Seien es Omas Kohlekompretten oder der Hustensaft vom letzten Jahr - in den meisten Haushalten finden sich Medikamente, deren Haltbarkeit längst abgelaufen ist.
Wie genau muss man das Verfallsdatum nehmen?
Welche kann man ohne größere Bedenken nehmen, welche nicht? Muss man es mit dem Verfallsdatum immer ganz genau nehmen? Schließlich haben viele Verbraucher gelernt, dass abgelaufene Lebensmittel oft noch genießbar sind.
Doch für Arzneimittel gelten andere Regeln. "Patienten müssen das Verfallsdatum sehr ernst nehmen", betont Dr. Ursula Sellerberg von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Denn nur bis zu diesem Zeitpunkt haftet der Hersteller.
Sehen, Riechen und Probieren bringt nichts
Ob ein Medikament nach Ablauf dieser Zeit noch gut ist, kann ein Laie schwer beurteilen. "Sehen, Riechen und Probieren", wie es bei Lebensmitteln nach dem Mindesthaltbarkeitsdatum empfohlen wird, hilft bei Arzneimitteln jedenfalls kaum weiter.
"Ein Medikament ist mit einem Joghurt nicht vergleichbar", sagt Sellerberg. Daher dürfen abgelaufene Arzneimittel laut Beipackzettel nicht mehr verwendet werden. Es ist auch verboten, sie in Umlauf zu bringen. Das Verfallsdatum von Medikamenten darf man also nicht mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum, das bei den meisten Lebensmitteln gilt, gleichsetzen.
Jeder Zweite nimmt abgelaufene Medikamente
Viele Bundesbürger sehen es locker, wenn eine Arznei abgelaufen ist: Bei einer repräsentativen Umfrage der GfK-Marktforschung im Auftrag der Apotheken Umschau gab fast jeder zweite der rund 2 000 Befragten an, Medikamente auch nach dem Verfallsdatum zu nehmen.
Alte Medikamente? Darauf sollten Sie achten
Tinkturen, Tropfen, Säfte: Einmal angebrochen, verderben flüssige Zubereitungen meist relativ schnell. Notieren Sie das Anbruchsdatum und benutzen Sie das Mittel nur innerhalb der Frist, die auf dem Beipackzettel ("nach Anbruch verwendbar") angegeben ist. Alte Hustensäfte sollte man entsorgen, weil sie bedenkliche Stoffe und Bakterien enthalten können. Hände weg von abgelaufenen Augentropfen! Sie können verkeimt sein.
Nasensprays: Sollten aus hygienischen Gründen nur von einem Familienmitglied verwendet werden (auf der Packung notieren). Sie sind nach Anbruch nur wenige Monate haltbar.
Antibiotika: Angebrochene Packungen nur nach Rücksprache mit dem Arzt verwenden. Sonst kann es zu Resistenzen kommen - das heißt, dass Antibiotika nicht mehr wirken. Angerührte antibiotische Säfte für Kinder gehören in den Kühlschrank und sind nur wenige Tage haltbar.
Salben und Cremes: Wenn sie ranzig riechen, verfärbt sind oder sich ölige Tröpfchen gebildet haben, gehören sie in den Abfall. Ansonsten sind Salben, die kein Wasser enthalten, jedoch relativ lange haltbar. Dennoch sollte man vor allem Augensalben und -cremes wegen Infektionsgefahr nicht mehr nach dem Ablaufdatum verwenden.
Tabletten und Kapseln: Trocken, kühl und luftdicht gelagert, können sich Tabletten zum Teil jahrelang halten. Wenn sie bröselig oder fleckig sind, sollte man sie wegwerfen. Acetylsalicylsäure-Tabletten ("Aspirin"), die nach Essig riechen, haben mit Feuchtigkeit reagiert und sollten entsorgt werden. Giftig sind sie aber nicht.
Auch Ärzte sind sich uneinig
Auch mancher Arzt sieht nicht ein, dass man abgelaufene Salben, Tinkturen und Tabletten wegwerfen sollte: "Die meisten Medikamente sind wesentlich länger haltbar, als mit Verfallsdatum angegeben", schreibt etwa ein Internist in der Internet-Plattform "esanum". Eine Ärztin hat Bedenken bei abgelaufenen Salben und Tropfen, bekennt aber: "Tabletten würde ich privat weiter einnehmen." Ein anderer Arzt kann "keinen Sinn der rigiden Vernichtung von Medikamenten nach einer Ablauffrist sehen".
US-Forscher: Medikamente teilweise noch nach 40 Jahren wirksam
In der Tat sind abgelaufene Medikamente nicht unbedingt wirkungslos oder schädlich. Manche Zubereitungen von Wirkstoffen halten sich sogar jahrzehntelang.
Im vergangenen Oktober veröffentlichten US-Forscher in der Fachzeitschrift Archives of Internal Medicine entsprechende Ergebnisse: Sie stellten fest, dass die Substanzen in acht Medikamenten, die bereits vor 28 bis 40 Jahre abgelaufen waren, meist noch fast vollständig wirksam waren: Zwölf von 14 Wirkstoffen waren in einer Konzentration von mindestens 90 Prozent erhalten.
