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Medizin: Jugend XXL: Wenn Übergewicht zur Krankheit wird (2)

Medizin

Jugend XXL: Wenn Übergewicht zur Krankheit wird (2)

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    In der Scheidegger Klinik erfahren die Jugendlichen, wie sie ihre Essgewohnheiten umstellen können. Täglicher Sport gehört ebenfalls zur Therapie.
    In der Scheidegger Klinik erfahren die Jugendlichen, wie sie ihre Essgewohnheiten umstellen können. Täglicher Sport gehört ebenfalls zur Therapie. Foto: Matthias Becker

    Und das ist das Problem. Denn Cola, Fast Food und Co. stehen bei immer mehr Familien auf der täglichen Speisekarte. Die Folgen sind gravierend. Die Kinder werden dick und erkranken an Gelenk- und Rückenbeschwerden, sie bekommen Bluthochdruck, Diabetes oder gar Herzprobleme. Eine Diät und etwas mehr Bewegung reicht bei den meisten nicht aus. Ein grundlegendes Verständnis für richtige Ernährung muss geschaffen werden.

    Auch Christina braucht Hilfe. Das blonde Mädchen ist 13 Jahre alt. Trotz eines weiten T-Shirts ist das Übergewicht deutlich zu sehen. Christina starrt auf die Paprika auf ihrem Schneidebrettchen. Die Frage nach ihrem Gewicht beantwortet sie nicht gern. „121 Kilo“, flüstert sie dann doch. Die rote Farbe schießt ihr in die Wangen, der Blick bleibt aufs Gemüse gesenkt. Auch unter Gleichen ist die Scham groß. Zwar dreht sich in der Klinik alles um das Gewicht, Zahlen sind aber trotzdem oft ein Tabuthema.

    Schlimme Hänseleien: "Fettsack", "Rollmops"

    Christina steht in der Lernküche. Auch das gehört zum Lehrplan: Kochen. Die Küche wirkt wie ein altes Klassenzimmer, bei dem Arbeitsplatten, Herd und Waschbecken nachgerüstet wurden. Doch das reicht. Gourmetküche braucht es nicht. Mit acht anderen Übergewichtigen und Diätassistentin Annika Kaiser backt Christina Vollkornbrot, dazu gibt es einen Paprika-Brotaufstrich. Einfache Rezepte sind geboten, denn viele Jugendlichen starten auch hier bei null. „Einmal hat ein Junge eine Banane samt Schale in den Obstsalat geschnitten, das werde ich nie vergessen. Er sah mich mit großen Augen an und meinte reumütig: Entschuldigung, aber ich hatte so etwas noch nie in der Hand. Und das habe ich ihm geglaubt“, sagt

    Obstsalat. Ein Exot, der bei den meisten zuvor wenig Beachtung beim Essen gefunden hat. Stattdessen gab es Kalorienbomben. Ein kräftiger Biss von der Butter, ein ordentlicher Schluck Nutella, flüssig gemacht in der Mikrowelle, eine Tube Mayo, direkt in den Mund. Essensanfälle nennen das die Ärzte, „Frustfutter“ nennt es die 14-jährige Vanessa. Statt einem Teller Spaghetti durften es bei ihr gerne auch mal vier oder fünf sein. Auch Christina schüttelt den Kopf. Auch sie kennt diese Anfälle, das Essen aus Frust. „Ich hab einfach alles gefuttert, was ich in die Hände bekommen habe“, beichtet sie, während sie weiter an ihrer Paprika schneidet.

    Schlechte Noten, nervende Geschwister, Hänseleien in der Schule. Oft kommt alles zusammen. Fast alle Kinder berichten von schlimmen

    Meist wird das gegessen, was zu Hause auf den Tisch kommt

    Jugendliche können grausam sein. Doch teilweise würden sich sogar Lehrer an den Hänseleien beteiligen, erzählt die Psychologin, Sportlehrer etwa. Aber auch die Eltern tragen oft eine Mitschuld. „Das fängt schon früh an“, sagt Rakos-Nowicki. „Kinder bekommen heutzutage doch schon Eis und Lutscher, wenn sie noch im Buggy liegen“, klagt sie, „einfach um das Kind ruhig zu stellen.“ Das Thema geht ihr nah. Und sie sagt: „Das wird immer schlimmer.“

    Oder noch einfacher: Meist wird eben das gegessen, was zu Hause auf den Tisch kommt. Und das ist fettig und ungesund. Nach neuesten Angaben der Bundesregierung sind mehr als 60 Prozent aller Menschen in Deutschland übergewichtig oder adipös. „Wenn die Eltern auch dick sind, haben die Kinder gar keine Chance“, sagt Rakos-Nowicki.

    Die Folgen schlagen sich nicht nur auf der Waage nieder. Fast alle Kinder, die nach Scheidegg kommen, leiden bereits unter psychischen Erkrankungen. Depression, Anpassungsstörungen, Albträume – alles typisch bei adipösen Kindern. Der Druck in der Schule, die Hänseleien, die Last unter dem Übergewicht. Irgendwann ist der Punkt erreicht, da hilft nur noch die Klinik. Doch dort kann der Jugend XXL nur der richtige Weg gezeigt werden. Zu Hause müssen sie ihn weitergehen. Sowohl bei der Ernährung als auch bei der psychologischen Betreuung.

    Christina ist zufrieden mit ihrem Paprika-Brotaufstrich. So etwas will sie nun öfters zubereiten, ganz bestimmt. Sie will auch zu Hause weiter abnehmen. Da ist sie nicht allein. Fast alle Mädchen in der Klinik teilen den Traum von einer Bikini-Figur. Viele aber können den Kurs nicht halten. Alte Muster verhindern den Erfolg zu Hause.

    Christina ist das egal. Sie will ihre Eltern mit ins Boot holen. Gesund essen. Es schaffen. Damit sie in Zukunft ihr Gewicht ganz ohne Scham aussprechen kann.

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