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Augsburg: Das letzte Gefecht des Karlheinz Schreiber

Augsburg

Das letzte Gefecht des Karlheinz Schreiber

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    Karlheinz Schreiber.
    Karlheinz Schreiber. Foto: Ulrich Wagner

    Dienstag, 18. Januar 2000: Die CDU-Führung tritt in Berlin zu einer Krisensitzung zusammen. Altkanzler Helmut Kohl wird dazu gedrängt, den Ehrenvorsitz der Partei ruhen zu lassen, bis er seinen Beitrag zur Aufklärung der Parteispendenaffäre geleistet hat. Am Abend legt Kohl den Ehrenvorsitz nieder. Er will die Namen der Spender nicht nennen, weil er ihnen dies versprochen hat. Wer die Schwarzkonten gefüllt hat, ist bis heute unklar.

    Montag, 18. Januar 2010: Auf den Tag genau zehn Jahre später sitzt Karlheinz Schreiber (75), die Schlüsselfigur der CDU-Spendenaffäre, in seiner Neun-Quadratmeter-Zelle im Augsburger Gefängnis. Morgens beginnt am Landgericht der Prozess gegen ihn. Kein Mensch weiß, was er sagen wird.

    Von Schreibers Aussagefreudigkeit hängt ab, ob der Prozess noch Staub aufwirbelt. Vor zehn Jahren haben seine illegalen Parteispenden noch politische Beben ausgelöst. Im Februar 2000 musste der heutige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wegen Schreibers Geldgaben als Partei- und Fraktionsvorsitzender der CDU zurücktreten. Aus Kanada, wohin Schreiber sich vor der deutschen Justiz geflüchtet hat, drohte er immer wieder, erst noch richtig auszupacken. In Richtung Schäuble polterte Schreiber: "Ich lasse ihn in ein so tiefes Loch stürzen, dass er den Aufprall nicht hört." Zuletzt deutete zwar nicht mehr viel darauf hin, dass Schreiber wesentliche belastende Aussagen zurückhält, aber der Mann aus Kaufering im Landkreis Landsberg ist unberechenbar.

    "Mit hoher Wahrscheinlichkeit" wird der Angeklagte zu Prozessbeginn über seine Verteidiger eine Erklärung verlesen lassen, sagt sein Anwalt Stefan von Moers (München). Ob Schreiber ein Geständnis ablegen oder alle Vorwürfe zurückweisen wird, will von

    Schreiber soll rund elf Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Weiter hat er laut Anklage Provisionen für die Vermittlung von "Fuchs"-Spürpanzern nach Saudi-Arabien und auch Airbus-Geschäften kassiert. Den früheren Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls, der der Kohl-Regierung angehörte, soll Schreiber mit 1,9 Millionen Euro geschmiert haben. Pfahls hat dies zugegeben und wurde dafür 2005 in Augsburg zu zweieinviertel Jahren Haft verurteilt. Auch die beiden Thyssen-Manager Jürgen Maßmann und Winfried Haastert standen auf Schreibers Gehaltsliste. Sie wurden ebenfalls verurteilt.

    Die Vorgänge datieren aus den 80er und 90er Jahren. Das war die große Zeit des klein gewachsenen Geschäftemachers mit den listigen Äuglein. Durch die Freundschaft zum damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß wurde Karlheinz Schreiber im Freistaat ein kleiner König. Er verkehrte mit Spitzenvertretern der Wirtschaft. In der Kegelbahn seiner Villa in Kaufering lud er Spitzenpolitiker zu opulenten Abendessen und feuchtfröhlichen Abenden. Auch bei der Jagd traf man sich. Wenn Schreiber und FJS abends zusammensaßen, habe der damalige CSU-Generalsekretär Edmund Stoiber den beiden das Bier holen müssen, berichtete Schreiber einmal. Er wurde sogar Taufpate des Strauß-Sohns Max. Es war eine andere Zeit: Was man heute als Schmiergeld bezeichnet, konnte man damals als "nützliche Aufwendungen" beim Finanzamt sogar von der Steuer absetzen. Bestechung im Ausland war als Mittel zur Ankurbelung von Geschäften anerkannt.

    Als Schreiber wieder einmal mit seinem Partner, dem Schweizer Wirtschaftsjuristen Giorgio Pelossi, unterwegs war, schob er ihm im Flugzeug gut gelaunt einen Zettel hinüber, auf dem stand: "Giorgio, ich mache dich zum Millionär." Das Problem: Pelossi sah auch Jahre später kein Geld und fühlte sich um die versprochene Million betrogen. Im Streit drohte der Schweizer, steuerlich unsaubere Geschäfte des Kaufmanns auffliegen zu lassen. Um dem zuvorzukommen, ging Schreiber am 3. Februar 1995 zur Augsburger Steuerfahndung und wollte vor den "Lügengeschichten" seines Partners warnen. Das Rad des größten Politskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte war angestoßen.

