Herr Holetschek, Sie wurden am 8. Januar 2021, für Sie selbst überraschend, bayerischer Gesundheitsminister. Damit übernahmen Sie zugleich für das Jahr 2021 das Amt des Vorsitzenden der deutschen Gesundheitsministerkonferenz. Und Sie wurden mit einem Schlag von einem politischen „Hinterbänkler“ aus Bayerisch-Schwaben zu einem zentralen Akteur in der Bundespolitik. Fühlt sich das, salopp gefragt, nicht ziemlich gut an?
Klaus Holetschek: Ich habe ja dieses Amt inmitten der Corona-Pandemie übernommen und bin gleich vor großen Herausforderungen gestanden. Tatsächlich bleibt da keine Zeit, sich „ziemlich gut zu fühlen“ und das ist dieser Situation auch nicht unbedingt angemessen. Wer mich näher kennt, weiß, dass mir solche Befindlichkeiten ohnehin eher fremd sind. Ich übe eher mit großem Respekt und Demut mein Ministeramt aus. Außerdem bin ich schon lange genug in der Politik. Ich weiß, ein solches Amt ist immer auf eine bestimmte Zeit angelegt.
Lassen Sie uns ein bisschen an der Atmosphäre dieser Konferenz teilhaben. Wo findet sie statt? Wie lange dauert sie in der Regel?
Holetschek: Tatsächlich haben wir uns im Juni hybrid in München und im November real in Lindau getroffen. Es ist Tradition, dass das Bundesland, das den Vorsitz innehat, auch einmal in die eigene Region führt. Ich habe mich für Lindau entschieden, weil es ein besonders schöner Ort in Bayerisch-Schwaben ist. Aber meist haben wir uns nur digital getroffen – über 50 Mal. Wir haben über 70 Stunden Besprechungszeit gehabt, rund 90 Beschlüsse gefällt. In der Pandemie ist es wichtig, dass wir uns ständig abstimmen – und das haben wir auch getan.
Abseits jeglicher Parteizugehörigkeit: Mit welchem Amtskollegen haben Sie am schnellsten Kontakt aufgenommen, einen guten Draht aufgebaut?
Holetschek: Zuallererst möchte ich da den bisherigen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nennen, Karl-Josef Laumann aus Düsseldorf oder Monika Bachmann aus dem Saarland, alle drei CDU. Doch auch mit den Kollegen der anderen Parteien hatte ich umgehend einen guten Draht. Wir haben ja im Prinzip alle die gleichen Probleme. Das verbindet.
Mit wem kam es für Sie als Vorsitzender eher zu kontroversen Debatten?
Holetschek: Dissens gab es immer wieder in alle Richtungen, beispielsweise mit dem Bund über die Finanzierung der Impfzentren, die wir ja weitgehend offenhalten wollten. Auch mit Prof. Mertens von der Ständigen Impfkommission war ich nicht immer einig. Klar ist: Die Stimme der Wissenschaft ist natürlich wichtig. Sie ist mit ihren Einschätzungen naturgemäß oft vorsichtig. Aber die Politik muss Entscheidungen treffen, und das mitunter rasch. Das sind zwei Perspektiven, die sich deutlich unterscheiden können.
Man hatte von außen manchmal den Eindruck, dass Ihnen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn manchmal zu zögerlich war…
Holetschek: Zögerlich ist hier nicht der richtige Begriff. Es gab Reibungen. Etwa, dass Jens Spahn die Aufhebung der epidemischen Lage befürwortete, was die Ampelkoalition anfangs dann auch tat. Das habe ich nicht für richtig gehalten. Auch gab es unterschiedliche Ansichten mit dem Bund über das Thema der Freihaltepauschalen in den Kliniken, damit diese Bettenkapazitäten für Coronapatienten vorhalten.
Freuen Sie sich eigentlich, dass nun Karl Lauterbach das Bundesgesundheitsministerium führt? Er steht ja auch für eine strenge Corona-Linie, die Sie ja ebenfalls verfolgen.
