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Selbstversuch: Mein Leben ohne Zucker

Selbstversuch

Mein Leben ohne Zucker

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    Zucker macht glücklich und ist scheinbar überall. Macht ein Leben ohne Zucker noch Spaß? Unsere Autorin hat den Selbstversuch gewagt.
    Zucker macht glücklich und ist scheinbar überall. Macht ein Leben ohne Zucker noch Spaß? Unsere Autorin hat den Selbstversuch gewagt. Foto: Andreas Warnecke, dpa (Symbolbild)

    Sucht? Hat bei mir keine Chance, dachte ich immer – und zugegebenermaßen war ich ein klein wenig stolz darauf. Während Freunde richtige Raucher wurden, schaffte ich es problemlos, Genussraucher zu bleiben; auch der Alkohol wurde mir nie gefährlich. Süchtig waren stets die anderen. Neulich ist diese Illusion jäh zerbrochen. Ich musste feststellen, dass ich ziemlich abhängig bin von einem Stoff, zu dem ich mein Leben lang eine innige Beziehung pflege: Zucker.

    Die Sache ist einfach: Ist er da – im Kaffee, im Kuchen, im Saft oder im Tiramisu –, ist das Leben schön und ich guter Dinge. Das Tolle daran, so dachte ich lange Zeit: Ich kann davon essen, so viel ich will, denn glücklicherweise nehme ich nicht sonderlich zu. Kaum hatte ich das erkannt, gab es Torte, Schokolade und Co bei jeder Gelegenheit. Dumm nur, dass nicht ich dem Zucker, sondern er mir ein Schnippchen geschlagen hatte: Zufällig nicht zuzunehmen ist nämlich nur die eine, die sichtbare Seite.

    Die andere ist, dass Zucker beträchtliche Auswirkungen auf den Körper hat, und zwar von der Sorte, die man nicht haben mag. Der Anstieg und darauf folgende rapide Abfall des Blutzuckerspiegels – manchen bekannt als Nachmittags-Büro-Loch – ist nur ein Teil davon.

    Deshalb mache ich seit 1. März Zuckerfasten, die erste Fastenzeit überhaupt in meinem Leben. Drei Kollegen sind mit im Boot; unsere Abmachung: sechs Wochen kein selbst zugesetzter Zucker, keine Süßwaren, kein Honig oder Ersatzsüße; erlaubt ist täglich eine moderate Menge natürlich vorkommenden Zuckers im Obst, aber keine Fruchtsäfte oder Smoothies. Immerhin bekam jeder drei „Sünden-Gutscheine“, einzulösen ab 21. März.

    Sogar von einer Zucker-Verschwörung ist die Rede

    Der Umgang gerade westlicher Länder mit Zucker war lange Zeit fast sorglos, die Buhmänner der Ernährungswissenschaft hießen Fett und Cholesterin. Das ändert sich gerade: Etliche Zeitungsartikel und Fernsehsendungen greifen das Thema auf, von einer Zucker-Verschwörung ist die Rede und vom weißen Gift. Angestoßen hat das Umdenken Robert Lustig von der University of California mit seinem Artikel „The toxic truth about sugar“, der 2012 im Wissenschaftsmagazin Nature erschien. Der Kinderarzt ist davon überzeugt, dass ein hoher Zuckerkonsum zu Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes führt und süchtig machen kann. In der Tat zeigen Studien, dass durch zu viel Zucker Blutdruck und Blutfette ansteigen, und zwar unabhängig vom Körpergewicht. Ein hoher Zuckerkonsum lässt zudem die Haut schneller alt aussehen und fördert die Ausbreitung von schädlichen Pilzkulturen im Darm.

    Ich hatte also alle Argumente, die Vernunft sowie die Verheißung eines faltenreduzierten und gesünderen Lebens vor mir, fühlte mich gewappnet und bereit – doch: Zwei Wochen vor Start wurde mir ganz anders, „adios dolce vita“ stand vor meinem geistigen Auge in grauen Lettern an den noch graueren Horizont geschrieben. Dann kam der 1. März und es ging los.

    Verschiedene Fasten-Konzepte

    Vom Intervallfasten bis zur Buchinger-Methode: Mit diesen Kuren versuchen Menschen, ihr Gewicht zu reduzieren:

    Buchinger-Methode: Die Kur beginnt mit Entlastungstagen, an denen man leichte Kost zu sich nimmt. Darauf folgen mehrere Fastentage: Außer Wasser stehen nur Tee, Gemüsebrühe oder Saft auf dem Plan. Täglich sollen dadurch nicht mehr als 500 Kalorien zusammenkommen. Am Ende sind mehrere Aufbautage vorgesehen, an denen die Kalorienzufuhr schrittweise gesteigert wird.

    F.-X.-Mayr-Kur: Das Konzept des österreichischen Arztes Dr. Franz Xaver Mayr (1875 – 1965) zielt vor allem auf Darmreinigung ab. In der Kernphase werden zwei Mal täglich alte Semmeln mit etwas Milch langsam gekaut, um intensives Kauen zu lernen. Außerdem wird der Darm regelmäßig entleert und der Bauch massiert, um die Darmtätigkeit anzuregen.

