Es ist ein Teufelskreis: Der Stress in der Arbeit lässt einen nicht schlafen. Am nächsten Tag ist man müde, macht Fehler, der Stress nimmt zu und am Abend kann man wieder nicht schlafen. Die Forschung hat das Problem bereits länger ausgemacht. Mehrere Studien belegen den Zusammenhang zwischen Berufsstress und Schlaflosigkeit. Denn viele Menschen können zuhause nicht mehr abschalten.
Schlafstörungen wegen Stress im Beruf: Wenn man Angst hat, ins Bett zu gehen
Sara Mey (Name geändert) musste das erfahren. Ihr graute es regelrecht vor der Nacht. Dabei hatte sie zuvor eigentlich immer gut geschlafen. "Ich konnte immer gut schlafen und war meistens am Abend so geschafft, dass mir die Augen zufielen, sobald ich im Bett lag." Doch plötzlich war es anders.
Sie lag wach - Stunde um Stunde. "Das war eine schreckliche Zeit. Ich hatte bald Angst davor, schlafen zu gehen." Schlief sie doch ein, wachte sie in der Nacht mehrfach auf. "Ich war gerädert und konnte mich kaum noch auf das Unternehmen konzentrieren, das ich erst kurz zuvor gegründet hatte."
Frauen leiden häufiger Schlafslosigkeit
Das Problem ist bekannt. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts 2012 leidet jeder vierte Erwachsene unter Schlafstörungen. Fast jede dritte Frau (30,8 Prozent) und mehr als jeder fünfte Mann (22,3 Prozent) berichtet dabei von Schlafstörungen mindestens dreimal pro Woche. Auch der neue Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) in Dortmund macht die Schlafstörungen als großes Problem unter Arbeitnehmern aus.
Denn viele Menschen nehmen ihre Sorgen mit ins Bett. Felicitas von Elverfeldt hat eine einfache Erklärung für dieses zunehmende Phänomen: "Durch die ständige Erreichbarkeit und Reizüberflutung verstärken sich die stressbedingten Schlafstörungen", sagt die Diplom-Psychologin in Frankfurt am Main. Sie arbeitet auch als Coach für Führungskräfte. Vielen Beschäftigten fehle ein Gegengewicht zur Arbeit und Zeit, sich nach Feierabend emotional vom Job zu distanzieren. "Das geht vor allem empfindsamen Menschen so", sagt sie. Tendenziell neigten Frauen eher dazu als Männer, sich Sorgen zu machen und zu grübeln.
Schlafen ist Grundvoraussetzung für Gesundheit
Dabei kommt es nicht unbedingt auf die Dauer an: Egal, ob man fünf, sieben oder neun Stunden Ruhe pro Nacht braucht: "Erholsames Schlafen ist die Grundvoraussetzung für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden", erklärt Jürgen Zulley. Er ist Schlafforscher und emeritierter Professor für Biologische Psychologie an der Universität Regensburg. "Man kann viele Belastungen ertragen, wenn man zwischendurch wieder zur Ruhe kommt." Doch genau das ist offenbar das Problem für viele Menschen, die den Stress von der Arbeit mitbringen. "Die Gedanken, die wir als problematisch erleben, schieben sich immer wieder nach vorne", sagt er.
Im gleichen Zug wie die körperliche Arbeit abgenommen hat, hat die psychische Belastung zugenommen. Das bestätigt Baua-Sprecher Martin Schulte. Viele Menschen seien weniger körperlich erschöpft, dafür aber mental hoch beansprucht. Sie kämen auf Hochtouren nach Hause. Bewegungsmangel ist das eine Problem der Generation Büro. Das andere sei der Mußemangel, sagt er.
Doch was hilft gegen die stressbedingte Schlaflosigkeit?
Doch Erholung und Muße stellen sich nicht von allein ein. "Es klingt paradox, doch man muss sich auf etwas konzentrieren, um zur Ruhe zu kommen", erklärt Zulley. Schulte rät zu etwas Gegenläufigem zur Arbeit. "Wer vor allem psychisch im Job gefordert ist, wird sich mit Bewegung besser distanzieren und erholen können als vor dem Fernseher." Auch könne es helfen, Handy und Smartphone nach 20 Uhr nicht mehr zu benutzen. Außerdem sollte man nach dieser Uhrzeit auch keine Konfliktgespräche in der Familie mehr führen.
Ruhige, meditative Tätigkeit kann beim Einschlafen helfen
Er rät zu ruhigen, meditativen Tätigkeiten vor dem Schlafen. Das kann ruhige Musik sein, die Konzentration auf die eigene Atmung oder eine schöne Fantasiegeschichte. "Durch die monotone Stimulation hat das Gedächtnis keine Zeit, den problematischen Gedanken nachzuhängen und entspannt", erzählt er.
Wer mit Auspowern und ruhigen Ritualen schließlich in den Schlaf findet, hat die Nacht jedoch noch lange nicht überstanden. Unternehmerin Sara Mey kennt das: "Ich bin oft jede Stunde aufgewacht und habe verzweifelt darauf gewartet, wieder einschlafen zu können." Ein aussichtsloses Unterfangen. So setzen sich viele erst richtig unter Druck, erklärt Beraterin von Elverfeldt. Auch hier helfen positive und beruhigende Rituale sowie die Erinnerung an Erfolge und Schönes.
Stress: Ein Schlafkiller
Jürgen Zulley betont, dass das Aufwachen in der Nacht nichts Besonderes ist: "Das passiert jedem von uns in jeder Nacht. Doch die meisten kurzen Wachphasen vergessen wir sofort wieder." Erwachen Beschäftigte und grübeln, helfe es häufig, die Gedanken aufzuschreiben. "Dann muss ich nicht mehr daran denken", sagt er. Wer in einer solchen Situation so aufgewühlt ist, dass er hellwach ist, sollte aufstehen und sich mit etwas Ruhigem beschäftigen: einen Tee kochen, ein Kreuzworträtsel, ein kurzer Gang durch die Wohnung. "Die Müdigkeit kommt von selbst wieder."
Sara Mey war irgendwann so erschöpft, dass sie sich in der Apotheke pflanzliche Schlafmittel besorgte. "Ich wollte sowas nie nehmen, doch wusste mir nicht mehr anders zu helfen", sagt sie. "Schlafmittel sind immer die Therapie der letzten Wahl", sagt Schlafforscher Zulley. Wenn pflanzliche Präparate bei leichten Problemen helfen, können sie ein Segen sein. "Sie haben nämlich kaum Nebenwirkungen." Zur Gewohnheit sollten aber auch sie nicht werden.
Mey jedenfalls hat sich ausgiebig mit dem befasst, was Jürgen Zulley Schlafhygiene nennt. Sie war beim Arzt, um sicherzugehen, dass sie keine körperlichen Leiden hat. Sie hat sich klare Zeiten für Arbeit und Freizeit gesetzt und geht zweimal pro Woche zum Yoga. Sie macht das Handy jeden Abend um 20.00 Uhr aus und am Morgen erst um 8.00 Uhr wieder an. Sie liest vor dem Schlafengehen wieder, meist in einem fröhlichen Roman. Und sie hat etwas ganz Neues für sich entdeckt: Den Powernap, einen kurzen Mittagsschlaf. dpa/AZ