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Gesundheit: Endlich mit dem Rauchen aufhören - aber wie?

Gesundheit

Endlich mit dem Rauchen aufhören - aber wie?

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    In Rauchfrei-Seminaren versuchen langjährige Raucher, endlich von ihrer Sucht loszukommen.
    In Rauchfrei-Seminaren versuchen langjährige Raucher, endlich von ihrer Sucht loszukommen. Foto: Bernhard Weizenegger (Symbolfoto)

    „An Lungenkrebs werden Sie nicht sterben. An Lungenkrebs stirbt man nicht einfach, an Lungenkrebs verreckt man. Das ist ein Unterschied.“ Im großen Seminarraum des Franziskus-Zentrums in Friedrichshafen ist es so leise, dass man die Asche einer Zigarette fallen hören könnte. Der Satz des Arztes weht wie ein eisiger Windhauch durch den Sitzkreis. Selbst der notorische Raucherhusten, den rund ein Viertel der Teilnehmer fast ohne Unterlass in den Saal bellt, verstummt.

    Gerade haben noch alle über Johann Kees und seinen Rauchfrei-Vortrag gelacht. Denn Kees, 55, ist selber Ex-Raucher, er spricht von 60 bis 80 Kippen täglich, die er in sich hineingesogen haben will. Er ist ein guter Geschichtenerzähler. Kein Mediziner im Elfenbeinturm, sondern einer zum Anfassen, den die Seminarteilnehmer schnell ins Herz schließen. Denn irgendwie ist er selbst nach 20 Jahren Nikotin-Abstinenz noch immer einer von ihnen.

    Zahl der Raucher sinkt seit Jahren

    Kees kennt all die Ausreden, die Ausflüchte, die Selbstberuhigungen, wie Raucher sie verinnerlicht haben: Dass es schon nicht gerade einen selbst erwischen wird. Dass man auch an 1000 anderen Sachen sterben kann. Und dass es ja schließlich einen Helmut Schmidt gegeben hat, der bis ins höchste Alter eine Zigarette nach der anderen gequalmt hat. Doch wenn Kees in seinem Vortrag an diese heikle Stelle kommt, gerade nach dem Block, als alle noch so euphorisch gewirkt haben, wenn er also von Krankheit, Sterben und Tod erzählt, dann ziehen die Frauen Taschentücher aus ihren Handtaschen, in denen sie auch ihre Marlboros oder Camels aufbewahren, ihre Pall Malls oder Lucky Strikes. Dann ist Kees auf einen Schlag nicht mehr dieser lustige Geschichtenerzähler, dieser Dr. Doolittle unter den Rauchfrei-Trainern. Dann ist er Dr. Tod.

    Während der Alkoholkonsum in Deutschland seit Jahren nur geringfügig sinkt, scheinen sich die Anhänger der Zigarette in absehbarer Zeit – im übertragenen Sinne – in Rauch aufzulösen. Derzeit raucht noch knapp ein Viertel der Deutschen, wie aus den Zahlen des Tabakatlas hervorgeht, den das Deutsche Krebsforschungszentrum herausgibt. Etwa jeder dritte Mann und jede fünfte Frau qualmen – und es sind deutlich mehr Jüngere als Ältere. In Bayern sind die Zahlen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken, auch aufgrund des strikten Rauchverbots, das seit 2008 im Freistaat gilt.

    Rauchen in Deutschland: Zahlen und Fakten

    Tabakkonsum: In Deutschland rauchte zuletzt jeder vierte Erwachsene – rund 30 Prozent der Männer und etwa 20 Prozent der Frauen. Das geht aus dem Tabakatlas hervor, den das Deutsche Krebsforschungszentrum herausgibt. Vor 20 Jahren rauchten noch 29 Prozent der Deutschen. Und: Während 1991 täglich noch 401 Millionen Zigaretten in Deutschland in Rauch aufgingen, waren es laut Statistischem Bundesamt zuletzt noch 206 Millionen täglich.

    Alter: Bei Jugendlichen ist der Trend zum Nichtrauchen am deutlichsten. Ende der 90er Jahre rauchten knapp 30 Prozent der 12- bis 17-Jährigen; aktuell sind es rund zehn Prozent. Am höchsten ist der Anteil unter den 18- bis 25-Jährigen. In dieser Altersgruppe rauchte Ende der 90er Jahre etwa jeder Zweite, heute nur fast jeder Dritte.

    Bundesländer: In den südlich gelegenen Bundesländern rauchen weniger Männer und Frauen als im Norden. Am höchsten sind die Quoten in Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, am niedrigsten in Hessen, Baden-Württemberg, im Saarland und in Bayern. Im Freistaat rauchten 27 Prozent der Männer und 18 Prozent der Frauen.

    Häufigkeit: Rund 27 Prozent rauchen gelegentlich, etwa 24 Prozent täglich bis zu 10 Zigaretten, rund 21 Prozent elf bis 19 Zigaretten. Bei 29 Prozent sind es 20 Zigaretten am Tag oder mehr.

    Beruf: Wer in Deutschland als Mann dem Beruf des Möbelpackers nachgeht, ist mit ziemlicher Sicherheit Raucher – nämlich zu 85 Prozent. Auch das geht aus dem Tabakatlas hervor. Am unteren Ende der Skala stehen demnach Apothekerinnen, die nur zu sechs Prozent regelmäßig zur Zigarette greifen. sok

    Teilnehmer rauchen im Seminar ihre allerletzte Zigarette

    Aus dieser Perspektive betrachtet sind die Menschen im Saal Vertreter einer vom Aussterben bedrohten Art. Das mit dem Aussterben sieht Johann Kees allerdings nicht im übertragenen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. „Wenn Sie so weitermachen, dann werden Sie an den verdammten Dingern sterben“, sagt der Allgemeinmediziner mit einer Stimme, die an dieser Stelle so eindringlich wie eine singende Säge klingt. Über Kees sagen eine Menge Leute, er könne auch die besonders harten Fälle endgültig zum Aufhören bewegen. Und Kees ist keiner, der seine Botschaft mit blütenzarten Worten verbreitet. Seine Sätze knallen vielmehr, wie mit dem Holzhammer formuliert. Und so kommt es, dass die Gesichter der langjährigen Raucher – ohnehin zum Teil von einer grauen Blässe gezeichnet – noch ein bisschen blasser werden. Aber um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Der Teil mit den Horrorszenarien ist nur eine kleine Facette von Kees’ Vortrag. Deutlich mehr Raum nehmen die positiven Aspekte ein, das Schwärmen vom Mehr an Energie, von Glück und Gesundheit.

    Nach den ersten paar Stunden wirkt Waltraud, 57, aus Radolfzell noch immer entspannt. Die Dramaturgie des ganzen Vortrags steuert unverkennbar auf die letzte Zigarette zu, die nachher feierlich in Rauch aufgehen wird. Doch das macht ihr keine Angst. Sie hat der Wille nach Friedrichshafen geführt, „endgültig Schluss zu machen“. Kees sagt, das sei das Einzige, was er in seinem Seminar nicht für die Teilnehmer tun könne: „Den Willen, aufzuhören, den müssen Sie schon selber mitbringen. Beim Rest helfe ich.“

    Wollte man ein treffendes Feindbild für die Tabakindustrie zeichnen, es könnte das Gesicht von Johann Kees tragen. Der Allgemeinmediziner hat wache Augen, ein dauerhaft optimistischer Zug spielt um seinen Mund, der etwas Lausbubenhaftes besitzt. Die übliche Nüchternheit in strahlendem Weiß existiert in seiner Praxis in Friedrichshafen nicht. Dort stehen eine Menge asiatischer Elefanten herum, Buddhafiguren. Im Wartezimmer gibt es einen Kaffeeautomaten und Butterbrezen für die Patienten. „Wissen Sie“, sagt er, „das Geld ist natürlich auch schön. Aber das wirklich Faszinierende ist doch, dass ich so vielen Leuten ein neues Leben schenken konnte.“ Das Seminar inklusive Spritze kostet 199 Euro, viele Krankenkassen beteiligen sich daran. Kees spricht von einer Erfolgsquote von 80 Prozent. Nach allem, was Experten sagen, wäre das eine grandiose Zahl, von der andere Anbieter nur träumen können. Ärztekammern sehen die Erfolgsquoten von Seminaren und Therapien lediglich bei 20 bis 30 Prozent.

    Rauchfrei-Trainer kennt nur einen echten Grund: die Sucht

    Der Anteil der Raucher an der Bevölkerung schrumpft kontinuierlich. Zugleich kämpft die Tabakindustrie umso erbitterter um die, die trotz Rauchverbot und Schockfotos auf den Schachteln qualmen. Vor zwei Monaten erst hat der Konzern British American Tobacco (BAT) den Konkurrenten Reynolds American übernommen – und damit den weltgrößten Tabakkonzern geschaffen. Oder in Zigarettenmarken ausgedrückt: Lucky Strike macht jetzt gemeinsame Sache mit Camel.

