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Interview: Was war das nur wieder für ein Jahr, Herr Priol?

Interview

Was war das nur wieder für ein Jahr, Herr Priol?

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    Urban Priol war lange das Gesicht der Kabarettsendung „Neues aus der Anstalt“ im ZDF.
    Urban Priol war lange das Gesicht der Kabarettsendung „Neues aus der Anstalt“ im ZDF. Foto: Michael Reichel, dpa

    Herr Priol, im Januar wurde das Bündnis Sahra Wagenknecht als Partei gegründet . . .

    Urban Priol: ... als dieser Eisregen kam, fand ich im Zusammenhang mit der BSW-Parteigründung die Schlagzeile schön: „Eishexe Gertrud kommt“. Da war ich erst mal ein wenig irritiert, bis ich realisiert habe: Ah, es geht ja gar nicht um die Wagenknecht, sondern ums Wetter. Ich bezeichne diese ganze Mannschaft als „Putins Liebchens Orga-Team“. Aber viel toller im Januar fand ich die Bauernproteste, als der marodierende Mob auf die Straße gegangen ist. Hubert Aiwanger hatte zuvor noch gesagt: „Bauern wissen sich zu benehmen.“ Aha, habe ich mir dann bei den Protesten gedacht: Wenn so gutes Benehmen aussieht, dann will ich nicht wissen, was los ist, wenn die sagen: „Wir lassen’s heut’ mal krachen.“

    Die Proteste behinderten das öffentliche Leben.

    Priol: Der politische Aschermittwoch der Grünen in Biberach konnte nicht stattfinden, es sind Steine geflogen, in Brandenburg haben sie nachts Mist und Holzteile auf Autobahnen gekippt. Wenn das mal die Klimakleber gemacht hätten. Eigentlich hätte man sich fast wünschen können, dass am großen Aktionstag, die Hotspots waren ja bekannt, eine Stunde vor den Bauern die Klimakleber angerückt wären und sich dort festgeklebt hätten, um die anrückenden Blockierer am Blockieren zu hindern. Wenn demokratisch gewählte Politiker mit Plakaten empfangen werden, auf denen steht: „Wer’s Land verkauft und Bauern fängt, ist’s wert, dass er am Galgen hängt“, sollte Aiwanger vielleicht noch mal drüber nachdenken, was gutes Benehmen ist. Und wenn der Söder dann einfach mal so raushaut: „Übrigens, der bayerische Bauern-Präsident wird der nächste Bundeslandwirtschaftsminister“, kann einen die Absurdität dieser Aussage schon zum Schmunzeln bringen.

    Apropos Söder: Wie sehr muss es ihn schmerzen, Merz die Kanzlerkandidatur zu überlassen?

    Priol: Erst mal sind alle froh, dass die Neuwahlen im Februar stattfinden. Denn diese gespielte Harmonie, „Friedrich Merz macht’s, ich bin damit fein“, die hätte Söder bis September gar nicht durchgehalten. So starke Nähte kann eine Hose gar nicht haben, dass sie die geballten Fäuste in den Taschen aushält. Aber bei ihm muss man ja auch immer damit rechnen, dass noch ein Querschuss kommt.

    Zurück zu 2024. Da gab es im März auch eine „Wahl“ – in Russland.

    Priol: Ja, das ist so lästig für Putin. Um seine eigene Amtszeit zu verlängern, muss er das pro forma halt Präsidentschaftswahl nennen. Sahra Wagenknecht würde sagen: Es ist ein Zeichen von Humanität, dass man Menschen mit dem Gewehr nur an die Urne bringt und nicht in die Urne.

    Im April hat die EU dann die Verschärfung des Asylrechts beschlossen.

    Priol: Moment mal. Im April war das Wichtigste die Legalisierung von Cannabis. Seitdem dreht der Söder ja völlig frei. (Er imitiert Söder): „Wird alles zurückgenommen. Cannabis kommt mir ned in die Düde.“ Das ist halt Bayern. Da haben wir eine andere Vernebelungskultur. Der Schlachtruf ist: Unser Gras ist die Maß.

    Studien belegen: Gehirne von Jugendlichen werden von Alkohol genauso angegriffen wie von Cannabis.

    Priol: Exakt. Vor allem: Es heißt immer, Cannabis sei die Einstiegsdroge für viel Härteres. Das ist Bier aber auch. In Bayern ist diese Aufregung vielleicht auch deshalb so groß, weil Cannabis als bewusstseinserweiternde Droge gilt. Gerade bei der CSU kann man alles brauchen – nur nix, was das Bewusstsein erweitert. Deshalb das Festhalten am Bier, besonders am Starkbier, weil das so schön die Sinne benebelt.

    Aber Söder sagt doch immer: Keinem Bundesland geht es so gut wie Bayern, und es ist zweifelsfrei ein beliebtes Urlaubsland.

