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Zusmarshausen/Scheppach: 75 Jahre Waldwerk Kuno: Warum wir nichts vergessen dürfen

Zusmarshausen/Scheppach

75 Jahre Waldwerk Kuno: Warum wir nichts vergessen dürfen

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    Dieser Blick ins Waldwerk Kuno wurde im April 1945 von US-Soldaten aufgenommen.
    Dieser Blick ins Waldwerk Kuno wurde im April 1945 von US-Soldaten aufgenommen. Foto:  US National Archives and Record

    Immer wieder kommt bei Führungen durch das ehemalige Waldwerk Kuno im Scheppacher Forst die Frage nach dem Warum. Warum müssen wir 75 Jahre danach erinnern, was damals versteckt im Wald passiert ist? Die Antwort ist einfach: Weil wir nicht vergessen dürfen. Das hat nichts mit einer kollektiven Schuld zu tun, von der immer wieder die Rede ist. Nein, wir sind nicht schuld daran, dass vor 75 Jahren Menschen im Wald ausgebeutet und versklavt wurden.

    Im Herbst 1944 waren es sogenannte Ostarbeiter, die im Wald an der damaligen Reichsautobahn die geheime Flugzeugfabrik von Hand bauen mussten. Sie müssten Tonnen Erdreich bewegen, ebenso viel Beton mischen, die Fundamente gießen und dann die Baracken errichten. Danach kamen die jüdischen KZ-Häftlinge aus Augsburg, die bereits bei Messerschmitt im Flugzeugbau gearbeitet hatten.

    1000 Frauen kamen aus den Lagern Bergen-Belsen und Ravensbrück

    Sie sollten im kalten Winter 1945 die angelieferten und vorgefertigten Bauteile montieren, damit am Ende die Me262 auf der Autobahn abheben konnte. Zuletzt kamen 1000 Frauen aus den Lagern Bergen-Belsen und Ravensbrück. In zwei Zügen, in Waggons gepfercht, wurden sie wie Vieh durch Deutschland transportiert. Viele überlebten die Hölle auf Schienen nicht. In Burgau angekommen - mehr tot als lebendig - wurden 150 Frauen für die Arbeit im Waldwerk Kuno ausgewählt. Dafür gab es eine Extra-Portion Essen: eine zweite Scheibe Brot am Tag. Die anderen Frauen blieben hinter Stacheldraht im Lager an der Mindel: Ohne Perspektive, ohne Hoffnung und ohne Lebensmut. Für die Jüdinnen, die überwiegend aus Polen und Ungarn kamen, gab es nur ein Ziel: Irgendwie den Tag überleben und vielleicht das Morgen noch erleben. Angst war ein ständiger Begleiter. Die SS-Wachen wurden gefürchtet.

    Auch der Bayerischer Rundfunk hat einen Beitrag mit Maximilian Czysz und Hans-Peter Englbrecht über das Waldwerk Kuno gedreht.
    Auch der Bayerischer Rundfunk hat einen Beitrag mit Maximilian Czysz und Hans-Peter Englbrecht über das Waldwerk Kuno gedreht. Foto: Marcus Merk

    Ein Überlebender berichtete nach dem Krieg, dass eine Frau im Lager gegeben hatte, die mit einer Peitsche aus Elektrodrähten erbarmungslos zugeschlagen hätte. Wachen prügelten auf einen noch jugendlichen Häftling ein, weil er einen Splint an einem Düsenjäger nicht fest genug montiert hatte. SS-Mitglieder, die das Burgauer Lager bewachten, schossen auf Bauern, die zu Ostern 1945 den abgemagerten Frauen hinter dem Stacheldrahtzaun etwas Essen zuwerfen wollten.

    Vermutlich gab es auch deutlich mehr Tote

    Es gab ohne Zweifel das Unrecht vor der eigenen Haustür, unter dem damals im Wald und im KZ Burgau hunderte Menschen leiden mussten. Vermutlich gab es auch deutlich mehr Tote, als bislang offiziell bekannt ist. Darauf lässt das erhaltene kleine Schwarzweiß-Bild schließen. Es stammt von einem Zusmarshauser Fotografen und zeigt mehrere Leichen in einem Waldstück.

    Im Herbst 2018 eröffnete ein Gedenkweg, der an das geheime Waldwerk Kuno im Scheppacher Forst erinnern soll. Dort mussten Zwangsarbeiter und jüdische Häftlinge Bauteile für Hitlers Wunderwaffe Me262 montieren.
    Im Herbst 2018 eröffnete ein Gedenkweg, der an das geheime Waldwerk Kuno im Scheppacher Forst erinnern soll. Dort mussten Zwangsarbeiter und jüdische Häftlinge Bauteile für Hitlers Wunderwaffe Me262 montieren. Foto: Marcus Merk (Archiv)

    Die abgemagerten und nackten Körper wurden nebeneinander auf dem Waldboden abgelegt. Wer sie sind und wie sie zu Tode kamen - das ist nach wie vor ein Rätsel. Denn der Fotograf hat keinerlei Informationen dazu hinterlassen. Weil aus der Region keine größere Zahl von Toten bekannt ist, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Aufnahme aus dem Waldwerk stammt. Wurden die letzten Arbeiter vor dem Einmarsch der Amerikaner liquidiert? Das Foto lässt viele Spekulationen zu. In jedem Fall macht es betroffen.

    Ein Besuch vor Ort macht nachdenklich

    Wer heute im Wald zwischen Windrad und dem monotonen Rauschen des Autobahn-Verkehrs steht, die Reste des geheimen Anlage sieht und das damit verbundene Leid erahnt, wird unweigerlich geerdet. Der Besuch des 2018 mit den Bayerischen Staatsforsten entstandenen Gedenkwegs macht nachdenklich. Wer an dem Ort steht, wo sich Leben und Tod so nahe waren, kommt sich selbst näher.

    Der hinterfragt sich. Auf was kommt es wirklich an im Leben? Was bedeuten Freiheit, Frieden und Wohlstand? Sie sind keine Selbstverständlichkeit, wie die Geschichte zeigt. Sie müssen erarbeitet werden. Wer Demokratie will, muss Mitte März zur Wahl gehen. Wer erhalten will, was nach dem Krieg aufgebaut wurde, muss auch Verantwortung für unsere christlichen Werte übernehmen. Das ist eine der vielen Botschaften, die in der Geschichte des Waldwerks Kuno stecken.

    Den Männern heimlich nachts immer wieder Essen hingelegt

    Eine andere hat eine Bäuerin aus einem kleinen Dorf nahe der Flugzeugfabrik vorgelebt. Katharina Felber half Ostarbeitern, die Kuno aufbauen mussten. Sie legte den Männern heimlich nachts immer wieder Essen vor ihrem Hof ab. Die Zwangsarbeiter bauten ihr zum Dank eine Kartoffelpresse. Sie ist ein Zeugnis der Menschlichkeit.

    Eine Kartoffelpresse bauten Ostarbeiter einer Helferin zum Dank.
    Eine Kartoffelpresse bauten Ostarbeiter einer Helferin zum Dank. Foto: Fink

    Die Bäuerin hatte damals nicht lange überlegt, was ihr hätte passieren können. Sie ist ihrem Herzen gefolgt und hat geholfen. Auch wir sollten heute oft mutiger sein und unserem Bauchgefühl vertrauen. Gerade, wenn wir fühlen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Dass etwas nicht richtig läuft in unserer Gesellschaft. Jeder hat dazu auch Möglichkeiten: Vor Ort oder beispielsweise auch über die Zeitung, die Leserbriefe veröffentlicht und so dazu beiträgt, dass sich jeder eine Meinung bilden kann. Eine eigene Meinung zu haben, war vor 75 Jahren verboten. So weit darf es nie wieder kommen.

    • FernsehenIIn der Mediathek des BR gibt es einen aktuellen Beitrag über das Waldwerk Kuno von Joseph Weidl.

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