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Josefsheim: Die unbarmherzigen Schwestern

Josefsheim

Die unbarmherzigen Schwestern

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    Josefsheim Reitenbuch
    Josefsheim Reitenbuch Foto: Till Hofmann

    Kinder wurden im Reitenbucher Josefsheim misshandelt und missbraucht. Die Franziskanerinnen, die dort seit elf Jahren nicht mehr tätig sind, wollen nach langem Schweigen aufklären.

    Es ist ein sonniger Tag in Reitenbuch. Wer von der Bundesstraße 300 in den kleinen Ort 20 Kilometer westlich von Augsburg abbiegt, kann schon von Weitem das Josefsheim erkennen. Der bullige Baukomplex prägt den Ort.

    Seit 100 Jahren wird dort Kindern eine Heimat auf Zeit gegeben: Dort leben Buben und Mädchen, mit denen sich die Erwachsenen überfordert fühlten; es sind kleine Geschöpfe, gezeugt von unverheirateten Eltern, die mit dem Sohn oder der Tochter nichts anfangen konnten oder wollten.

    "Wir waren das Ergebnis einer Todsünde"

    "Wir waren die weggeschmissenen Kinder, wir waren das Ergebnis einer Todsünde", sagt ein heute 80-Jähriger, der 1933 in das Josefsheim gekommen ist und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die Schwestern hätten ein "schreckliches Regiment" geführt.

    Nachdem in dieser Zeitung vor rund zwei Wochen zum ersten Mal Misshandlungs-Vorwürfe öffentlich gemacht wurden, haben sich sechs weitere Personen gemeldet. Harry Kröger (46) gehört zu ihnen. Er leidet noch heute unter Albträumen und ist seit Jahren nicht mehr arbeitsfähig. "Als Bettnässer wurde ich mit einem Stock und ähnlichen Gegenständen geschlagen - nackt", berichtet der Kaufbeurer.

    "Kuhscheiße von den Fingern ablecken"

    Um den Kindern das Daumenlutschen abzugewöhnen, "mussten wir Kuhscheiße von den Fingern ablecken". Wer nachts nicht einschlafen wollte, musste mit dem Schäferhund Asta Bekanntschaft machen - und der Drohung, der Hund würde einem die Kehle durchbeißen.

    Die Schwestern haben wie auch die Christliche Kinder- und Jugendhilfe - der Trägerverein des Josefsheims unter dem Dach der Caritas - seit dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe reagiert.

    Leid aufarbeiteten

    "Wir haben die Meldungen sehr ernst genommen", sagt die Provinzoberin, Schwester Edith Krupp, die in der Ordensgemeinschaft das Leid der Heimkinder "aufarbeiten" möchte, "weil wir mit diesen Menschen in die Zukunft gehen wollen". In einer Stellungnahme zeigen sich die Franziskanerinnen "erschüttert und tief beschämt" über das Fehlverhalten in der Vergangenheit (siehe Im Wortlaut).

    Für einen "offenen Austausch" tritt auch Schwester Maria Elisabeth ein. "Wir dürfen jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen", sagt die Leiterin des Kinderheimes in Gundelfingen. "Gott sei Dank ist das jetzt raus." Die Schwester bedauert, dass ihre Ordensgemeinschaft nicht schon früher den Dingen auf den Grund gegangen ist. "Es bedurfte offenbar des Druckes von außen, um sich der Situation zu stellen."

    Keine Belege in den Akten

    Nicht für jeden erhobenen Vorwurf findet sich ein Beleg, sagt Bert Stegmann, Geschäftsführer des Trägervereins. So gebe es in Akten und Chroniken beispielsweise kein Anzeichen dafür, dass Kinder systematisch an umliegende Bauern ausgeliehen und ihre Arbeitskraft ausgebeutet wurde, wie ein ehemaliges Heimkind vorgehalten hatte.

    Aber es haben sich andere Nachweise gefunden - nachdem Harry Kröger von sexuellen Übergriffen "auf uns Jungs einschließlich mich" vor über 30 Jahren berichtet hatte. Er nannte den damaligen Heimgeistlichen, der "uns zwischen die Beine ging", als Täter. Für Schwester Maria Elisabeth schon allein deshalb vorstellbar, weil Priester, in deren Gemeinde es "Vorfälle" gegeben hatte, früher gerne zu Schwestern und den ihnen anvertrauten Kindern geschickt worden seien. "Das ist eigentlich eine Unverschämtheit", empört sie sich.

    Auch ein Nachbar des Josefsheims hatte Kinder sexuell missbraucht. Der Fall eines Buben, der dem Mann 50-mal zu Diensten sein musste, ist aktenkundig. Geldbeträge zwischen zwei und fünf Mark oder Süßigkeiten waren die Entlohnung. Ob der Nachbar jemals für sein Treiben bestraft wurde, wie viele weitere Kinder durch ihn Leid erfahren mussten und ob dies mit oder ohne Wissen der Nonnen geschah - all dies ist nicht bekannt oder strittig.

    Beginn des Aufklärungsprozesses

    Der christliche Kinder- und Jugendhilfeverein steht in Reitenbuch ebenso wie die Franziskanerinnen, die dort seit elf Jahren nicht mehr tätig sind, am Anfang eines Aufklärungsprozesses. Betroffene sollen sagen, "was gewesen ist". Schwester Edith und Pfarrer Andreas Magg, Vorsitzender des Trägervereins, wünschen sich Gespräche mit früheren Heimkindern, "damit wir uns ein umfassendes Bild machen können".

    Kröger ist erleichtert, seine Geschichte "erzählt, weg zu haben". Auf die Frage, warum er so lange geschwiegen hat, antwortet er: "Mir hätte das doch niemand geglaubt." Till Hofmann

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