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Foto: Silvio Wyszengrad
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Kaum ist ein Patient im Krankenhaus abgeliefert, meldet sich die Leitstelle bei Domenick Dantanello mit einem neuen Einsatz.

Augsburg
13.12.2021

Rettungsdienst im Corona-Einsatz: "Manche übertreiben, andere spielen herunter"

Von Fridtjof Atterdal

Die Pandemie stellt Rettungskräfte vor Herausforderungen. Etwa, wenn Corona-Patienten auch ohne Symptome ins Krankenhaus wollen. Wie in der Leitstelle auf Anrufe reagiert wird.

Zu Beginn einer neuen Corona-Welle ist es immer besonders auffällig. "Die Leute bekommen ein positives Testergebnis und glauben, sofort ins Krankenhaus zu müssen", berichtet der Augsburger Leiter des Rettungsdienstes des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Augsburg, Lothar Ellenrieder. Die Mannschaften der Rettungsfahrzeuge sind dann quasi der erste Damm, der dafür sorgen muss, dass die Patienten die Kliniken nicht überspülen. Denn nicht jeder, der an Corona erkrankt, ist gleich ein Fall fürs Krankenhaus.

"Wir haben es regelmäßig mit einer hilflosen Bevölkerung zu tun", sagt der Rettungsdienstchef. Vielen Menschen mache die Covid-Diagnose solche Angst, dass sie am liebsten sofort ins Krankenhaus wollten. Und selbst manche Hausärzte würden ihre Patienten lieber in die Klinik einweisen, als sie in ihrer Praxis zu sehen. Die Krankenhäuser, die mit schweren Fällen genug zu tun hätten, würden durch solche Fälle zusätzlich belastet. Die Rettungsdienste seien von den Kliniken gebeten worden, die Patienten vor Ort zu beraten. Leichte Symptome könnten auch mit Hilfe des Hausarztes oder des notärztlichen Bereitschaftsdienstes Zuhause oder in der Arztpraxis behandelt werden.

Die Leitstelle kann nicht entscheiden, ob der Corona-Fall ein Notfall ist

"Das medizinische Fachpersonal ist in der Regel das erste, das den Patienten zu Gesicht bekommt", erklärt Ellenrieder. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin der Leitstelle, welche den allerersten Kontakt hat, könne am Telefon nicht entscheiden, ob der Patient ein echter Notfall ist. "Manche Anrufer übertreiben heftig, weil sie unbedingt ins Krankenhaus wollen, andere trauen sich gar nichts zu sagen und spielen ihre Symptome herunter." Deshalb werde in jedem Fall ein Rettungswagen geschickt.

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Diese Sozialberatung, welche die Notfallsanitäter und Rettungsassistenten bei den Patienten leisten müssten, sei nicht unproblematisch, sagt Ellenrieder. Denn über ärztliche Anordnungen dürften sie sich auf keinen Fall hinwegsetzen, und einen Patient, der auf eine Einweisung besteht, könnten sie schon aus Haftungsgründen nicht zurücklassen. "Im Zweifelsfalle wird dann noch ein Notarzt nachgeordert, der dem Patienten die Sachlage erklärt", berichtet Ellenrieder.

Natürlich könnten auch die Rettungswagenbesatzungen klassische Corona-Symptome wie Fieber, Erkältungssymptome oder Geschmacksverlust erkennen. Aber schon bei der Nachfrage, ob der Patient bereits Fieber gemessen habe, scheitere es oft. "Sie glauben gar nicht, wie viele Leute kein Fieberthermometer besitzen", sagt der BRK-Mann. Bei rund einem Drittel der Alarmierungen stelle sich heraus, dass der Patient kein Fall fürs Krankenhaus ist, so Ellenrieder. Und rund die Hälfte derer, die mitgenommen wurden, kann nach der Untersuchung im Krankenhaus wieder nach Hause zurückkehren.

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Foto: Silvio Wyszengrad
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Wenn ansteckende Patienten transportiert werden, muss sich der Retter im Fahrzeug aufwendig schützen.

Wenn ein Corona-Patient erst mal im Rettungswagen ist, beginnt für das Team dagegen Routine. "Grundsätzlich macht es für uns keinen Unterschied, welche Infektionskrankheit ein Patient hat - in so einem Fall geht das Personal immer mit maximalem Selbstschutz vor", sagt BRK-Wachleiter Björn Flocken. Das heißt, Schutzoverall, Schutzbrille, Maske und Handschuhe. Und auch, dass der Rettungswagen nach jedem Patienten desinfiziert werden muss, war schon vor Corona so. "Alle Flächen, die ein Patient berührt haben könnte, werden desinfiziert, wenn er stark gehustet hat, auch weiträumig", so der Wachleiter. Abends wird jedes Einsatzfahrzeug komplett gereinigt. Schwere Atemprobleme eines Patienten seien aus hygienischer Sicht sogar leichter zu handhaben, weil bei einem "geschlossenen System", also einer Atemmaske oder einem Tubus, die Luft nicht ins Rettungsfahrzeug entweiche.

Im Rettungsdienstbereich Augsburg fallen jede Woche 950 Krankentransporte an

Trotz Corona sei die Zahl der Transportfahrten in etwa gleichbleibend - die absoluten Einsätze gingen sogar etwas zurück, weil Transporte von geplanten OP-Terminen und Untersuchungen nur noch reduziert stattfänden, sagt Lothar Ellenrieder. Im Schnitt fallen im Rettungsdienstbereich des BRK Augsburg wöchentlich 950 Krankentransporte an. Was sich dagegen stark verändert hat, ist der Anteil von Covid-Patienten. Machten sie Anfang August noch ein Prozent der Transporte aus, sind es derzeit 31 Prozent.

Das bekommen die Rettungsfahrzeug-Mannschaften zu spüren, sagt Björn Flocken. Denn die "Verkleidung" mit voller Schutzausrüstung kostet rund 30 Minuten zusätzliche Zeit, was die einzelnen Einsätze deutlich verlängere. Bei einem "normalen" Dienst hätten die Männer und Frauen immer mal wieder Zeit, um nach einem aufreibenden Einsatz durchzuschnaufen, einen Kaffee zu trinken und das Erlebte zu verarbeiten. "Diese Pausen entfallen gerade komplett", weiß Flocken. "In dem Moment, in dem man sich aus der Ausrüstung geschält und am Funk 'bereit' eingegeben hat, kommt aus der Leitstelle schon der nächste Einsatz", berichtet der Wachleiter.

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Foto: Silvio Wyszengrad
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Der Digitalfunk im Rettungswagen liefert neue Einsätze.

"Wir haben keine vermehrten Krankmeldungen oder Mitarbeiter, die sich auf einen anderen Posten versetzen lassen wollen - dafür ist die Arbeitsdisziplin zu hoch", sagt Lothar Ellenrieder. Aber ohne Regenerationspausen sei der Job auf Dauer nicht zu machen. "Am ehesten merkt man es an der Stimmung, die jetzt häufiger gereizt ist", beobachtet er. "Aber die Leute wissen, das ihr Einsatz wichtig ist und halten sich trotz aller Schwierigkeiten wacker", lobt er die Rettungskräfte.

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