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Foto: Ulrich Wagner
Foto: Ulrich Wagner

In den Intensivstationen im Großraum Augsburg wird die Lage immer angespannter.

Region Augsburg
11.11.2021

Corona-Lage an schwäbischen Kliniken: "Es gibt kaum noch Spielraum"

Von Max Kramer

In Bayern gilt wieder der Katastrophenfall. Prof. Axel Heller, Krankenhaus-Koordinator im Raum Augsburg, spricht über die drastische Lage und folgenschwere Versäumnisse.

Herr Prof. Heller, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat den Katastrophenfall ausgerufen. Das klingt dramatisch. Was bedeutet der Schritt für die Krankenhäuser im Raum Augsburg?

Prof. Axel Heller: Er erleichtert vor allem organisatorische Abläufe und die Koordination zwischen den Krankenhäusern. Wir können nun Patienten flexibler verlegen, und zwar in ganz Bayern. Zuvor waren wir da überwiegend auf Schwaben beschränkt. Außerdem können wir schneller auf Personal von Hilfsorganisationen zurückgreifen, das uns zum Beispiel bei längeren Transporten sehr hilft. Diese Transporte brauchen wir aktuell häufiger, weil sich die Lage immer mehr zuspitzt.

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In Schwaben ist die Lage längst angespannt. Kommt der Katastrophenfall zu spät?

Prof. Heller: Aus unserer Sicht ja, weil der Druck auf die Krankenhäuser schon länger deutlich wächst. Wir sind im Krankenhauszweckverband Augsburg - dazu zählen die Stadt Augsburg und die Landkreise Augsburg, Aichach-Friedberg, Dillingen und Donau-Ries - aktuell zu 102 Prozent ausgelastet. Da geht gar nichts mehr.

Was bedeutet diese Auslastung ganz konkret?

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Prof. Heller: Wir müssen uns im Stundentakt untereinander austauschen, um die notwendigsten Behandlungen organisiert zu bekommen. Wenn sich der Zustand eines Patienten in Schwabmünchen drastisch verschlechtert, können wir den an der Uniklinik zwar aufnehmen - aber nur, wenn uns dafür Schwabmünchen einen Patienten abnimmt, der auf dem Weg der Besserung ist. Wir mussten kürzlich auch schon Patienten nach Unterfranken oder in die Oberpfalz verlegen. Aber auch dort gibt es kaum noch Spielraum.

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Foto: Silvio Wyszengrad
Foto: Silvio Wyszengrad

Professor Axel Heller ist Mediziner an der Augsburger Uniklinik und der Ärztliche Leiter der Krankenhaus-Koordinierung im Raum Augsburg und Nordschwaben.

Wie entwickelt sich die Situation auf der Normalstation?

Prof. Heller: Wir haben in den vergangenen vier Tagen im gesamten Zweckverband täglich zehn Covid-Patienten hinzubekommen. Ein Teil davon landet früher oder später auf der Intensivstation.

Helfen Ihnen die Erfahrungen aus früheren Wellen?

Prof. Heller: Nur sehr bedingt, weil sich einige Faktoren grundlegend verändert haben: Die Inzidenzen führen unter der gegebenen Impfquote jetzt zu anderen, unvorhersehbaren Krankenhauszahlen. Die Delta-Variante bedingt längere Verläufe, auch mehr Jüngere sind betroffen. Vor allem aber haben wir ein Kapazitätsproblem: Wir haben kaum noch verfügbare Betten, weil Schwaben strukturell unterversorgt ist. Aktuell laufen Gespräche mit der Hessingklinik, wo wir bereits in früheren Wellen Patienten unterbringen konnten. Doch selbst wenn wir dieses allerletzte Register ziehen können: Das große Problem wird damit auch nicht gelöst. Uns fehlen im Zweckverband seit April 80 Intensiv-Pflegekräfte, das entspricht einem Defizit von 26 Intensivplätzen.

Womit ist dieser Personalschwund aus Ihrer Sicht zu erklären?

Prof. Heller: Unsere Mitarbeiter sind müde - körperlich, aber auch davon, sich für die vielen Patienten aufzuopfern, die sich wider besseren Wissens nicht impfen lassen wollten. Das ist schwer vermittelbar. Man muss sich bewusst sein: Diese Mitarbeiter sind langfristig weg. Von 80 verlorenen kommen bestenfalls 15 wieder. Dieses Problem wird uns auch nach Corona beschäftigen.

Inwiefern wirkt sich diese Situation auf schwer kranke Nicht-Corona-Patientinnen und -Patienten aus?

Prof. Heller: Inzwischen müssen auch Eingriffe verschoben werden, die eigentlich innerhalb von zwei oder drei Wochen dringend notwendig wären - etwa Gehirntumore oder schwerere Herzerkrankungen. In unseren Konferenzen geht es inzwischen darum: Wer braucht das Intensivbett nach der Operation am allerdringendsten - und wie verteilen wir die Betroffenen? Hinter jedem, der operiert wird, stehen ein bis zwei Personen, die nicht operiert werden können.

Das klingt nach Triage.

Prof. Heller: Davon möchte ich nicht sprechen, auch wenn wir auf gewisse Art natürlich schon jetzt priorisieren müssen. Wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Diskurs darüber, was möglich ist - und was zu einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr.

Hat die bayerische Krankenhaus-Ampel versagt?

Prof. Heller: Der Grenzwert von 600 mit Covid-Patienten belegten Intensivbetten war aus meiner Sicht viel zu hoch gewählt - zumal diese Angabe keine Rückschlüsse über regionale Entwicklungen zulässt. Der Wert 400 wäre deutlich zielführender gewesen.

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Was ist aus Ihrer Sicht nun erforderlich?

Prof. Heller: Wir müssen deutschlandweite Verlegungen stärker ins Auge fassen. Bundesländer wie Thüringen oder Sachsen haben davon bereits ausgiebig Gebrauch gemacht, Bayern noch nicht.

Voraussetzung dafür ist ein Hilfeersuchen beim Gemeinsamen Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern (GMLZ). Was hält Bayern davon ab?

Prof. Heller: In Bayern herrscht das Selbstverständnis: 'Wir brauchen keine fremde Hilfe.' Bislang haben die Krankenhäuser auch immer Lösungen gefunden. Jetzt wäre es aber an der Zeit, davon abzurücken und um Hilfe zu bitten. Konsequenterweise hieße das, dass die Bundeswehr mit einem Flugzeug kommt und beispielsweise acht Covid-Patienten aus Augsburg nach Kiel oder Hamburg verlegt.

Zur Person: Prof. Dr. Axel Heller, Jahrgang 1969, ist Ärztlicher Leiter Krankenhauskoordinierung im Raum Augsburg und als solcher Bindeglied zwischen den Krankenhäusern im Rettungszweckverband Augsburg. Seit September 2018 ist er Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Universitätsklinikum Augsburg und seit Oktober 2019 Prodekan der Medizinischen Fakultät der Universität Augsburg.

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