CSU-Chef Horst Seehofer weiß, was er will, aber er weiß offenbar nach wie vor nicht, wie er sich im Dauerstreit über die Flüchtlingspolitik gegen Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel durchsetzen kann. Eigentlich sollte im CSU-Vorstand ein Grundsatzpapier zur Zuwanderung beschlossen werden, mit dem die Partei auch ihre Forderung nach einer Obergrenze noch einmal bekräftigen wollte. Doch unmittelbar vor dem CDU-Parteitag entschied sich Seehofer, den Streit der Schwesterparteien nicht weiter anzuheizen.
Die offizielle Begründung von CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer lautete, die CSU wolle „ein allumfassendes Regelwerk zur Zuwanderung“ vorlegen, das noch um einige Aspekte ergänzt werden müsse. Ein Aspekt sei der gewaltsame Tod einer Studentin in Freiburg, für den ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling verantwortlich gemacht wird. Ein weiterer Aspekt seien die Ergebnisse einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey über eine konsequentere Rückführung abgelehnter Asylbewerber.
Die tieferen Gründe für die Vertagung aber, so berichteten Teilnehmer der Vorstandssitzung gestern unserer Zeitung, dürften wohl in taktischen Überlegungen zu suchen sein. Hier ist die CSU offenbar noch hin- und hergerissen.
Einerseits hatten Bundeskanzlerin Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erst jüngst für neue Verärgerung bei der CSU gesorgt, als sie eine Obergrenze von 200 000 Zuwanderern pro Jahr erneut ablehnten. Schäuble hatte gesagt: „Die Symboldebatte um eine Obergrenze braucht kein Mensch.“
Zuwanderungspolitik: "CSU bleibt geduldig"
Andererseits glauben die Christsozialen in München, dass sich die CDU möglicherweise doch Schritt für Schritt auf sie zubewegt. Sie setzen dabei insbesondere auf das Positionspapier des baden-württembergischen Innenministers und stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Thomas Strobl, der die Regeln für Zuwanderung verschärfen will. Neuerliche Attacken oder Provokationen aus der CSU könnten, so die Überlegung, den Prozess der Annäherung der Schwesterparteien eher behindern als befördern.
Scheuer fasste den Kurs seiner Partei nach der Vorstandssitzung in dem Satz zusammen: „Die CSU bleibt geduldig, hartnäckig und klar.“ Parteichef Seehofer hatte schon vor der Sitzung betont, dass er von der Forderung nach einer Obergrenze nicht abrücken werde: „Wir haben die ausführlich diskutiert, beschlossen, und es bleibt dabei. Das ist ja eine Frage der Glaubwürdigkeit einer Partei.“ Die CSU habe die Forderung auf ihrem Parteitag beschlossen und sie sei auch „von der Sache her dringend geboten“, sagte Seehofer. Andernfalls werde die Bevölkerung der Union den Satz „Das vergangene Jahr soll sich nicht wiederholen“ nicht abnehmen.
Ob CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik trotz all des Streits wieder zueinanderfinden, wird sich dieses Jahr höchstwahrscheinlich nicht mehr entscheiden. Erste Signale werden zwar schon Anfang dieser Woche vom CDU-Parteitag in Essen erwartet. Der CSU-Vorstand aber wird erst nach der Weihnachtspause und den Klausurtagungen Ende Januar wieder tagen. Das möglicherweise entscheidende Treffen der Spitzen von CDU und CSU findet dann im Februar in München statt. Bis dahin soll auch das Grundsatzpapier der CSU zur Zuwanderung fertig sein, sagte Generalsekretär Scheuer. Es werde, wie er versicherte, nicht in der Schublade verschwinden.