Frau Richter, wie haben Sie heute Nacht geschlafen?
KNEGINJA RICHTER: Gut, allerdings ein bisschen zu kurz, weil ich gestern mit Freunden noch länger unterwegs war. Aber ich hole den verpassten Schlaf am Wochenende wieder nach.
Kann man das denn oder gar vorab länger schlafen wie die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel? Sie soll einmal gesagt haben, sie könne wie ein Kamel auf Vorrat schlafen.
RICHTER: Ja, das geht tatsächlich. Ich konnte das auch, als ich im Schichtdienst gearbeitet habe. Viele Schichtarbeiter machen das. Allerdings kann das nicht jeder.
Können Sie das erklären?
RICHTER: Ich habe auch Nächte, in denen ich schlechter schlafe, wenn es beispielsweise besorgniserregende Ereignisse gibt, die nachwirken, oder wenn etwas mit den Kindern oder in den Familien los ist, dann arbeitet das natürlich auch bei mir. Im Grunde ist das aber auch nicht so schlimm, wenn man eine oder zwei Nächte nicht gut geschlafen hat. Ich weiß, dass mein Körper ab der dritten Nacht automatisch den Schlaf nachholt und bleibe da ganz ruhig.
Frau Richter, es gibt aber auch Fachliteratur, in der man nachlesen kann, dass Eulen, die jeden Tag erst spät ins Bett gehen, es im Vergleich zu den munteren Frühaufstehern schwerer haben. Sie haben offensichtlich höhere Risiken zu erkranken, etwa an Depressionen. Und sie sollen sogar im Durchschnitt früher sterben.
RICHTER: Es gibt tatsächlich Studien, in denen festgestellt wurde, dass Eulen eher dazu neigen, depressiv zu sein, Alkohol zu trinken und zu rauchen. Sie gelten auch als risikobereiter, sollen öfter den Partner wechseln und emotional instabiler sein. Das gilt für Frauen und für Männer. Lerchen dagegen sollen optimistischer sein. Auch haben, wenn sich zwei Lerchen finden, sie eine bessere Prognose für eine Partnerschaft. Denn sie sollen treuer und monogamer sein. Es sieht also wesentlich besser für die Lerchen aus. Allerdings sind die Studien von nicht sehr hoher Qualität. Sie basieren nur auf Befragungen.
In Ihrem aktuellen Buch mit dem Titel „Ausgeschlafen und mental stark!“ schreiben Sie, eigentlich immer gut zu schlafen. Haben Sie spezielle Rituale oder gar Tricks?
RICHTER: Im Grunde nicht. Ich versuche gegen 23 Uhr zur Ruhe zu kommen, schaffe es aber meistens nicht. Denn oft arbeite ich noch bis nach Mitternacht. Ich schlafe aber sehr gut und hole versäumten Schlaf – wie gesagt – gerne am Wochenende nach.
Sie gehören zu Deutschlands führenden Schlafforschern und beantworten in dem Buch 99 Fragen zur Nachtruhe. Es gibt zum Thema schon ungezählte Fach- und Trivialliteratur. Was ist neu an Ihrem Buch?
RICHTER: Für mich war es interessant, die Schnittstelle zwischen Schlaf und psychischer Gesundheit, zu Burn-out, zu Zwang, zu Depressionen, zu ADHS darzustellen. Denn Schlafprobleme wurzeln fast immer in psychischen Belastungen oder psychischen Störungen. Ich selbst finde diesen Umstand spannend und interessant. Weil ich mit meiner klinischen Arbeit sehr beschäftigt bin, habe ich das Buch übrigens zusammen mit einer Fachjournalistin verfasst. Wir haben uns 99 wichtige Fragen zum Schlafen überlegt, die ich beantworte.
Fast die Hälfte der Deutschen hat Schlafprobleme, zehn Prozent sogar massive. Was sagt uns das?
RICHTER: Ja, das sagt uns, dass wir müde und nicht ausgeschlafen sind. Immer mehr Menschen leiden zudem an Fatigue, der chronischen Müdigkeit. Sie wird oft auf Long Covid zurückgeführt, was aber nicht immer der Fall ist. Grundsätzlich kann man sagen, dass wir einfach zu wenig auf unsere körperlichen Bedürfnisse achten. Denn Schlafen ist ja so essenziell wie Essen und Trinken. Wenn wir unserem Schlafbedürfnis über längere Zeit nicht nachkommen, kann das dann eben auch psychische Störungen zur Folge haben.
Was müsste denn gesellschaftlich passieren, dass die Leute das Thema Schlaf ernster nehmen?
RICHTER: Das Mindset müsste sich ändern. Viele Menschen sehen nur mehr ihre Arbeit in ihrem Leben, was zur Folge hat, dass die Gesellschaft vergisst, sich zu erholen. Und das ist fatal. Vor allem dadurch entstehen moderne Erkrankungen wie Bluthochdruck oder auch Depressionen. Wenn man also merkt, dass man sich auf dem Weg in die Schlaflosigkeit befindet, muss man die ersten Anzeichen ernst nehmen. Das ist in jedem Fall eine Übermüdung. Diese erleben viele Menschen, übergehen sie aber einfach. Nimmt man sie aber nicht ernst, kommt man ins zweite Stadium, einer Art psychischem Verschleiß. Da geht dann die Freude am Leben verloren, die Menschen werden einsam, weil sie nicht mehr schlafen können. Spätestens dann sollte etwas dagegen unternommen werden.
Und was?