Umfassendere Daten lieferte eine Langzeitstudie der amerikanischen "Food and Drug Administration" im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums. Dabei wurde geprüft, ob abgelaufene Arzneivorräte der Armee noch verwendbar wären. Es zeigte sich, dass 88 Prozent der Mittel noch Jahre nach Ablauf der Haltbarkeit brauchbar waren.
Uni-Professor: 100 Jahre alte Aspirin könnten noch bis zu 70 Prozent Wirksamkeit haben
Auch 100 Jahre alte "Aspirin"-Tabletten könnten, wenn sie luftdicht aufbewahrt wurden, noch einigermaßen gegen Kopfschmerzen helfen. Denn Acetylsalicylsäure lässt zwar relativ bald an Wirksamkeit nach, bleibt dann aber auf diesem Niveau, wie Professor Jörg Breitkreutz vom Institut für Pharmazeutische Technologie der Universität Düsseldorf berichtet.
Daher könnte eine historische Packung aus Urgroßvaters Beständen immerhin noch bis zu 70 Prozent wirksam sein, so schätzt er. Damit dürfte es aber niemals mehr zugelassen sein: Die Hersteller müssen nämlich garantieren, dass der Wirkstoffgehalt innerhalb der Verwendbarkeitsfrist nicht unter 95 Prozent fällt - nur in begründeten Ausnahmefällen reichen 90 Prozent, heißt es beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte.
Zersetzungsprodukte können gefährlich sein
Die schlechtere Wirksamkeit ist jedoch oft das kleinere Problem bei abgelaufenen Medikamenten: "Zum Teil entstehen Zersetzungsprodukte, die gefährlich sein können. Manche sind zum Beispiel krebserregend.
Das ist für mich wichtiger als die Frage der Wirksamkeit", sagt Breitkreutz. So können etwa abgelaufene Codein-Hustensäfte bedenklich sein. "Sie können die Substanz Codein-N-Oxid enthalten, die potenziell krebserregend ist", sagt der Pharmazeut. "Daher gehören abgelaufene Hustensäfte weg. Vor allem dann, wenn es um Kinder geht!", betont er.
Auch alte Entwässerungstabletten sind nicht unbedenklich: Sie können Formaldehyd enthalten - ein Stoff, der im Verdacht steht, Krebs zu erregen.
Bakteriengefahr: Augentropfen unbedingt schnell aufbrauchen
Grundsätzlich ist vor allem bei überfälligen Medikamenten, die Wasser enthalten, Vorsicht geboten. So sagt die Apothekerin Viktoria Mühlbauer vom Arzneimittelberatungsdienst der Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands (UPD) in Dresden: "In wässrigen Lösungen wachsen leicht Bakterien."
Daher müssen insbesondere Augentropfen - entsprechend der Packungsbeilage - rasch aufgebraucht werden. Sonst drohen ernste Folgen, etwa Entzündungen. Bei Spritzen können solche Verunreinigungen sogar lebensgefährlich sein.
Auch in abgelaufenen Cremes können sich Bakterien tummeln, die über offene Stellen in die Haut eindringen und Entzündungen auslösen können. Bei wasserfreien Salben ist das kaum ein Problem - dafür kann das darin enthaltene Fett ranzig werden. "Daran stirbt keiner", sagt Breitkreutz. Es sei aber fraglich, ob sie noch gut wirkten.
Kühlschrank ist der beste Aufbewahrungsort für Medikamente
Ganz entscheidend für die Haltbarkeit ist die richtige Lagerung: nämlich kühl und trocken. Unter dem Einfluss von Wärme, Wasser und Sauerstoff können Arzneimittel schneller verderben.
Im Badezimmer, wo die Deutschen einer Umfrage zufolge ihre Medikamente besonders gerne aufbewahren, ist die Hausapotheke daher schlecht untergebracht. Experten empfehlen stattdessen Schlafzimmer oder Flur. "Der Kühlschrank ist dagegen nicht unbedingt der beste Aufbewahrungsort", sagt Breitkreutz.
Denn manche Mittel, etwa Nasensprays oder Cremes, können dann auskristallisieren. Andere Medikamente, etwa angerührte Antibiotika, müssen aber kalt gestellt werden. Daher ist es wichtig, genau den Beipackzettel zu lesen.
Falsche Lagerung führt zu schnellem Verderb
Bei falscher Lagerung können Medikamente vor dem Verfallsdatum verderben. Daher rät die Apothekerin Sellerberg: "Wenn man sieht, dass sich Tabletten auflösen oder ein Hustensaft ausflockt, sollte man die Mittel wegwerfen oder den Apotheker fragen, ob man sie noch verwenden kann." Bei pflanzlichen Medikamenten könnten Ausflockungen nämlich auch normal sein.