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Foto: ESA/CNES/Arianespace/Optique Vid, dpa (Archivbild)
Foto: ESA/CNES/Arianespace/Optique Vid, dpa (Archivbild)

Der russische Geheimdienst wollte vom Augsburger Spion alles über die Ariane-Rakete wissen.

Augsburg
27.01.2022

Russischer Spion an der Uni Augsburg lieferte Infos über Ariane-Rakete

Von Holger Sabinsky-Wolf

Ein russischer Geheimdienst zapfte einen Mitarbeiter der Uni Augsburg an. Nun wird dem jungen Mann der Prozess gemacht. Was er verriet und welche Rolle das Generalkonsulat spielt.

Es sind geheimnisvolle Szenen, die sich am Freitag, 18. Juni 2021, in einer Seitengasse nahe des zentralen Augsburger Königsplatzes abspielen: Mehrere kräftige Typen stellen einen jungen Mann mit dunklem Bart und kurzen Haaren und nehmen ihn mit. Was fast wie eine Geiselnahme wirkt, ist ein diskreter Einsatz des Landeskriminalamtes mithilfe eines Spezialeinsatzkommandos. Denn es geht um einen heiklen Fall: Der junge Mann soll ein russischer Spion sein.

Russischer Spion arbeitete an der Uni Augsburg

Gut sieben Monate später hat sich der Verdacht für die Ermittlerinnen und Ermittler bestätigt. Die Bundesanwaltschaft hat daher nun Anklage gegen Ilnur N., 30, wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit erhoben. Der Wissenschaftler russischer Herkunft soll sensible Informationen an den russischen Auslandsgeheimdienst SWR verraten haben. Bis zu seiner Festnahme arbeitete N. als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Materialforschung der Universität Augsburg. Der Prozess gegen ihn vor dem 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München soll nach Informationen unserer Redaktion Mitte Februar beginnen. Die Verhandlung ist auf zehn Tage angesetzt.

Russland wollte alles über die Ariane-Rakete wissen

Obwohl llnur N. auf den ersten Blick im Vergleich zu anderen Fällen eher ein kleiner Fisch zu sein scheint, schlug die Festnahme große Wellen. Der junge Russe hatte an der Uni gute Einblicke in die Forschung zu Faserverbund-Werkstoffen. Diese modernen Materialien sind zugleich leicht und sollen großen Belastungen standhalten. Sie eignen sich ideal für den Bau von Autos und Flugzeugen – sind aber auch für die Raumfahrt und die Rüstungsindustrie hochinteressant.

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Foto: Silvio Wyszengrad
Foto: Silvio Wyszengrad

Das Institut für Materialforschung der Uni Augsburg.

Wie die Bundesanwaltschaft nun erstmals öffentlich macht, ging es dem russischen Geheimdienst im Fall Ilnur N. vor allem um die europäische Trägerrakete Ariane. Welche Entwicklungsstufe hat diese Rakete erreicht? Welche Werkstoffe werden bei ihrem Bau eingesetzt. Solche Fragen haben die Agenten aus Russland interessiert. Ilnur N. soll in Augsburg als Doktorand an einem Forschungsprojekt mit dem Namen „MakeKryo“ beteiligt gewesen sein. Vereinfacht gesagt geht es dabei um die Frage, wie man Materialien auf ihre Haltbarkeit bei extrem niedrigen Temperaturen testen kann. Temperaturen also, wie sie im Weltraum herrschen. Deshalb ist das Projekt auch Teil des nationalen Raumfahrtprogramms.

Die Kontaktaufnahme im Allgäu lief wie im Agentenfilm

Recherchen unserer Redaktion zum Fall Ilnur N. werden in der Anklage bestätigt: Der Auslandsnachrichtendienst SWR soll im Herbst 2019 Kontakt aufgenommen haben, und zwar wie im Agentenfilm: Bei einem Ausflug mit Freunden ins Allgäu kommt Ilnur N. – für ihn zufällig – mit einem Mann ins Gespräch, der auch russisch spricht. Der Fremde zeigt sich interessiert, erzählt, dass er ab und zu in Augsburg ist und lässt sich N.s Telefonnummer geben. Später gibt es tatsächlich ein erstes Treffen in einem Augsburger Lokal. Ab Ende November 2019 trifft sich N. laut Bundesanwaltschaft regelmäßig mit seinem Führungsoffizier. Mehr als zehn Zusammenkünfte hat es nach unseren Informationen gegeben. Und N. lieferte die Informationen, die sein Agentenführer haben wollte. Dafür erhielt er laut Anklage 2500 Euro.

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Seit seiner Verhaftung sitzt der junge Russe im Gefängnis Augsburg-Gablingen. Seine Anwältin Alexandra Gutmeyr berichtet, dass ihm die Trennung von seiner Familie und seiner Freundin sowie Zukunftsängste zu schaffen machen. Bereits im Sommer hat Ilnur N. in Vernehmungen ausführlich ausgepackt. Die juristische Kernfrage allerdings wird sein, ob er mit Vorsatz handelte. Denn der Geheimdienstmitarbeiter soll sich nie gegenüber N. als solcher ausgegeben haben.

Der Agent arbeitete im russischen Generalkonsulat in München

Der Fall schlug auch politisch hohe Wellen. Nach Recherchen unserer Redaktion arbeitete der Führungsoffizier von Ilnur N. im russischen Generalkonsulat in München. Bei N.s Festnahme wies er sich mit einem Diplomatenpass aus und entzog sich so dem Zugriff der deutschen Polizei, denn Diplomaten genießen Immunität.

Die Bundesregierung war über die Dreistigkeit der russischen Seite tief verärgert. Das war auch der Grund dafür, dass der Fall öffentlich gemacht wurde. In vergleichbaren Fällen wurden Agentenführer geräuschlos aus Deutschland abgezogen und Festnahmen von Verdächtigen nicht groß publik gemacht. Doch das Verhältnis zwischen Russland und Europa hat sich nach dem russischen Auftragsmord im Berliner Tiergarten, der Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny und im Zuge der Ukraine-Krise massiv verschlechtert.

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