RICHTER: Pausen einlegen, Urlaub machen, versuchen, die Probleme zu lösen. Es muss irgendetwas passieren, dass man sich deutlich mehr erholen kann. Wichtig ist es auch, seine Zeit mit erfreulichen Dingen zu verbringen. Die Menschen vergessen vor lauter „Immer weiter“ oft, Spaß zu haben.
Was sind die häufigsten Schlafverhinderer?
RICHTER: Das sind Gedanken.
In Ihrem Buch geben Sie am Ende fünf Tipps für besseren Schlaf. Einer lautet, man soll vor dem Einschlafen nicht denken. Aber wie kann man denn sein Gehirn so einfach abstellen?
RICHTER: Das ist in der Tat nicht so einfach. Man kann sich aber unter anderem lustige Filme anschauen, schöne Fotos von Reisen, und geht dann erst schlafen. Denn das zuletzt Gesehene beeinflusst den Schlaf. Wenn ich beispielsweise mit dem Partner oder der Partnerin gestritten habe, ist das kontraproduktiv. Auch wenn ich eine Katastrophe gesehen habe, dann schlafe ich mit diesen Bildern im Kopf ein, die bestimmte Gefühle hervorrufen. Also vorm zu Bett gehen sollte man das Gehirn mit positiv stimulierenden Bildern füttern. Dazu gehören nicht die Nachrichten im Fernsehen.
Was müsste geschehen, damit unsere Gesellschaft wieder in eine bessere Schlafbalance gerät?
RICHTER: Man sollte schlichtweg das schlechte Gewissen vertreiben, das Schlaf gleichsetzt mit Faulenzen. Dieses Mantra wird oft von erfolgreichen Menschen transportiert, die sich auf die Fahnen schreiben, nur ganz wenig zu schlafen und dadurch extrem erfolgreich zu sein. Aber das ist definitiv falsch. Man müsste gesellschaftlich daran arbeiten, diese Schlafmythen abzubauen. Wer länger schläft, ist deswegen noch lange nicht faul.
Umstritten ist die Schlafdauer. Es heißt, sechs bis acht Stunden seien normal. Ist das richtig?
RICHTER: Das ist durchschnittlich so. Aber es gibt auch Menschen, die brauchen mehr oder weniger. Man muss das für sich eben erkennen und dafür sorgen, dass man so viel Schlaf bekommt, dass man sich wohlfühlt.
Ab wann wird Schlafmangel gefährlich?
RICHTER: Wenn über mehr als drei Monate mehr als dreimal pro Woche eine Schlafstörung auftritt. Dann ist eine Behandlung notwendig.
Die Folgen von Schlafmangel können Bluthochdruck, Herzerkrankungen bis hin zur Demenz sein. Ab wann muss man mit solchen Folgeerscheinungen rechnen?
RICHTER: Zu Alzheimer und Demenz gibt es spannende Erkenntnisse. Dabei geht es um das sogenannte glymphatische System. Das ist für die Entsorgung zellulärer Abfallstoffe im Zentralnervensystem zuständig. Und es arbeitet, während wir uns im Tiefschlaf befinden. Findet dieser Prozess wegen Schlafmangels nicht oder unzureichend statt, werden diese Abfallstoffe nicht abtransportiert, was wiederum zu neurodegenerativen Erkrankungen in Verbindung führen kann. Menschen, die dazu neigen, Demenz zu bekommen, haben meist ganz wenig langsame Gehirnaktivität, weil der Tief- und Traumschlaf fehlt.
Was ist mit der Umgebung wie dem Schlafzimmer?
RICHTER: Es gibt eine einfache Regel: Je kälter, desto besser ist das fürs Schlafen. Das Schlafzimmer sollte einem zudem ein wohliges Gefühl vermitteln. Ich muss mich darin sicher und geschützt fühlen. Denn nur dann kann man loslassen. Das Schlafzimmer sollte auch nicht mit Arbeitsunterlagen zugemüllt sein.
In der Paarforschung heißt es, zu zweit schläft man besser. Richtig oder falsch?
RICHTER: Die Forschung hat herausgefunden: Männer schlafen zu zweit besser. In einem Versuch hat man heterosexuelle Paare nachts beim Schlafen verkabelt und festgestellt, dass das so ist. Die Männer bestätigen das auch. Das Paradoxon ist, Frauen sagen auch, dass sie mit Partner besser schlafen. Die Messungen aber haben das Gegenteil ergeben. Das heißt: Die Frau schläft neben ihrem Mann schlechter, aber sie meint, sie würde besser schlafen.
Kann man das erklären?
RICHTER: Ja, die Frauen verbinden das Schlafen neben dem Partner auch mit subjektiver Sicherheit, die ihnen das Gefühl gibt, besser zu schlafen. Objektiv gesehen werden Frauen, die in der Regel einen oberflächlicheren Schlaf haben, durch Schnarchen oder Bewegungen gestört.
Macht ein Mittagsschläfchen Sinn?
RICHTER: Das ist super: 20 bis 30 Minuten. Das kann nicht jeder, man kann es allerdings üben. Ich konnte das anfangs auch nicht, aber ich habe es gelernt. Noch ein Tipp dazu: Man nimmt sich beispielsweise einen Schlüsselbund. Und nach etwa 20 Minuten fällt einem der dann beim Nickerchen aus der Hand, wenn man in die Tiefschlafphase gerät. Dann ist man wieder wach und fühlt sich erfrischt.
Zur Person
Kneginja Richter, 58, ist Vorsitzende des wissenschaftlichen Komitees der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung, Chefärztin an der CuraMed Tagesklinik Nürnberg und Professorin an der Technischen Hochschule Nürnberg. Ihr Buch „Ausgeschlafen und mental stark!“ ist gerade im Kösel-Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden