstellen sind noch viel weiter gefasst, Physiotherapeuten, Pflegedienste, Heime, BRK, und viele andere. Als „ärztlicher Koordinator“ für den ambulanten Bereich habe ich da oft eine vermittelnde Funktion.

    Was hält der Dillinger Hausarzt für den größten populären Irrtum über Corona?

    Sie sind auch Mitglied im beratenden Fachausschuss Hausärzte der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern. Haben Ärzte in Bayern Einfluss auf die Entscheidungen des Gesundheitsministeriums?

    Dr. Zaune: Naja, grundsätzlich herrscht ja das Primat der großen Politik, die Rahmenbedingungen der ambulanten Versorgung machen definitiv nicht wir Ärzte, sondern Gesetzgeber und Kostenträger/Kassen. Dabei bleibt das Wirtschaftlichkeitsgebot im Sozialgesetzbuch eine bindende Größe. Gehört werden wir schon, in Bayern eventuell noch sehr viel mehr als anderswo (siehe Berlin), entscheiden tun wir in diesem System am Ende aber eher nicht.

    Was halten Sie für den größten populären Irrtum über Covid-19?

    Dr. Zaune: Ach, ich habe wie wohl alle Hausarztpraxen nun seit 02/20 so viele Irrtümer schon gehört, dass ich hier den größten Irrtum nicht werten mag, die meisten Patienten haben aber eine realistische Wahrnehmung der Pandemie. Die Erkrankung ist neu und in dieser Form noch nie dagewesen. Allerdings sind kritische Stimmen und andere Sichtweisen immer anzuhören, ärztliche wie andere, wir müssen diesen offenen Diskurs aushalten und in der Gesellschaft mit Überzeugung und guten Argumenten führen. Im hausärztlichen Bereich sollte am Ende eine sinnvolle gemeinsame Entscheidung für das Individuum Patient auf Basis des aktuellen Wissens stehen, gesetzliche Pflichten gibt es und die müssen beachtet werden.

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