Christine Graf weiß, dass es nicht immer leicht ist, beim Essen maßzuhalten. "Es ist unendlich schwer, nichts zu essen zu bekommen. Man wird ja mit Essen vollgeschmissen", sagt die Professorin von der Deutschen Sporthochschule Köln.
Die Ärztin behandelt Kinder und Jugendliche, die daran gescheitert sind: Sie leiden an Adipositas, also Fettleibigkeit. Um in Zukunft doch gesünder zu leben, machen sie bei Graf eine Bewegungstherapie. "Die Verzweifelten kommen zu uns", sagt sie.
Als adipös bezeichnet die Medizin Menschen, deren Body-Mass-Index (BMI) bei über 30 liegt. Um einen BMI von 40 zu haben, muss ein 1,80 Meter großer Mensch etwa 130 Kilogramm wiegen. Die Krankheit kann viele Folgeerkrankungen auslösen. Dazu gehören zum Beispiel Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Probleme sowie orthopädische Beschwerden.
Wer Adipositas hat, sollte sich nicht nur mehr bewegen
Um die jungen Patienten davor zu bewahren, arbeitet das Team um Graf mit einem "multimodalen" Ansatz: Weil Übergewichtige häufig nicht nur zu viel und zu fett essen, sondern sich auch zu wenig bewegen, gehört neben einer Umstellung der Ernährung ein Sportprogramm dazu. Zudem werden die Patienten psychotherapeutisch begleitet.
Elf Monate lang kommen die Kinder zweimal pro Woche nach Köln. Alle vier Wochen machen auch die Eltern beim Sport mit, denn sie "sind ein sehr wichtiger Faktor", wie der Sporttherapeut David Friesen betont. Je stärker sie unterstützen, desto erfolgreicher seien die Kinder.
Zu Beginn liege der Schwerpunkt auf der Ausdauer, weil dieser Bereich schnell Erfolgserlebnisse bringt. Dann kämen Krafttraining und Spielsportarten dazu. Dabei sei es wichtig, den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, wie sich Sport "auf den Körper auswirkt, und was wir damit erreichen können", erklärt Friesen. Am Ende sollen die Teilnehmer dann in Sportvereine vermittelt werden.
Wo die besonders schweren Fälle von Adipositas behandelt werden
Davon können die Patienten von Manuel Enzenhofer oft nur träumen. Der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie behandelt am Stuttgarter Bürgerhospital Erwachsene, darunter die besonders schweren Fälle. Bei ihnen ist eine ambulante Behandlung ohne Erfolg geblieben oder schlicht nicht möglich.
Ein Fünftel der Bundesbürger gelte als adipös, heißt es im Beitrag "Psychotherapie und Adipositas" in der Zeitschrift "Der Nervenarzt". Bei diesen Menschen gehe es oft auch um schwere seelische Probleme, erklärt Enzenhofer und nennt unter anderem Angst- oder Essstörungen.
Essprotokolle oder Schrittzähler, wie sie Graf einsetzt, nutzt er zwar auch, sie reichen aber nicht. Enzenhofer arbeitet daher auch psychodynamisch: Er fragt in der Therapie nach den tieferen seelischen Ursachen der Erkrankung. Wenn die Patienten ihre negativen Gefühle dann nicht mehr mit Essen unterdrücken, kämen häufig ihre grundlegenden Probleme und Konflikte an die Oberfläche. "Das ist eine Chance und gewünscht", betont Enzenhofer. Dann könne man an deren Bewältigung arbeiten.
Erfolg bedeutet nicht immer nur Gewichtsverlust
Reha-Aufenthalte in Deutschland - die häufigsten Gründe
Im Jahr 2011 wurden in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen mit über 1000 Betten 1,6 Millionen Patienten behandelt.
750 000 davon waren Männer, 870 000 Frauen.
Im Durchschnitt hielt sich jeder Patient rund 25 Tage in der Reha-Einrichtung auf. Das sind 4 Tagen mehr als die Standard-Verordnung von drei Wochen.
Der häufigste Grund für einen Reha-Aufenthalt war eine Hüft- oder Kniegelenksarthrose.
216 000 Patienen wurden wegen einer Arthrose in Rehaklinken behandelt. Das entspricht 13 Prozent aller Patienten.
Im Durchschnitt waren diese Patienten 68 Jahre alt. Aber auch 5800 Menschen im Alter von über 85 Jahren wurden präventiv wegen Arthrosen in Rehakliniken behandelt.
Keine Rolle spielten Arthrosen in der Gruppe der 15- bis 44-Jährigen. Da war der häufigste Grund für einen Rehahaufenthalt eine psychische Erkrankung.
Bei den Patienten unter 15 Jahren war der Hauptgrund für eine vollstationäre Reha-Maßnahme Asthma. 13 Prozent waren davon betroffen.
6000 Patienten unter 15 Jahren mussten wegen Adipositas einen Rehaaufenthalt antreten.
Weil Erwachsene im Unterschied zu Jugendlichen häufig schon lange keinen Sport mehr getrieben haben, kann Bewegung auch mit Hockergymnastik beginnen. Später könne man dann mehr machen, sagt Enzenhofer. Es gehe nicht um kurzfristigen Gewichtsverlust, sondern um dauerhaftes Abnehmen. Der Arzt spricht von einer "Lebensaufgabe".
Niemand sollte aber zu viel erwarten. Studien hätten gezeigt, dass Verhaltenstherapien und Lebensstilinterventionen zu im Schnitt zehn Prozent weniger Gewicht führten, heißt es im "Nervenarzt". Kombiniert mit Ernährungs- und Bewegungstraining könne es mehr sein.
"Erfolg" bedeutet laut Graf nicht unbedingt Gewichtsverlust oder niedriger BMI. Auch die Verbesserung der Fitness sei wichtig, sagt sie. Bewege sich ein Übergewichtiger mehr und verändere seine Körperkomposition zugunsten von Muskelmasse, sei das auch ein Erfolg. dpa
Deutsche Adipositas-Gesellschaft