    Schroth-Kur: Benannt nach dem Landwirt und Naturheilkundler Johann Schroth (1798 – 1856). Die Ernährung besteht vor allem aus Getreidebrei, gekochtem Obst und Gemüse und trockenen Brötchen. Dabei wechseln sich „Trockentage“, an denen man wenig Flüssigkeit zu sich nimmt, mit „Trinktagen“ ab. Neben Wasser, Tee und Saft ist ursprünglich auch Wein vorgesehen. Feuchtwarme Wickel sollen zudem die „Entgiftung“ des Körpers fördern.

    Molke-Fasten: Neben Wasser und Tee stehen rund 1,5 Liter Molke auf dem Plan, die man in kleinen Portionen über den Tag verteilt trinkt. Die Molke soll einem Muskelabbau vorbeugen und sich bei Darmbeschwerden günstig auswirken.

    Basen-Fasten: Dabei fastet man nicht im eigentlichen Sinne, sondern verzichtet mindestens eine Woche lang auf säurebildende Nahrungsmittel wie tierische Eiweiße und Getreide. Das soll den Körper entlasten und den Einstieg in eine gesündere Lebensweise erleichtern. Gegessen wird dreimal am Tag, und zwar viel frisches Obst und Gemüse, Kräuter und Nüsse. Getrunken werden 2,5 bis drei Liter Quellwasser oder verdünnter Kräutertee.

    Intervallfasten: Es gibt verschiedene Konzepte, am bekanntesten ist die Fünf-zu-Zwei-Diät: An fünf Tagen isst man wie gewohnt, an zwei Tagen nimmt man höchstens 500 bis 600 Kalorien zu sich. (toll)

    Die Frage ist: Warum essen wir so viel von etwas, das so schädlich ist? Hat vor Lustig gar niemand davor gewarnt? Doch! Bereits in den 1970er Jahren hatte ein anderer amerikanischer Forscher geschrieben, dass es ein moderner Irrglaube sei, Fett zu verteufeln und Zucker zu verharmlosen. Seine Begründung: Während der Mensch seit tausenden Jahren daran gewöhnt sei, Fette zu verstoffwechseln, sei Raffinadezucker für unseren Organismus relativ neu.

    Zucker wurde erst seit Züchtung der Zuckerrübe vor etwa 200 Jahren so allgegenwärtig, dass wir heute fälschlicherweise glauben, er sei ein Grundnahrungsmittel. Besagter Forscher wurde jedoch in Forscherkreisen überstimmt, anders gesagt: mundtot gemacht. Zudem verharmloste die Industrie die Risiken eines zu hohen Zuckerkonsums und gibt bis heute viel Geld für Marketing aus.

    Weniger Zucker pro Tag? Klappte fast problemlos

    Während der ersten drei Wochen meines Zuckerfastens bekam ich den Verzicht fast schon locker hin. Statt Zuckerbomben in der Früh (süßer Kaffee, Orangensaft und Marmeladen- oder Nutellabrote) Müsli mit Obst, später Nussparade und Apfelschnitze statt Süßkram. Heißhungerattacken und Nachmittagstief waren schnell Vergangenheit. Ich bin standhaft geblieben, als meine reizenden anderen Kollegen bei jeder sich bietenden Gelegenheit Kuchen mitbrachten. Alles in allem lief es. Bis zu jenem Sonntagabend: die Pizza war bestellt, und als Aufmerksamkeit brachte der Bote: Tiramisuuuuu! Am liebsten hätte ich dem Mann den Hals umgedreht, aber nahm es mit einem verbissenen Lächeln entgegen; morgen würde ich das Tiramisu dem Nachbarn schenken. Nun, was soll ich sagen, der Montag war nicht mein Tag…

    Seitdem halte ich die Stange, jedoch ist es entgegengesetzt meiner Erwartung gegen Ende eher schlimmer als leichter geworden. Es gab sehr viele Milchkaffees am Morgen, bei denen ich harte Kämpfe mit meiner Hand am Zuckerlöffel ausgefochten habe. Überlebenswichtig: Leidensgenossen, denen man stündlich erzählen kann, wie geradezu widerwärtig Kaffee ohne Zucker ist.

    Was also hat’s gebracht? Ich habe gemerkt, wie verzuckert mein Leben und unsere Gesellschaft sind; dass Süßes und Zuckerhaltiges einen von allen Seiten und an jeder Ecke geradezu anspringen. Gesund ist anders. Und ich werde ein paar gute Angewohnheiten aus dem Zuckerfasten ins „normale“ Leben mitnehmen.

    Rund die Hälfte der Deutschen hält die bevorstehende Fastenzeit aus gesundheitlicher Sicht für sinnvoll. Das ergab eine repräsentative Forsa-Studie im Auftrag der Krankenkasse DAK. Die Befragten fänden den mehrwöchigen Verzicht auf ein bestimmtes Genussmittel oder Konsumgut sinnvoll oder gar sehr sinnvoll - allen voran die Bayern. Worauf verzichten sie?
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    Eine Krankenkasse hat in einer Umfrage herausgefunden, worauf die Deutschen in der Fastenzeit verzichten wollen. Die Ergebnisse im Ranking.

    Dennoch: Ein bisschen süß sollte das Leben schon sein. Ich sehne Ostern herbei. Da werde ich auf einer Hütte in den Bergen sitzen und einen Kuchen essen. Oder zwei. 

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