    Priol: Natürlich sagt er das. Er hat ja auch gesagt: 90 Prozent der Welt würden gerne in Bayern leben. Da habe ich mir nur gedacht: Dann wird’s aber eng bei uns. Und es ist ja auch ein wunderschönes Land. Aber da kann doch die CSU nix dafür, dass es so schön ist. Die tun ja immer noch so, als hätten sie die Berge selbst gebaut und die Alpen aus grobem Stein herausgemeißelt.

    Im Mai hatte das Grundgesetz seinen 75. Geburtstag.

    Priol: Ja, das ist doch toll. Es ist das Beste, was wir haben, und es gilt, es zu verteidigen. Aber wir hatten nicht nur 75 Jahre Grundgesetz. Wir hatten dieses Jahr auch 60 Jahre Nutella. Und 90 Jahre Donald Duck. Darf man auch nicht vergessen. Und 65 Jahre Sandmännchen, das uns allen immer so schön den Einschlafsand in die Augen streut.

    Die Fußball-Europameisterschaft war auch toll, oder?

    Priol: Ich fand das toll, es hatte einen Hauch von Sommermärchen, es war eine lockere Stimmung, die Schotten, die Dänen, überall wurde gefeiert. Nur ein paar konnten nicht mitjubeln, weil sie nicht zu den Spielen kamen – Deutsche Bahn halt. Ansonsten war es ein fröhliches Fest. Die Nationalmannschaft bildet wunderbar die bunte Vielfalt der Republik ab.

    Im Viertelfinale war dann Schluss gegen Spanien.

    Priol: Moment! Wir haben neben den Spaniern den schönsten Fußball gespielt, sind halt nur leider zu früh auf sie getroffen. Und wenn sich ein Abwehrspieler wie der Cucurella im Strafraum sagt: Ach, ich spiel jetzt mal Fang den Hut, und der Schiri nicht pfeift . . . Ich war zu der Zeit in England, wir haben das Spiel natürlich in einem Pub geschaut. Danach kamen die Engländer und sagten zu uns: „Ihr seid viel besser als unsere Three Lions, die spielen einen so langweiligen Fußball. Es ist wirklich unverdient, dass Ihr ausgeschieden seid. Das wäre ein astreiner Elfmeter gewesen. Wie kann man das nicht pfeifen?“ Obwohl der Schiedsrichter ein Engländer war. Trotzdem, es war eine fröhliche EM. Aber letztlich hat auch sie nichts an dieser miesen Grundstimmung im Land geändert, die uns seit drei Jahren eingeredet wird.

    Derzeit sorgt vor allem auch die Debatte ums Bürgergeld für Debatten. Dabei wird häufig so getan, als könnten die gut fünfeinhalb Millionen Bürgergeldempfänger alle arbeiten gehen, wollen aber nur nicht.

    Priol: Welch Irrsinn. Es sind 15.000 Arbeitsverweigerer. Darüber gibt es Studien. Die anderen sind in Umschulung, alleinerziehend, pflegen daheim Angehörige, sind Aufstocker und so weiter. Der harte Kern, der bewusst sagt: Ich will nicht arbeiten und nur das Geld abgreifen, das sind lediglich 15.000 Menschen. Dadurch entsteht dem Staat ein Schaden von 150 Millionen Euro im Jahr. Ärgerlich, klar, aber durch Steuerhinterzieher, Steueroptimierer, Steuervermeider entgehen dem Staat geschätzt 120 bis 170 Milliarden Euro. Es ist eine ganz einfache Rechnung: Durch die Bürgergeld-Faulenzer, die du immer haben wirst, in jedem Land, entsteht jedem Steuerzahler ein Schaden von jährlich 3,50 Euro. Durch die Steuerhinterzieher sind es 3500 Euro. Außerdem, das geht bei den populistischen Versprechungen über die Abschaffung des Bürgergeldes unter: So einfach abschaffen kann es eine neue Regierung gar nicht. Da spricht das Bundesverfassungsgericht ein Wörtchen mit.

    Zurück in den Sommer. US-Präsident Joe Biden hat damals seinen Rückzug im Präsidentschaftswahlkampf angekündigt.

    Priol: Ja, der Rückzug von Biden, mit dem kurzen Hoffnungsschimmer Kamala Harris. Hab’ ich damals schon gesagt: Langsam, langsam, Leute, soweit sind die Amerikaner noch nicht. Aber es gab so einen Hoffnungsschimmer, auch bei uns. Einige in der SPD dachten sich: „Wenn der Scholz jetzt den Biden macht, vielleicht hätten wir dann ja auch noch eine Chance.“ Aber Scholz ist halt Scholz. Ansonsten haben die klassischen Sommerloch-Themen gefehlt, weil die Politik auch das Sommerloch besetzt hat.

