Herr Wilhelm, haben Sie Ihre Boxhandschuhe schon griffbereit?
Ulrich Wilhelm: (schmunzelt) Boxhandschuhe?
Als ARD-Vorsitzender haben Sie harte Verhandlungen vor sich.
Wilhelm: Das kann man so sagen.
Erst befasst sich die Politik damit, wie der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks künftig definiert wird. Und 2019 geht es um seinen Finanzbedarf.
Wilhelm: Die kommenden zwei Jahre bringen in der Tat wichtige Weichenstellungen. Für uns steht im Mittelpunkt, mit hochwertigen Programmen unserem Publikum weiter zuverlässig Orientierung zu bieten und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu unterstützen. Das erfordert, dass wir in der journalistischen Qualität nicht nachlassen.
ARD und ZDF haben vorgeschlagen, bis 2028 mehr als 1,2 Milliarden Euro einsparen zu wollen; den Ministerpräsidenten genügt das nicht.
Wilhelm: Der Wille zu Reformen und Kooperation ist klar vorhanden. ARD, ZDF und Deutschlandradio wollen künftig noch stärker zusammenarbeiten, um effizienter zu werden und Kosten zu sparen. Schon jetzt passiert hier sehr viel. Ein Beispiel: Wir tauschen bereits Übertragungswagen aus oder bilden gemeinsame Teams bei Olympischen Spielen oder Fußball-Weltmeisterschaften. Doch aus der Struktur allein werden wir die geforderten Einsparungen sicher nicht stemmen können.
Politiker fordern, dass der Rundfunkbeitrag von 17,50 Euro pro Monat und Haushalt ab 2021 stabil bleibt. Stimmt es, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio dafür weitere drei Milliarden Euro einsparen müssten?
Wilhelm: Die Größenordnung stimmt, deswegen sage ich: Eine solche Summe ließe sich leider nur mit überall sichtbaren Folgen im Programm streichen. Zugleich sagen die Ministerpräsidenten aber, dass sie keinen Programmabbau wollen. Das ist ein Widerspruch in sich, die Rechnung geht nicht auf.
Senderfusionen, um Milliarden einzusparen?
Um diese Summe einsparen zu können, müsste man also Sender fusionieren. Oder gleich die ARD zu einer Art Regionalprogramm umbauen, oder?
Wilhelm: Eine solch fundamentale Veränderung unseres Auftrags kann nur der Gesetzgeber beschließen. Abgesehen davon ist die ARD ja bereits föderal gestaltet, föderal wie die Bundesrepublik – mit starken regional verankerten dritten Programmen und Radiowellen, die die Vielfalt des Landes abbilden. Der BR stiftet doch gerade in Bayern mehr Identität als ein fusioniertes Gebilde.
Sie sind für einen höheren Rundfunkbeitrag. Wie wollen Sie denn die Ministerpräsidenten, die über dessen Höhe entscheiden, sowie die Beitragszahler davon überzeugen?
Wilhelm: Wir kämpfen doch nicht für immer mehr Geld. Wofür wir aber werben, ist zumindest ein Ausgleich der Teuerung. Den hatte der BR in den vergangenen Jahren nicht mehr und ohne den geht’s schlicht nicht. Viele Bürger können das sicher nachvollziehen: Wie alle Unternehmen haben auch wir steigende Energiekosten oder Gehaltserhöhungen durch neue Tarifverträge. Der Rundfunkbeitrag dagegen ist seit Jahren gleich geblieben und zuletzt gesunken, auf jetzt 17,50 Euro. Wenn ein Ausgleich ausbleibt, müssen wir die Qualität ausdünnen.
Kräftige Einsparungen im Programm?
Wilhelm: Die gibt es bereits.
Das stimmt. Die Sommerpausen, etwa die des „Tatort“, werden länger. Es gibt mehr Wiederholungen, und der BR hat das „Mittagsmagazin“ abgegeben. Im BR fürchten viele nun aber einen regelrechten Kahlschlag, freie Mitarbeiter bangen um ihre Aufträge.
Wilhelm: Für das Jahr 2018 steht unser Haushalt weitgehend, da werden wir mit maßvollen Kürzungen im Programm noch einmal über die Runden kommen.
Und nach 2018?
Wilhelm: Ohne Ausgleich wird es das Programm noch stärker treffen.
Gibt es bereits eine Streichliste?
Wilhelm: Für die Jahre ab 2019 warten wir die Klärung im Länderkreis ab. Viele der betroffenen Programme haben einen hohen Wert für die Gesellschaft, und unser Publikum wird sich sehr für sie einsetzen. Die Erfahrung zeigt: Hochwertige Programme, die bei uns einmal gestrichen sind, werden nicht durch andere Anbieter ersetzt. Meine Frage ist: Will die Politik in Bayern das?
Viele empfinden den Rundfunkbeitrag als „Zwangsgebühr“ und würden liebend gerne auf die Angebote der Öffentlich-Rechtlichen verzichten.
Wilhelm: Diesen Eindruck teile ich nicht. Unser Ansehen und die Akzeptanz der Programme in der Bevölkerung sind etwa in Bayern ungebrochen hoch. Natürlich gehen wir sorgsam mit öffentlichen Geldern um und sparen, wo wir können. Und wir stellen uns jeder Diskussion, sind kritik- und lernfähig. Aber am Ende ist es eben so: Qualität hat ihren Preis.
