Sobald sich die Tür hinter dem Rücken der Besucher schließt, sobald sie mit einem Glockenklingeln zufällt, verwandelt sich der blanke weiße Raum in eine andere Welt. Hier, in der Neuen Galerie im Höhmannhaus, zeigt Franziska Kastner ihre Kunst. Sie präsentiert eine Ausstellung, in der alles durchsichtig scheint, und doch nichts so ganz klar wird: Ihre Kunst verpackt die junge Augsburgerin in trübe Folie, in schwach flimmernde Filmszenen und in ein milchiges Gefühl der Erinnerung.
Franziska Kastner zeigt ihre Werke in Augsburg
Die Fenster der Galerie, durch die man sonst sehr frei auf das Gewimmel in der Maximilianstraße blickt, hat Kastner verklebt. Milchige Glasfolie. In fünfeckige Kästchen gemustert und verschachtelt. Das Auge blickt wie durch trübe, kurzsichtige Insektenaugen und sieht doch nichts mehr von der Welt da draußen. Im Innern, an der blanken, weißen, langen Wand, flimmern dazu Filmszenen – man nimmt sie zuerst gar nicht wahr, so blass und schwach wirft sie der Projektor an die Mauer. Ist das ein Baumblatt im Bild? Wiegt es sich im Wind? Minuten braucht das Auge, um die Schemen zu sortieren, diese Video-Bilder zu etwas Erkennbarem zu kombinieren. Minuten braucht der Kopf, um Orientierung und ein konkretes Gefühl zu gewinnen in dieser Ausstellung. Denn alle Gedanken fühlen sich jetzt wie eingetaucht in ein Aquarium.
Franziska Kastner ist 1993 in Augsburg geboren. Von 2012 bis 2017 hat sie Bildhauerei, Klangkunst und Neuen Medien in Braunschweig studiert und arbeitet seit 2019 als freischaffende Musikerin und Künstlerin. Jetzt kehrt sie mit ihrer Kunst in ihre Geburtsstadt zurück und zeigt neue Werke. „Ich lebe im Spannungsfeld der Intuition“, so hat sie einmal ihre Arbeit beschrieben, als sie 2023 den Kunstförderpreis der Stadt Augsburg gewann. „Oft fange ich kurz vor dem Einschlafen an, Gedanken zu notieren. Durch Irrungen entstehen Offenheit und Hingabe.“ Etwas konkreter formuliert: Ihre Kunst spielt mit Installation und Performance, mit verschiedenen Medien und Materialien. Mit Traumszenen, Irritationen und Sentimentalität.
Traumhafte Szenen im Augsburger Höhmannhaus
Im halbdunklen Raum hat Kastner eine Leuchtplatte installiert und darauf ein Buch gelegt. Doch die Seite des Werks sind nicht aus Papier, sondern so durchsichtig wie auch undurchsichtig: Die Blätter sind aus Klarsichtfolie, aber bedruckt mit Text. Die Seiten stapeln sich, Buchstaben liegen über Buchstaben, und so wird alles plötzlich unlesbar. Wörter über Wörter, Schwarz über Schwarz. Erst wenn man eine einzelne Seite schräg gegen das Licht hält, kann man die Textschichten entziffern. Es sind kräftige, verwirrende Sätze: „Ein Knäul Wolle: Das blonde Haar war straff.“ Verdrehte historische Wortfetzen: „Truman Westeuropa containment wurde vermocht.“ Lyrische und skurrile Schnipsel: „Schnaps drückt Gefühle wie eine Zahnpastatube aus. Danach will er weinen so viel Alkohol, wie in einem Blutkreislauf.“ Kastner sagt dazu: „Die Unzulänglichkeit definierter Sprache(Wort) hat mich dazu inspiriert, eine Vielheit an Ausdrucksformen in Bewegung zu bringen, eine tiefe Arbeit mit Bewusst- und Unbewusstsein.“
Manche von Kastners Werke wirken wie Traumszenen: Kastner hat ein Zelt in der Galerie aufgeschlagen. Der Zeltstoff ist aus durchsichtigem, feinen Netz geschneidert, wie um Mücken abzuwehren, und auf dem Boden liegen ein paar Rot-Orange-Weiße Stricksocken. Eine verlassene Camping-Szene? Ein Zeltlager im Kinderzimmer? Und was hat es mit der Diashow auf sich, die da sehr blass in der Wandecke schimmert? Dort feuert Kastner ein Gewitter an Fotos ab: Menschen, Strände, Städte, unbekannte Gesichtern und erlebte Momente. In solchen Installationen spielt Kastner mit der Kraft von Sentimentalität und Kitsch. Aus solchen Motiven spricht der Wunsch nach Halt im Leben – und die Unmöglichkeit, ihn sicher zu finden.
Franziska Kastners Hommage an die Gefühle
In einer Videoperformance zeigt Kastner ihr Gesicht, das am Ende scheinbar in Wasser eintaucht, bis ihre Gestalt in Wellen verschwimmt. Durch den Kopfhörer klingen ihre Worte wie Rätsel: „Ich brauche die Schwerkraft nicht, ich existiere nicht mehr.“ Der Text verhallt in einem Raum, der Besuchern offensteht und trotzdem undurchschaubar bleibt. In einer Kunst, die undurchdringlich und durchsichtig zugleich sein will. „Manchmal fühle ich mich wie aus Glas zu sein, mit angebrochenen Merkmalen, transparent, hart und ziemlich zerbrechlich, als ob meine bloße Existenz schon Rebellion genug ist“, schreibt Kastner in ihrem Text zur Ausstellung. „Ich interessiere mich für sentimentalen Wert, denn kein Gefühl ist endgültig. Eine Hommage an die Freundschaft, sensible Momente und unermüdlichen Humor für ehrliche Verbindung.“
Für diese Hommage hat sich Kastner im Höhmannhaus einen Raum geschaffen, der Wirkung entwickelt – wenn man sich als Betrachter nur ausreichend Zeit und Ruhe nimmt. Sphärisches Klangrauschen, blasse Bilder, trübe Fenster: Man fühlt sich, als wäre man abgetaucht in ein Aquarium. Oder ... in eine Raumstation gestiegen? Dazu passt der Titel der Ausstellung: „You Won't Find It By Thinking“ – „nur durchs Denken und Grübeln wirst du es nicht herausfinden“.
Info: „You Won't Find It By Thinking“: Werke von Franziska Kastner in der Neuen Galerie im Höhmannhaus (Maximilianstraße 48). Die Ausstellung läuft bis zum 24. November und ist von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Informationen unter www.kunstsammlungen-museen.augsburg.de/franziska-kastner.
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