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Wie ein junger DDR-Flüchtling Augsburg erlebte.

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Von Ost-Berlin nach Augsburg: Wie ein DDR-Flüchtling den Westen entdeckte

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    Torsten Lange floh als junger Mann aus Ost-Berlin nach Bayern.
    Torsten Lange floh als junger Mann aus Ost-Berlin nach Bayern. Foto: Klaus Rainer Krieger

    In der Proviantbachstraße begann das Leben in Freiheit. Im September 1989 waren in der Augsburger Aufnahmestelle rund 120 DDR-Flüchtlinge untergebracht. Sie hatten genug von staatlicher Repression und einem Leben in eng vorgezeichneten Grenzen. „Augsburg ist für das Gros der Flüchtlinge nur Aufnahmestelle, Durchgangsstation“, berichtete unsere Zeitung damals. In der Fuggerstadt werde fast niemand bleiben, hieß es weiter. Denn eine Wohnung zu finden, sei in der Stadt nahezu aussichtslos. Torsten Lange war einer dieser Geflüchteten. Er floh im September 1989 über Ungarn und Österreich nach Augsburg. Drei junge Menschen versüßten dem damals 27-Jährigen die ungewissen Tage in der Stadt. Sie gingen essen, feierten wild. Dafür will sich Lange erkenntlich zeigen – und sucht die drei Unbekannten nach 35 Jahren.

    Aufgewachsen ist Lange in Ost-Berlin. „Wirtschaftlich ging es mir gut, ich hatte kein schlechtes Leben“, sagt der heute 62-Jährige. „Aber ich wollte etwas erreichen, wollte die Welt sehen“. Für DDR-Bürger war das bekanntlich nicht möglich. So entschied sich der junge Mann einen schweren Schritt zu gehen: Republikflucht aus der DDR. Er beantragte ein Visum für eine Reise nach Ungarn und bekam schließlich die Erlaubnis. „Nur mein Bruder war in die Pläne eingeweiht“, erzählt er. Das erste Etappenziel: Budapest. Lange beobachtete, wie aus dem Zug heraus mehrere Menschen verhaftet wurden. Es war die Zeit, in der viele DDR-Bürger die Flucht über Ungarn wagten. Lange hatte Glück, er kam unentdeckt in Budapest an.

    Erstes Gefühl für DDR-Flüchtlinge in Augsburg war Ernüchterung

    In der Zeit habe er einfach funktioniert. Seine Ex-Frau, seine zwei kleinen Kinder, seine Eltern, Freunde – alle blieben zurück in der DDR. „Natürlich habe ich oft an sie gedacht, aber ich musste raus“, sagt Lange. Nach einer Woche die Erlösung: Mit anderen Flüchtlingen durfte Lange über Österreich ausreisen. „Mein erster Gedanke auf einem österreichischen Rastplatz war: ‚Hier ist sogar der Rasen grüner.‘“ Zunächst kam er in eine Militärkaserne im Bayerischen Wald, anschließend in die Regierungsaufnahmestelle in der Augsburger Proviantbachstraße. Von dort sollten die Flüchtlinge in Bayern weiterverteilt werden.

    „Das erste Gefühl in Augsburg war: Ernüchterung“, sagt Lange. Es sei ein typisches Auffanglager gewesen, schmuddelig, die Sanitäranlagen in sehr schlechtem Zustand. „Wir schliefen zu zehnt in einem Raum“, erzählt Lange. In Augsburg sei er das erste Mal in einem westdeutschen Einkaufszentrum gewesen. „Nach einer Stunde bin ich mit Kopfschmerzen wieder heraus“, sagt er. Die Musik, das Warenangebot, er sei völlig überfordert gewesen. „Es gab ein Regal nur für Joghurt. Teilweise der gleiche Joghurt, nur von unterschiedlichen Herstellern. Ich dachte mir: Was für ein Schwachsinn. Dazu dutzende verschiedene Sorten Camembert. So etwas hatte ich noch nie gesehen“, erzählt Lange mit einem Lachen.

    Junge Augsburger luden Torsten Lange zum Abendessen und in die Diskothek ein

    An einem seiner Tage in Augsburg seien ein junger Mann und zwei junge Frauen mit einem Auto an der Aufnahmestelle vorbeigefahren. „Sie sprachen mich an, fragten, wo ich herkomme, ob ich Flüchtling bin. Sie waren mir gegenüber komplett unvoreingenommen.“ Anschließend luden sie Lange in ein bayerisches Lokal ein. Der Abend endete in einer Augsburger Diskothek. „Ich bin bis heute dankbar für diese Erfahrung“, sagt Lange. „Die waren so herzlich und offen. Wir hatten eine tolle Zeit.“

    Lange blieb fünf Tage in Augsburg, schließlich durfte er nach Kempten weiterreisen. „Mir hat die Stadt zugesagt. Nah am Bodensee und den Bergen, nicht weit nach Italien.“ Der junge Mann hatte bis auf wenige Kleidungsstücke und ein paar Hundert Forinth, die ungarische Währung, nichts in der Tasche. Später landete er in der Gebäudereinigungsbranche, machte seinen Gesellen, dann seinen Meister. Heute führt Lange zusammen mit einer Kollegin ein eigenes Unternehmen und übernimmt unter anderem die Glasreinigung beim Schulwerk der Diözese Augsburg. „Jedes Mal, wenn ich wieder nach Augsburg komme, denke ich an die drei jungen Menschen zurück, die mich damals angesprochen haben.“ Er hoffe, sie zu finden und 35 Jahre später zum Essen einladen zu können.

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