In der Stadt sollen die Schulen besser und die Schüler klüger sein? Von wegen! Eine Studie des Aktionsrats Bildung im Auftrag der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw), die am Dienstag in München vorgestellt wurde, räumt gleich mit einer ganzen Serie von Vorurteilen auf. „Der Stadt-Land-Gegensatz wurde in weiten Teilen als Mythos entlarvt“, sagt vbw-Präsident Wolfram Hatz.
Eine bildungsbezogene Benachteiligung ländlicher Regionen lasse sich nicht belegen und sie lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass im ländlichen Bereich die Übertritts-, die Gymnasial- oder Abiturientenquoten niedriger seien als in den Städten – das ist eines der zentralen Ergebnisse des Autorenteams um den Vorsitzenden des Aktionsrats Bildung, den Präsidenten der Universität Hamburg, Dieter Lenzen. Begründung: Die Bildungsangebote sind demnach in Stadt und Land in etwa gleich groß. Allerdings würden auf dem Land häufiger alternative Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten stärker genutzt – zum Beispiel im Handwerk. Gleichzeitig sei der Wunsch der Eltern, ihren Kindern eine Laufbahn als Akademiker zu sichern, in ländlichen Regionen nicht so ausgeprägt. „Das hat etwas mit der Wertschätzung für nicht-akademische Berufe zu tun“, sagt Lenzen.
Bildungsunterschiede innerhalb einer Stadt sind oft höher als zwischen Stadt und Land
Ein weiteres Ergebnis der Studie ist, dass die Bildungsunterschiede innerhalb einer Stadt nicht selten höher sind als zwischen Stadt und Land. Professorin Tina Seidel von der Technischen Universität München führt das auf „quartierbezogene Probleme“ innerhalb der Großstädte zurück. Diese Probleme zeigten sich zum Beispiel dort, wo es soziale Brennpunkte oder viele Kinder von Migranten mit Sprachproblemen gibt. Sie leitet daraus die Forderung ab, dass eine bessere Bildungspolitik verstärkt die konkrete Situation an einzelnen Schulen in den Blick nehmen müsse. „Wir haben gelernt, dass wir sehr viel genauer hingucken müssen, um diesen kleinräumigen Situationen gerecht zu werden.“
Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft, die einen „Fachkräftemangel auf allen Qualifikationsebenen“ beklagt, macht sich diese Forderung zu eigen. „Die Förderangebote für Kinder müssen weiter ausgebaut werden. Außerdem brauchen wir differenzierte Angebote, die sich an den Bedürfnissen einzelner Stadtgebiete und Zielgruppen orientieren“, sagt vbw-Präsident Hatz. Ein Lösungsansatz sei, den Schulen mehr Eigenverantwortung zu geben und Mittel bedarfs- und anforderungsgerecht zuzuweisen. Die Schulleiter vor Ort, so Hatz, wüssten am besten, wo der Schuh drückt und wie die Mittel am effektivsten eingesetzt werden können.
Vbw-Präsident fordert: Schulen sollen mehr Eigenverantwortung bekommen
Bestätigt sieht sich durch die Ergebnisse der Studie auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann. „Wir brauchen individuelle Förderung auf allen Ebenen“, sagt Fleischmann, „wir müssen genau hinschauen, was genau diese Kinder an genau dieser Schule brauchen.“ Jede Schule habe ein eigenes Profil und brauche eine angepasste Ausstattung.
Alle Experten zeigen sich zudem überzeugt, dass es notwendig ist, die Bildungsangebote in der Fläche zu halten. Das betreffe die kleinen Grundschulen in ländlichen Regionen ebenso wie die weiterführenden Bildungsangebote. Herbert Püls, der Amtschef des Kultusministeriums, versichert, dass die Botschaft angekommen ist. Noch vor zwei Jahren habe man von „Landflucht“ gesprochen. „Das stimmt nicht mehr“.
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