Bäume und Baumgruppen sind wichtige gestalterische Elemente unserer Landschaft, insbesondere auch im Zusammenspiel mit Bauwerken. Zu einem solchen von Natur und Kultur geprägten Ort führt dieses Mal unsere Serie über Lieblingsbäume: die Martinskapelle auf der südlichen Flur von Dießen. Ursula Gmelin-Brill kommt gerne an diesen etwas abgelegenen Platz und das hat nicht nur mit den mächtigen Kastanien und Eichen, die die Kapelle beschirmen, zu tun, wie sie schreibt:
Meine Vorliebe für die Stelle liegt zunächst einmal an der Figur des Sankt Martin selbst, dessen Gedenktag der 11. November ist. Er lebte von 315/16 bis 397. Geboren im westlichen Ungarn wurde er von seinem Vater, einem römischen Offizier, auch zu diesem Beruf bestimmt. Mit 15 Jahren kam er zur Ausbildung nach Norditalien und wurde dort irgendwann getauft. Nachdem er seinen 25-jährigen Dienst in der Armee abgeleistet hatte, war er mit 40 Jahren ein freier Mann. In einem älteren Buch las ich, dass er sich geweigert habe, die Barbaren bei einem Einfall zu bekämpfen und dafür sei er im Gefängnis gewesen. Das kann natürlich dem Wunsch entsprungen sein, wenigstens ein bisschen Martyrium unterzubringen. Jedenfalls war Martin der erste Heilige, der verehrt wurde, ohne für seinen Glauben das Martyrium zu erleiden.
In der Martinskapelle bei Dießen ist die Szene der Mantelteilung zu sehen
Er ging wieder nach Frankreich - die Szene mit dem Bettler spielte sich vor Amiens ab - und siedelte sich nahe der Stadt Tours in den Ruinen einer römischen Villa an. Er muss eine sehr charismatische Persönlichkeit gewesen sein, denn bald konnte er sich vor „Followern“ kaum retten, und durch sein Beispiel der Armut und Liebe kamen viele zum christlichen Glauben. Nur sehr widerwillig wurde er Bischof von Tours. Der Legende nach hatte er sich in einem Gänsestall versteckt, um seiner Nominierung zu entgehen, doch die schnatternden Gänse verrieten ihn.
Das barocke Altarbild in der Kapelle südlich von Dießen unterhalb der Schatzbergalm zeigt die berühmte Szene mit der Teilung des Mantels für den Bettler, was übrigens eine Straftat war, da der Offiziersmantel teils dem römischen Staat gehörte und nicht beschädigt werden durfte. Sankt Martin ist einer der volkstümlichsten Heiligen, schon die Kindergartenkinder kennen ihn.
Eichen und Kastanien sorgen für eine heimelige Atmosphäre an der Kapelle
Die erste Martinskirche der Welt wurde 470 in Tours gebaut, im frühen Mittelalter folgten unzählige weitere, so auch in Dettenhofen, Hechenwang, Herrsching und südlich von Dießen an dem Ort, der bis heute St. Martin in Hädern heißt. Nachdem die Kirche dort wohl an die 1000 Jahre auch nach Zerstörungen wie etwa beim letzten Ungarneinfall 955 immer wieder erneuert worden war, ging sie in der Umbruchszeit von Französischer Revolution und Säkularisation zugrunde. Zuletzt wurde der Platz um die Kapelle (heute im Wald neben dem Umspannwerk) 1799 genutzt, um die im Lazarett im Dießener Kloster verstorbenen russischen Soldaten, die sich auf dem Rückzug aus Italien befunden hatten, zu beerdigen. Vielleicht hat das damit verbundene Grauen vor diesem Platz den Abbruch des Kirchleins begünstigt. Ein Schäffler aus St. Georgen kaufte das Gebäude, um aus ihren Steinen Baumaterial zu gewinnen. Aus einem Teil davon wurde später nahe dem Schatzberg die heutige Kapelle errichtet.
Umgeben ist die Kapelle von zwei Eichen und fünf Kastanien: Mit ihrem kräftigen Wuchs und saftigem Grün sind sie, deren Lebenszeit die der Menschen meist übersteigt, wie ein starker Schutz und Geborgenheit für das heimelige Kirchlein. Es verbindet uns durch die vielen Jahrhunderte mit unsern Ahnen, die dieses wunderbare Beispiel der Mitmenschlichkeit nicht untergehen lassen wollten.
Die heutige Kapelle liegt abgeschieden
Im Gegensatz zu dem ursprünglichen Kirchlein, das ganz nah an der wichtigen Römerstraße lag, die von Raisting den Ammersee entlang führte, liegt der heutige Bau an abgelegener Stelle. Nach den letzten Häusern am Ziegelstadel ist ein kleiner Parkplatz. Dort wählt man zu Fuß die Straße Richtung Raisting, und nach höchstens zehn Minuten langt man unterhalb des Kirchleins an. Dort biegt man nach rechts in einen Feldweg ein und geht die letzten Schritte über die Wiese.
Auch Sie können hier Ihren Lieblingsbaum vorstellen. Schicken Sie eine Mail an katharina.waibl@bn-landsberg.de. Wir helfen gerne. Wir schreiben Ihre Gedanken auf und fotografieren auch. (AZ)
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden