Irgendwie hat man es schon immer geahnt. Der Bauch spielt in unserem Handeln eine größere Rolle als lange Zeit angenommen. Nicht zuletzt Sprichwörter wie „etwas schlägt auf den Magen“ oder die berühmten „Schmetterlinge im Bauch“ deuten daraufhin, dass der Bauch mehr Bedeutung hat, als die, auf die er oft reduziert wird.
Laut einer Forsa-Umfrage entscheiden 34 Prozent der Deutschen „aus dem Bauch heraus“. Die Zahl ist allerdings irreführend, denn sehr viel mehr der täglich rund 20000 Entscheidungen fallen intuitiv, als einem bewusst ist. Der US-Neurowissenschaftler Michael Gershon spricht gegenüber dem Magazin Geo sogar vom Bauch als „zweitem Hirn“.
Umhüllt sind die Eingeweide von mehr als 100 Millionen Nervenzellen, das sind laut Gershon mehr als im gesamten Rückenmark. Je tiefer man in den Verdauungstrakt gelangt, umso schwächer werde der Einfluss des Kopfhirns, heißt es. Gershon zufolge kann das Bauchhirn sogar eigene Neurosen entwickeln. Zudem belegen jüngere Forschungen, dass vom Bauch zum Gehirn weitaus mehr Nervenstränge führen als umgekehrt: 90 Prozent der Verbindungen laufen von unten nach oben. Gershons Schluss: Sie sind wichtiger als die von oben nach unten. Die meisten Botschaften des Darms nähme man – abgesehen von Übelkeit, Erbrechen oder Schmerzen – allerdings nicht bewusst wahr.
Schließlich gilt der Bauch nach Angaben von Gershon auch als „Teil der Matrix für das große Unbewusste“. Das Unbewusste gilt als Ratgeber oder als brutaler Verführer, wie es beim IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn gewesen sein mag. Die Erklärung des Unbewussten sei eine der großen Aufgaben der Wissenschaft für die kommenden Jahrhunderte, vermutet Gershon.
Auf diesen neurowissenschaftlichen Grunderkenntnissen basierend zieht der Bonner Wissenschaftler Professor Armin Falk volkswirtschaftliche Schlüsse. Der Direktor des Center for Economics and Neuroscience berichtete gestern auf dem 15. Kolloquium der Daimler-Benz-Stiftung (Motto: „Kopf oder Bauch?“) über Entscheidungsmechanismen von Menschen.
Niemand entscheidet rein zweckrational
Er sagt: Ob Topmanager, Spitzenpolitiker oder Schnäppchenjäger im Supermarkt – wichtige Entscheidungen würden nie allein vom Kopf getroffen, sondern stets auch vom Bauch. Niemand entscheide rein zweckrational und eigennützig, wie es das Modell des „Homo oeconomicus“ vorsehe, so Falk. Auch Gefühle, Impulsivität, Risikobereitschaft, sogar Erziehung und Gene spielen nach seiner Einschätzung eine große, bislang vernachlässigte Rolle.
Anders formuliert: Der Mensch handelt gerne mal irrational. Als gutes Beispiel gelten die Börsen, wo regelmäßig Entscheidungen wider besseres Wissen gefällt werden. Das Modell des rein zweckrational und eigennützig handelnden Menschen reiche nicht aus, wenn die Verhaltensperspektive außen vor bleibt, schließt Falk.
Er und seine Mitarbeiter untersuchten auch die persönliche Bereitschaft, ein Risiko einzugehen. Es zeigte sich, dass die Unterschiede in der Risikobereitschaft mit Geschlecht, Alter, Körpergröße, Risikobereitschaft der Eltern und deren Bildungsstand in Zusammenhang standen. Sprich: Frauen wagten tendenziell weniger als Männer, Ältere weniger als Jüngere, Kleine weniger als Großgewachsene. Auch scheinen die Eltern ihr Level an Risikobereitschaft an die Kinder weiterzugeben.
Und eines ist allen gemeinsam: Ohne Bauchgehirn läuft auch beim Klügsten nichts. mit dpa