Viele empfinden den Rundfunkbeitrag als „Zwangsgebühren“
Bereuen Sie, dass der Rundfunkbeitrag vor fünf Jahren eingeführt wurde? Seitdem muss jeder Haushalt zahlen, auch wenn er gar kein TV-Gerät hat.
Wilhelm: Bei denjenigen, die unsere Angebote nicht wollen, ist für uns der Rechtfertigungsdruck gestiegen. Auf der anderen Seite hätten wir ohne die Umstellung auf eine Haushaltsabgabe riesige Probleme bekommen. In der digitalen Welt kann schließlich jeder ohne Radio und Fernsehgerät auskommen und dieselben Programme eben im Internet verfolgen. Die Politik musste da reagieren.
Beitragsgegner lassen das nicht gelten.
Wilhelm: Teile der kritischen Öffentlichkeit akzeptieren das nicht, ja. Aber die Rechtslage war zunehmend ungerecht, weil Besitzer von Radio- und Fernsehgeräten für alle den Löwenanteil zahlen mussten. Das haben auch die Gerichte bestätigt.
Warum setzen Sie sich nicht für eine Reform des Rundfunkbeitrags ein, um die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Systems zu erhöhen? Man könnte es ja aus Steuermitteln finanzieren...
Wilhelm: ...und in vielen europäischen Ländern wird das so gehandhabt. Deutschland hat aus geschichtlichen Gründen ein anderes System: Der Rundfunk sollte nie wieder zum Instrument einer Diktatur werden. Die Finanzierung durch eine gesonderte Gebühr oder einen Beitrag ist überdies sehr zeitgemäß, da sie anders als eine Steuer eine staatsferne Finanzierung darstellt: Die Politik soll nicht über die Zuweisung von Steuermitteln indirekt über Programminhalte mitbestimmen können.
Könnten Sie sich denn Abo-Modelle wie im Bezahlfernsehen oder bei Streamingdiensten vorstellen? Jeder könnte Programminhalte paketweise buchen und bezahlen.
Wilhelm: Dann wären viele anspruchsvolle Inhalte wie unsere Klassik, Hör- oder Fernsehspiele sowie die Kultur- und Bildungssendungen, die hochwertig sind, aber nicht von der großen Masse genutzt werden, nicht mehr finanzierbar. Der Rundfunk wurde ja deshalb als solidarisches Modell gegründet: Letztlich bieten wir für unser Gesamtpaket mit dem Rundfunkbeitrag für die unterschiedlichsten Interessen eine Lösung an, die es über Bezahlmodelle nicht gäbe.
Kritiker bezeichnen die ARD als „Staatsfunk“. Schmerzt Sie das?
Wilhelm: Vom Begriff „Staatsfunk“ halte ich rein gar nichts. Er klingt nach „Staatsjournalismus“ – und das spricht uns unser ernsthaftes und tägliches Bemühen um Qualitätsjournalismus ab, zumal Qualitätsjournalismus immer unabhängig ist. Erst recht wird der Begriff den Journalisten in unseren Häusern nicht gerecht, die ja genauso gut ausgebildet sind wie die Zeitungskollegen.
Im November wehrten sich Redakteure von ARD, ZDF und Deutschlandradio gegen eine aus ihrer Sicht „seit Monaten laufende Kampagne einiger Print-Medien gegen die öffentlich-rechtlichen Sender“. Gibt es diese?
Wilhelm: Ich rechne solche Aussagen eher der aktuell aufgeheizten Lage zu – kurz bevor die Politik wichtige Entscheidungen zu unserem Auftrag treffen muss. Da wächst die Hektik. Aber am Schluss muss ein fairer Interessenausgleich stehen. Und den erreicht man in einem ruhigen Gesprächsklima besser. Denn im Grunde ist die Lage doch klar: Zeitungsverlage und der öffentlich-rechtliche Rundfunk haben viel mehr gemeinsam, als sie trennt. Den Kampf gegen Fake News etwa oder die Konkurrenz durch Internet-Plattformen wie Google, Facebook oder Amazon. Wenn wir nicht wollen, dass diese künftig allein über die Inhalte im Internet bestimmen, müssen alle Qualitätsmedien in Deutschland und Europa dem gemeinsam etwas entgegensetzen.
Zeitungsverleger und Politiker kritisieren den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
Verleger und Politiker wie CSU-Medienministerin Ilse Aigner kritisieren, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk „Printmedien nicht mit Onlineangeboten das Wasser abgraben“ dürfe. Ihre Antwort?
Wilhelm: Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind – gerade bei Jüngeren ist das immer mehr das Internet. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss wie alle Medien Teil des mobilen Internets sein und seine Inhalte über Mediatheken, Apps oder Netzwerke anbieten. Würde man uns das verbieten, würde unser Publikum das zu Recht nicht verstehen. Das wäre der Anfang vom Ende des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Die Verlage oder Privatsender haben allerdings keine Beitragsmilliarden im Kreuz und müssen Geld mit ihren digitalen Angeboten verdienen.
Wilhelm: Es gibt auf allen Seiten den guten Willen, eine Lösung zu finden. Ich spüre das auch bei den Verlegern in Bayern.