    Obwohl Zigaretten teurer denn je sind, betrachtet Kees das gesparte Geld nicht als wichtigstes Argument zum Aufhören. „Bei mir war es die Tatsache, dass ich ungefähr 30 Prozent meiner Lebensenergie wiedergewonnen habe.“ Und mit diesen 30 Prozent wirbt der Arzt jetzt auch bei seinen Seminarteilnehmern. „Sie rauchen doch nicht, weil Sie gestresst sind. Was Ihnen Stress macht, ist die Sorge, wo und wie sie die nächste Zigarette rauchen können!“ Geschmack, Freiheit, Abenteuer, Coolness – all das seien Lügen, eingetrichtert von der Werbung. „In Wahrheit rauchen Sie alle nur aus einem einzigen Grund: Weil Sie süchtig sind!“ Und weil nur die Zigarette den Junkie im Raucher für eine kurze Weile zum Schweigen bringe. „Sie bezahlen Unsummen, ruinieren Ihre Gesundheit, verlieren Ihre Würde, weil Sie nur noch in dunklen Ecken neben den Mülltonnen rauchen dürfen.“

    Der Geschichtenerzähler Kees malt starke Bilder vors innere Auge. Und er hat die Fähigkeit, komplexe Dinge so herunterzubrechen, dass jeder sie versteht. Vielleicht macht das seinen Erfolg aus. Stefan aus Friedrichshafen, Mitte 30, ist von Johann Kees jedenfalls fest überzeugt. Er hat schon einmal mithilfe des Arztes aufgehört. „Damals hat es fünf Jahre gehalten“, sagt er, als er vor dem Gebäude seine vorerst allerletzte Zigarette raucht. „Dass ich wieder angefangen habe, da bin ich selber schuld.“ Er hat eine der Regeln, die Kees gebetsmühlenartig wiederholt, nicht beachtet. Nämlich jene, dass allein ein Zug genügt – und alles geht wieder von vorne los. Gerade weil man sich nach einiger Zeit ohne Zigarette in Sicherheit wähnt.

    Doch das, so sind sich die 36 versammelten Noch-Raucher sicher, haben sie hinter sich. Der letzte Akt ist jetzt die Spritze. Beim Gang ins Behandlungszimmer trennen sich die künftigen Ex-Raucher von ihren Kippen und Feuerzeugen und legen sie auf den Tresen. Was genau in der Injektion ist? Kees bleibt im Ungefähren. Er spricht von Vitaminen, Spurenelementen und Medikamenten. „Die Spritze heilt Sie nicht, aber Sie macht den Junkie in Ihnen leiser“, sagt er. Der penetrante Kerl, der in jedem Raucher wohnt und andauernd brüllt: „Komm, wir gehen eine rauchen!“

    Seminar wirkt nicht bei allen Teilnehmern

    Es dauert keine zwei Minuten, da hat Kees die Injektion bei Waltraud aus Radolfzell an verschiedenen Punkten in Gesicht und Nacken gesetzt. „War nicht schlimm“, sagt sie. Über ihr Gesicht huscht ein hoffnungsfrohes Lachen. Dieses Mal, so ist sie sicher, ist ihre Raucherkarriere, die nun schon 42 Jahre währt, Geschichte. Die rund 300.000 Glimmstängel, die seit ihrem 15. Lebensjahr verglüht sind. All das verbrannte Geld, das sich auf 70.000 bis 100.000 Euro summieren dürfte.

    Anruf bei Seminarteilnehmern nach zehn Tagen. „Perfekt. Ich bin stabil, habe kein Verlangen“, sagt Stefan, der junge Mann aus Friedrichshafen. Der starke Husten sei fast verflogen und Kumpels trauen sich jetzt wieder in sein Auto, weil er nicht mehr wie ein fahrbarer Aschenbecher stinkt. Waltraud indes hat keine guten Neuigkeiten: „Ich bin rückfällig geworden.“ Vielleicht, so sinniert sie, sei sie innerlich noch nicht bereit gewesen fürs Aufhören. „Aber ich rauche jetzt viel weniger.“ Ein Husten am anderen Ende der Leitung, und nach kurzer Pause sagt sie: „Ich glaube, in der Spritze waren Placebos drin.“ Und so ganz sei Kees ohnehin nicht ihr Typ gewesen. „Der hat nichts in mir bewirkt.“ Doch das ändere nichts an der Tatsache, dass sie sehr bald kommen werde, die letzte, die allerletzte Zigarette.

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