    Es gab nicht mal einen entlaufenen Lurch, der vom Boulevard zur Killermaschine hochgeschrieben werden konnte.

    Priol: In der Nähe von Schlitz im Nordhessischen gab es das Gerücht über eine exotische Seeschlange. Deshalb haben sie einen Badesee gesperrt. In der Nähe hatte Beatrix von Storch Urlaub gemacht. Sie hat natürlich sofort dementiert: „Ich bin alles, aber nicht exotisch.“

    Im September wurden im Osten neue Landtage gewählt – ein Triumphzug für die AfD.

    Priol: Ja, und es stellten sich Fragen: Brauchen wir jetzt für Deutschland auch eine Zwei-Staaten-Lösung? Wäre nicht auch dies ein schönes Konjunkturprogramm: Wir bauen die Mauer wieder auf, als antifaschistischen Schutzwall, diesmal zur anderen Seite hin ausgerichtet? Wie die Jugend gewählt hat, hat mich am meisten erschreckt. Ich war ja schon immer ein leidenschaftlicher Kämpfer dafür, das Wahlalter zu senken. Jetzt durften sie zumindest in Brandenburg ab 16 wählen, und bei den bis 24-Jährigen war sowohl in Thüringen wie in Sachsen und auch in Brandenburg die AfD stärkste Kraft. Was die Jugend dazu verleitet, diese alten weißen Männer zu wählen, die nach Mottenkugeln riechen, weiß ich auch nicht. Aber das sieht man ja in ganz Europa, das ist nichts Singuläres bei uns: Du musst mit 15 bis 20 Prozent unzufriedenem, gefrustetem Bodensatz rechnen, der in Richtung Braun tendiert. Den hat fast jede Gesellschaft. Aber wir müssen wirklich aufpassen, dass es auch bei dieser Zahl bleibt.

    Macht Ihnen das Angst?

    Priol: Nein, ich bin generell angstfrei. Vorsicht, ja! Aber Angst ist ein völlig falscher Ratgeber.

    Spätestens Ende Oktober sollen in der FDP die „D-Day“-Planungen für den Ausstieg aus der Ampel begonnen haben.

    Priol: So eine intrigante Truppe. Aber überrascht hat mich das nicht. Und die Begrifflichkeiten: offene Feldschlacht. Operation D-Day! Wir hatten in diesem Jahr 80 Jahre D-Day! Wenn die FDP damals mit Captain Chris Lindi bei den Alliierten gewesen wäre, kein Landungsboot hätte je Omaha Beach erreicht, und kein alliierter Fuß hätte französischen Boden je betreten, weil die FDP auf dem Weg dorthin alles zunichte gemacht hätte. Und jetzt im Wahlkampf werden sie es ausschlachten und sagen: Wir haben Deutschland vom Joch der Ampel befreit. Merz hat Lindner ja schon den Posten des Finanzministers versprochen, falls es für Union und FDP reichen sollte. Merz hat damals gesagt: „Christian, wenn Du in die Ampel gehst, bist du mein U-Boot, das U-Boot der CDU. Du musst alles torpedieren.“ Und nachdem er das brav gemacht hat, muss er ja auch belohnt werden.

    Im November stellte Angela Merkel ihre Memoiren vor.

    Priol: Ich habe 20 Seiten von ihrem Schmöker gelesen. Es ist unfassbar, was für ein riesiger Hype um dieses Kindergeplapper entstanden ist. Das ist die Bunte in dick. Das muss man erst mal hinkriegen. Wie sehr wünsche ich mir da den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki zurück. Der würde nur stöhnen: „Es ist ein grässliches Buch, ein grässliches Buch, das höchstens als Buchstütze taugt!“

    Sie hat offenbar auch keinen großen Hang zur Selbstkritik.

    Priol: Null Selbsterkenntnis. Null Selbstkritik. Gar nix. Immer so ein rotzig-beleidigtes (jetzt parodiert er sie): „Na ja, wenn Sie meinen, Angela Merkel ist an allem schuld, dann schreiben Sie das halt. Dann sagen Sie halt, die Merkel war’s.“ Na und? Wussten wir ja schon.

    Sie lässt Sie immer noch nicht los.

    Priol: Ich verstehe das einfach nicht. Sie sollte vielleicht mal erklären, warum wir in der Lage sind, in der wir sind. Sie hat doch Täterwissen!

    Und dann dieser 6. November . . .

    Priol: Aus kabarettistischer Sicht natürlich das Allerschlimmste: Du wachst auf, Trump kommt, du gehst ins Bett, die Ampel geht. Das waren sehr arbeitsintensive Momente. Ich hatte danach noch drei Auftritte.

    Und was bringt das neue Jahr?

    Priol: Wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass 2025 wieder genauso bescheuert wird, wie 2024 es war. Machen wir das Beste draus.

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