Holetschek: Es steht mir nicht an, der SPD zu raten, wen sie zum Bundesgesundheitsminister beruft. Aber ich habe tatsächlich schon vor seiner Ernennung gesagt, dass ich es begrüßen würde, wenn Lauterbach als ausgewiesener Fachmann dieses Ministerium leitete. Ich habe ihn auch nur zwei Tage nach seiner Vereidigung besucht. Es ist gleich eine gute Zusammenarbeit entstanden. Mit kurzen Wegen, was ich sehr begrüße.
Sie geben nun das Amt als Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz am 1. Januar an Ihre Kollegin Petra Grimm-Benne aus Sachsen-Anhalt ab. Was hätten Sie im Rückblick anders gemacht?
Holetschek: In der Kommunikation nach außen hätten wir besser sein sollen. Etwa, als die Stiko ihre Empfehlungen zum Impfstoff AstraZeneca mehrmals änderte. Einmal hieß etwa: Astra nur über 65 Jahre, dann wieder nur unter 65 Jahre. Einmal so, dann wieder so. Das wirkte nicht immer nachvollziehbar.
Was ist besonders gut gelaufen?
Holetschek: Ich glaube, wenn wir einmal aus der zeitlichen Distanz auf diese Zeit zurückschauen werden, können wir sagen, dass wir im Großen und Ganzen gut gehandelt haben.
Viele Menschen, die bislang alles brav gemacht haben, was man ihnen in puncto Corona gesagt hat, fangen nun an, sauer zu werden. Jetzt sind sie zweimal geimpft – und müssen sich trotzdem wieder Kontaktbeschränkungen unterwerfen. Auch Sie haben immer gesagt: Impfen, impfen, impfen ist der Königsweg. War das ein Fehler?
Holetschek: Nein. Das Impfen wird letztlich trotzdem das Mittel sein, mit dem wir die Pandemie in den Griff kriegen werden. Aber wenn eine neue Situation vorliegt, wie jetzt mit der neuen Mutante Omikron, dann muss man auch den Mut haben, unsere Reaktion anzupassen. Und die heißt jetzt aktuell eben Boostern. Ich habe auch immer gesagt, dass ich gegen eine Impfpflicht bin. Ich musste aber meine Meinung ändern, weil die Wirklichkeit sich eben doch anders entwickelte, als ich dachte – und sich zu wenig Menschen für eine Impfung entscheiden.
Sie wohnen ja in Memmingen. Schlafen Sie unter der Woche im Ministerium? Oder fahren Sie abendlich heim?
Holetschek: Ich schlafe unter der Woche auf einer Klappcouch in einem Büro nahe des Bayerischen Landtags. Ich bin Frühaufsteher, meist schon ab fünf Uhr auf den Beinen und ich komme abends oft spät raus. Da lohnt es sich nicht, unter der Woche nach Memmingen zu fahren.
Die nächsten Wahlen in Bayern finden voraussichtlich im Herbst 2023 statt. Sie sind jetzt 57 Jahre alt, eigentlich noch kein Alter für einen Politiker. Welches politische Amt neben dem des Gesundheitsministers würde Sie noch reizen? Sie dürfen jetzt aber nicht sagen, dass Sie mit dem Amt des bayerischen Gesundheitsministers zufrieden sind und sich nichts Schöneres vorstellen können!
Holetschek: Tja, diese Antwort muss ich Ihnen aber trotzdem geben. Mir liegt viel daran, im Bereich Gesundheit und Pflege noch viel zu erreichen. Darum habe ich jüngst im Bundesrat den Vorschlag eingebracht, das Gehalt für Intensivpflegekräfte zu verdoppeln und Teile des Gehaltes überdies steuerfrei zu stellen, um den Worten der Wertschätzung den Pflegekräften gegenüber auch endlich Taten folgen zu lassen. Langfristig brauchen wir in der Pflege eine umfassende Reform für die Krankenhäuser und die Langzeitpflege. Das Thema Pflege wird eine Nagelprobe für die Politik. Da bin ich als bayerischer Gesundheitsminister aber aus meiner Sicht an der richtigen Stelle.