    Für die Augsburger Steuerfahnder um den Amtsleiter Anton Gumpendobler und seinen "Spürhund" Winfried Kindler war bald klar: Die Geschäfte waren nicht sauber. In monatelanger Puzzlearbeit entschlüsselten sie Schreibers Kalender und ordneten den Codes Namen zu. Langsam kamen die Dimensionen des Falls heraus. "Holgart" stand für den Ex-Rüstungsstaatssekretär Ludwig-Holger Pfahls, "Waldherr" für den früheren CDU-Schatzmeister Walther Leisler Kiep. Auch die Thyssen-Manager Maßmann und Haastert tauchten auf. Bei "Master" und "Max" kombinierten die Fahnder, es müssten Vater und Sohn Strauß sein. Ein Geschäft über 440 Millionen Mark stach in den Akten besonders ins Auge, die Hälfte davon war Schmiergeld. Es ging während des ersten Golfkriegs um eine Lieferung von 36 "Fuchs"-Spürpanzern nach Saudi-Arabien. Thyssen baute diese Panzer.

    Zunächst wurden am 22. April 1999 Haftbefehle gegen Pfahls und die Thyssen-Manager erlassen. Dem CDU-Schatzmeister Kiep wurde die Sache zu heiß. Er ging in die Offensive und erzählte eine abenteuerliche Geschichte: 1991 habe ihm ein gewisser Karlheinz Schreiber an der deutsch-schweizerischen Grenze in einem Koffer eine Million Mark in bar übergeben - eine Spende für die CDU.

    So kamen die Schwarzgeldkonten des Helmut Kohl ins Spiel. Der Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier war auf die doppelte Buchführung gestoßen. Erst viel später räumte Kohl ein, zwischen 1993 und 1998 rund zwei Millionen Mark Parteispenden angenommen zu haben, ohne sie als solche auszuweisen.

    Wenig später ist es Angela Merkel, die der CDU als Erste empfiehlt, sich von Kohl abzunabeln. Er habe der Partei Schaden zugefügt. "Kohls Mädchen" wird die größte Profiteurin des Skandals. Denn kurz darauf muss der Parteivorsitzende Wolfgang Schäuble wegen einer 100 000-Mark-Spende Schreibers an die CDU zurücktreten. Merkel wird die neue Parteichefin, der weitere Verlauf ihrer Karriere ist hinlänglich bekannt.

    Karlheinz Schreiber, der die deutsche und die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt, beäugte die Geschehnisse aus dem fernen Kanada. Fast zehn Jahre lang wehrte er sich verbissen gegen eine Auslieferung nach Deutschland und stieß wüste Drohungen aus: "Denen werde ich noch 'ne Schlacht liefern." Am 3. August 2009 wurde er abgeschoben. Und die Republik hielt den Atem an.

    Denn ungeklärt ist zum Beispiel, für wen Schreiber das Konto "Maxwell" geführt hat, auf dem 5,2 Millionen Mark geparkt waren. Die Augsburger Justiz hat dieses Konto zunächst Strauß-Sohn Max zugeordnet - doch der wurde rechtskräftig freigesprochen. Schreiber hat einmal angedeutet, dass die Erträge dieses ursprünglich für Franz Josef Strauß angelegten Kontos an die CSU fließen sollten. Was sagt er jetzt dazu?

    Der Prozess wird einen juristischen Streit um den politisch brisanten Vorwurf der Bestechung bringen. Die 9. Strafkammer des Landgerichts Augsburg unter Vorsitz von Rudolf Weigell hat die Auffassung, dass dieser Vorwurf verjährt ist. Sie hat diesen Vorwurf aus dem Haftbefehl gestrichen. Die Staatsanwaltschaft hält aber an dem Bestechungsvorwurf fest. Das könnte zu der kuriosen Situation führen, dass die Bestechung in der Anklage verlesen wird, das Gericht sich damit aber nicht beschäftigen will. Schon jetzt ist zu ahnen, dass sich der Bundesgerichtshof mit dieser Problematik auseinandersetzen muss.

    Am Montag wird Deutschland für kurze Zeit wieder den Atem anhalten. Um kurz nach neun. Wenn Schreiber in seiner Zelle Marmeladenbrot und Tee zum Frühstück gehabt haben wird. Die größte Spannung speist sich aus seiner Unberechenbarkeit. Wenn er glimpflich davonkommen will, müsste Schreiber möglichst geräuschlos auftreten. Das Temperament könnte dem Mann aber in die Quere kommen, der über sich selbst sagt: "I was born ugly, not stupid" - Ich mag zwar hässlich sein, aber nicht dumm.

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