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Tödliche Unfälle: Unfallforscher: Viele Lkw-Fahrer sind im Blindflug unterwegs

Tödliche Unfälle

Unfallforscher: Viele Lkw-Fahrer sind im Blindflug unterwegs

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    Neben einem Lastwagen gerät ein Radler schnell in den toten Winkel und damit in Lebensgefahr.
    Neben einem Lastwagen gerät ein Radler schnell in den toten Winkel und damit in Lebensgefahr. Foto: Arno Burgi, dpa

    Neben einem Lastwagen gerät ein Radler schnell in Lebensgefahr: "Der Fahrradweg rechts neben einem Sattelschlepper ist immer im toten Winkel", sagt der Münchner Unfallforscher Wolfram Hell. "Der

    Erst Ende Januar starb in Ingolstadt eine 29-jährige Radlerin, nachdem sie von einem abbiegenden Lkw umgestoßen und überrollt worden war. Etwa 45 Menschen kommen allein in Bayern jedes Jahr bei Abbiegeunfällen zu Tode, wie die Polizei-Statistik für die vergangenen fünf Jahre zeigt. In vielen Fällen sind Lastwagen beteiligt. Es sei im Grunde ein "Unding", dass Sattelschlepper innerhalb der Städte fahren dürfen, sagt Experte Hell. "Die sind einfach im Blindflug unterwegs."

    Lastwagenfahrer gingen davon aus, dass sie mit den Außenspiegeln ausreichend sähen, und Radfahrer wähnten sich auf dem Radweg und bei grüner Ampel in Sicherheit. Beides sei falsch, macht Hell klar. Die Außenspiegel am Lkw reichten nicht aus, zumal sie meist schlecht eingestellt seien. Und der Radfahrer dürfe sich neben einem Sattelschlepper nie sicher fühlen. "Wer schlau ist, steigt ab und lässt den Lkw vorbei, auch wenn er Grün hat und im Recht ist." Was Lastwagen und Radfahrer/Fußgänger betrifft spricht der Unfallforscher von einer "Inkompatibilität der Systeme".

    Seit zehn Jahren kämpft Hell für mehr Sicherheit - und gegen Windmühlen. Politiker, Spediteure und Lkw-Hersteller seien gefordert. "Es funktioniert aber immer noch nicht. Da krieg ich einen Hals!" Mit Totwinkel-Erkennungssystemen ließen sich bis zu 70 Prozent der tödlichen Unfälle verhindern, schätzt er und zählt verschiedene Möglichkeiten auf, wie sich das Unfallrisiko verringern ließe: unter anderem der elektronische Abbiegeassistent, die Fresnell-Linse oder die gläserne Beifahrertüre. 

    ---Trennung _Rettende Technik nur in den wenigsten Lkw_ Trennung---

    Dennoch ist diese Technik nur in den wenigsten Lastwagen zu finden. Warum? "Kostengründe und Ignoranz. Das System kostet einen Spediteur pro Lkw vielleicht 1000 Euro. Ein toter Radfahrer kostet den Spediteur nichts. Denn da zahlt die Versicherung", sagt Hell und fordert ein Gesetz, dass die Sicherheitssysteme vorschreibt.

    MAN habe schon 2007 einen Abbiegeassistenten entwickelt, sagt der Forscher und fügt hinzu: "Der ist zwar nie in Serie gegangen - aber

    Eine weitere Möglichkeit wäre der sogenannte Trixi-Spiegel. Den hat ein Betroffener entwickelt: Ulrich Willburger. Dessen Tochter wurde 1994 im Alter von zwölf Jahren von einem abbiegenden Betonmischer überrollt, seitdem sitzt sie im Rollstuhl, musste 25 Operationen über sich ergehen lassen. Vater Willburger entwickelte daraufhin einen gewölbten Spiegel, der an Ampeln angebracht werden kann, wie Hell erzählt. Vom Sattelschlepper aus habe der Fahrer dadurch eine Rundumsicht. Dennoch fänden sich die Trixie-Spiegel - gerade einmal 50 Euro teuer - nur an wenigen deutschen Kreuzungen. 

    Der 55-jährige Familienvater kann nicht verstehen, wie gleichgültig hierzulande mit einem Menschenleben im Straßenverkehr umgegangen werde. "Wir jubeln über rückläufige Verkehrstotenzahlen. Aber vom Ziel - null Verkehrstote - sind wir weit entfernt." 2013 waren 3339 Menschen auf Deutschlands Straßen tödlich verunglückt. "Jeden Tag sterben durchschnittlich zehn Menschen. Das ist, als würde alle vier Wochen ein Jumbojet abstürzen", sagt Hell. "Wären 400 VIPs in einem Jumbojet gefährdet, dann wäre schnell eine Lösung da. Und wenn acht Leute an Vogelgrippe sterben, dann werden Millionen in die Impfforschung gepumpt. Aber Unfalltote gehören hier offenbar zum Alltag dazu."

    LKW-Unfälle: Hersteller arbeiten an Minimierung des Risikos

    Mercedes und MAN arbeiten nach Unternehmensangaben daran, das Risiko zu minimieren. Der MAN-Abbiegeassistent mit Kamera warne den Fahrer bei Kollisionsgefahr mit schwächeren Verkehrsteilnehmern, sagt Sprecher Sacha Klingner in München. Allerdings: "Auf dem Weg von einem Prototypen zum serienreifen Assistenzsystem müssen absolute Alltagstauglichkeit und Zuverlässigkeit erreicht werden. Daher muss das System noch umfassend getestet werden", sagt Klingner. Zudem müsse das System "wirtschaftlich attraktiv" sein. Einen Termin für die Serieneinführung gibt es noch nicht. 

    Mercedes hat den Blind Spot Assist entwickelt, der den Fahrer warnen soll, wenn er mit seinem Lkw einem Radfahrer oder Fußgänger gefährlich nahe kommt, wie Sprecherin Kathrin Fritz in Stuttgart sagt. Doch auch bei Mercedes wird es noch dauern, bis die Technik in der Praxis genutzt werden kann. "Es müssen noch hunderttausende Testkilometer absolviert und das System auf unterschiedliche Fahrzeugvarianten angepasst werden", ehe es zu Markteinführung kommt, sagte Sven Ennerst von Daimler Trucks im vergangenen Herbst.

    Unfallforscher Wolfram Hell lässt sich dadurch nicht entmutigen. Er wird weiter für Radfahrer und Fußgänger kämpfen: "Man stellt sich die Frage: Wie viele Unfälle müssen denn noch passieren?!"  dpa

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