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Spitzentreffen von Bund und Ländern: Mindestens zehn EHEC-Tote

Spitzentreffen von Bund und Ländern

Mindestens zehn EHEC-Tote

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    Der EHEC-Erreger verbreitet weiter Angst und Schrecken. dpa
    Der EHEC-Erreger verbreitet weiter Angst und Schrecken. dpa

    Die Zahl der EHEC-Toten ist am Wochenende auf zehn gestiegen. Alle Opfer stammten aus Norddeutschland. Viele Patienten liegen in äußerst kritischem Zustand auf der Intensivstation.  Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) bekräftigte am Sonntag die Warnung vor dem Verzehr von rohen Gurken, Tomaten und Salat. Bundesregierung, Länder und Behörden wollen die Ausbreitung des Darmkeims an diesem Montag in einem Spitzentreffen in Berlin beraten.

    "Solange es den Experten in Deutschland und Spanien nicht gelungen ist, die Quelle des Erregers zweifelsfrei zu benennen, haben die allgemeinen Warnhinweise für Gemüse weiterhin Bestand", sagte Aigner der "Bild am Sonntag". In einer Emnid-Umfrage für das Blatt gaben 58 Prozent der Befragten an, derzeit auf ungekochte Gurken, Tomaten und Salat zu verzichten. Die Bundesvereinigung der Erzeugerorganisationen Obst und Gemüse (BVEO) lässt unterdessen das Gemüse seiner Mitglieder im Labor untersuchen. Bislang seien dabei keine EHEC-Bakterien gefunden worden, berichtete der Verband in Bonn.

    Die Tests haben nach Ansicht der Bundesregierung allerdings bislang insgesamt nur begrenzte Aussagekraft hinsichtlich der Sicherheit. Derzeit sei noch nicht bekannt, an welchem Punkt der Lebensmittelkette die Kontamination der Waren stattgefunden habe, sagte der Sprecher des Verbraucherschutzministeriums, Holger Eichele, am Sonntag der dpa in Berlin. Unklar sei auch noch, ob die bisher gefundenen EHEC-Erreger auf spanischen Gurken von einer Kontamination bei der Erzeugung herrührten. Daher seien die Sicherheitsaussagen durch Tests auf der Erzeugerseite noch von begrenzter Aussagekraft.

    EHEC drückt Stimmung auf GemüsemarktIn Mecklenburg-Vorpommern fanden Lebensmittelkontrolleure bei drei Gurken Hinweise auf eine EHEC-Belastung, der Erreger selbst wurde aber bislang nicht nachgewiesen. Dieser Test kann nach Angaben von Landesverbraucherschutzminister Till Backhaus (SPD) noch bis Mitte der Woche dauern. Woher die in Lebensmittelläden und Gaststätten sichergestellten Gurken stammten, wollte der Minister nicht sagen.

    Der Höhepunkt der EHEC-Welle ist offensichtlich noch nicht erreicht. "Wir müssen davon ausgehen, dass die Zahl der Schwererkrankten noch weiter steigt", sagte ein Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums. Auch Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) erwartet eine weitere Zunahme. Zwischen einer Ansteckung und dem Ausbruch der Krankheit könnten bis zu zehn Tage liegen, betonte er.

    EHEC-Erreger auf spanischen GurkenDeutschlandweit wurden mittlerweile mehr als 1000 bestätigte und EHEC-Verdachtsfälle registriert. Normalerweise gibt es im ganzen Jahr etwa 900 gemeldete Infektionen mit den Bakterien.

    Nach Angaben der EU-Seuchenkontrollbehörde ECDC in Kopenhagen handelt sich um einen der weltweit schwersten Ausbrüche solcher EHEC-Varianten, die HUS auslösen können - und um den bislang größten beobachteten Ausbruch in Deutschland. Unmittelbare Gefahren für andere europäische Länder sieht die Behörde jedoch derzeit nicht.

    Von den mittlerweile zehn EHEC-Toten in Deutschland sind neun Opfer Frauen. Bislang stammen alle Todesopfer aus Norddeutschland. Bundesweit schweben mehrere Menschen in Lebensgefahr.

    Allein in Hamburg liegt die Zahl der EHEC-Patienten bei mehr als 400, rund 90 werden in Kliniken behandelt, zwei Menschen sind an der schweren Komplikation HUS gestorben. HUS steht für hämolytisch-urämisches Syndrom und kann zu Nierenversagen führen.

    Wegen Überlastung verlegen Hamburger Kliniken Erkrankte nach Niedersachsen. Dort wurden mehr als 140 bestätigte Erkrankungen, rund 50 EHEC-Verdachtsfälle und über 40 HUS-Fälle registriert. Drei Menschen sind gestorben. Schleswig-Holstein meldete am Wochenende drei weitere HUS-Tote, damit sind im nördlichsten Bundesland mindestens vier Menschen an HUS gestorben. Insgesamt gibt es dort rund 250 EHEC-Infektionen und mehr als 70 HUS-Fälle.

    Mediziner setzen bei schweren HUS-Fällen auf den neuen Wirkstoff Eculizumab. Dieser monoklonale Antikörper hatte im vergangenen Jahr bei drei EHEC-infizierten Kindern die HUS-Symptome drastisch gebessert, wie Ärzte und Wissenschaftler aus Heidelberg, Montreal und Paris im Fachblatt "New England Journal of Medicine" berichten. Etwa in den Unikliniken Hamburg, Hannover und Schleswig-Holstein bekommen schwerkranke HUS-Patienten die neue Behandlung. Ob sie wirkt, lässt sich nach Angaben der Kliniken jedoch noch nicht beurteilen.

    Der Zustand vieler HUS-Patienten im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) ist nach Einschätzung von Klinikchef Prof. Jörg Debatin äußerst kritisch. Von den rund 80 Patienten liegen vier Kinder und 14 Erwachsene auf der Intensivstation. Insgesamt haben 30 HUS-Erkrankte keine Nierenfunktion mehr, wie Debatin sagte. "Die Lage ist ausgesprochen ernst." Ob die neue Therapie mit Eculizumab anschlägt, könne man bislang noch nicht sagen.

    Deutschlands Bauern klagen indes über starke Absatzeinbrüche. Der Vizechef des schleswig-holsteinischen Bauernverbands, Hans-Peter Witt, sieht "irrsinnige Schäden". Salat sei praktisch nicht zu verkaufen, sogar bei Erdbeeren sei der Verkauf mancherorts um 50 Prozent zurückgegangen. Dies sei für viele Bauern existenzgefährdend.

    Auch spanische Bauern sind wütend auf Deutschland. Sie werfen deutschen Stellen vor, Landwirte in Spanien vorschnell mit dem EHEC-Erreger in Verbindung gebracht zu haben. Im Süden des Landes liegt der Gurken-und Tomatenanbau lahm.

    Der Hannoveraner Nierenarzt Jan Kielstein sagte unterdessen der Nachrichtenagentur dpa, die Warnungen seien "keine Panikmache". Kritik von Landwirten an der Informationspraxis von Behörden und Medizinern könne er nicht teilen, betonte der Nierenspezialist von der Medizinischen Hochschule Hannover. "Es sind natürlich alle sehr verunsichert, wie mit einer solchen Situation umzugehen ist." Nach der Schweinegrippezeit bestehe der Hang zu eher vorsichtigen Warnungen, da die Bevölkerung die Ausbreitung damals als nicht so dramatisch wahrgenommen habe. "Daraus aber eine große Zurückhaltung zu entwickeln, was Warnungen angeht, wäre sicherlich falsch."  dpa

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