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Pharmakologie: Große Gefahr durch gefälschte Medikamente

Pharmakologie

Große Gefahr durch gefälschte Medikamente

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    Echt oder gefälscht? Das sieht man den Tabletten in der Regel nicht an.
    Echt oder gefälscht? Das sieht man den Tabletten in der Regel nicht an.

    Nein, es ist nicht mehr nur Viagra, die begehrte und teure blaue Potenzpille, die Nachahmer auf den Plan ruft. „Nach unseren Erkenntnissen“, sagt Dr. Rolf Hömke, „wird inzwischen so ziemlich alles gefälscht“. Teure Medikamente ebenso wie billigere, Lifestyle-Produkte wie Viagra oder Haarwuchsmittel ebenso wie Herz- oder Krebsmedikamente.

    Dr. Rolf Hömke, Abteilung Kommunikation beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) in Berlin, hat es selbst zwar noch nicht ausprobiert, aber er weiß, wie das funktioniert, gefälschte Arzneimittel an den Mann oder die Frau zu bringen. Klar, eine seriöse Versandapotheke wird kein verschreibungspflichtiges Medikament ohne Rezept verkaufen, sagt er. „Fälschungen laufen über Händler, die weit außerhalb Europas sitzen, auf den Bahamas oder in Asien.“ Und auf deren Website könne man dann „einfach so ordern“. Und wenn man das getan hat, „dann kommt irgendwann ein Päckchen, da ist dann irgendwas drin“. Kann sein, dass es ein Medikament ist, kann aber auch sein, dass es sich um Fälschungsware handelt. „Man kriegt irgendwas.“

    Irgendwas: zum Beispiel völlig wirkungslose Tabletten, die anstelle der Wirksubstanz nur aus Talkum bestehen. Oder Tabletten, die richtiggehend Gift enthalten. Es können Pillen eintrudeln, die zwar durchaus den versprochenen Wirkstoff in sich haben, aber zu viel davon oder auch zu wenig. Und darüber hinaus gibt es auch Pillen, die zwar einen Wirkstoff enthalten, nur dummerweise nicht den richtigen. „Die Fälscher haben keinerlei Hemmungen“, sagt Hömke.

    Und all das kommt gar nicht so selten vor: Jedes zweite bei unautorisierten Händlern im Internet gekaufte Medikament ist laut Schätzungen der WHO eine Fälschung. Allein im vergangenen Jahr hat der deutsche Zoll zehn Millionen gefälschter Tabletten sichergestellt. Diese Zahlen wurden unlängst beim „1. Berliner Informationsforum Arzneimittelfälschungen“ genannt. Eingeladen dazu hatte Viagra-Hersteller Pfizer, dessen Angaben zufolge allein 2010 weltweit rund fünf Millionen gefälschte „PDE-5-Hemmer“ (so heißt die Gruppe von Medikamenten gegen „erektile Dysfunktion“, zu der auch Viagra zählt) sichergestellt wurden.

    Blei, Borsäure und Bodenreiniger

    Von einer 2005 in Korea gefundenen Fälschung berichtet das Unternehmen, die blauen Pillen hätten jeweils 317 Milligramm des Wirkstoffes Sildenafil enthalten, während im Original nur 100 Milligramm enthalten seien. Die Gefahr ernsthafter Nebenwirkungen sei damit deutlich erhöht gewesen. Noch schlimmer verhielt es sich mit einem gefälschten verschreibungspflichtigen Schmerzmittel, das in einer Fälscherwerkstatt in Kolumbien gefunden worden sei: „Die Tabletten enthielten Straßenfarbe auf Blei-Basis, darüber hinaus Borsäure und Bodenreiniger“, so die Firma.

    Die Risiken liegen auf der Hand. Die denkbaren Auswirkungen seien „hammerhart“, sagt Hömke; „wird eine behandlungsbedürftige Krankheit behandelt mit einem wirkungslosen Medikament, dann bleibt die Krankheit im günstigsten Fall einfach bestehen, im ungünstigsten Fall verschlimmert sie sich“ – denkbar bis hin zum Tod. Dennoch ist dem vfa bislang kein konkreter Schadensfall in Deutschland bekannt geworden. Selbst Fernsehsender, die sich um Berichterstattung über einen Patienten bemühten, seien nicht fündig geworden, heißt es bei Pfizer. Und auch eine große Münchner Fachkanzlei für Medizinrecht erklärt auf Anfrage, man habe nie von einem solchen Fall gehört.

    Der Schaden in Form menschlichen Leids, den die gefälschten Pillen anrichten, bleibt also relativ unscharf. Und auch der finanzielle Schaden lässt sich nicht genau beziffern: „Niemand führt Buch darüber“, so Hömke. Es gebe nur Schätzwerte, die allerdings schon veraltet seien.Von seiten der Firma Pfizer heißt es, die WHO habe zumindest die Umsätze mit gefälschten Arzneien für das vergangene Jahr auf 75 Milliarden Dollar geschätzt.

    Lösen soll das Problem mit den gefälschten Arzneien in Deutschland „securPharm“, ein neues Sicherheitssystem, das laut VfA 2013 zunächst in einem Pilotprojekt getestet werden soll. Dabei arbeiten Arzneimittelhersteller, Apotheker und Pharmagroßhändler zusammen. Das Pilotprojekt sieht vor, dass mehrere Hersteller die Packungen einiger ausgewählter rezeptpflichtiger Arzneimittel mit einem sogenannten DataMatrix-Code versehen, wie sie zum Beispiel auch bei Bahntickets gängig sind. Die teilnehmenden Apotheken wiederum werden mit Scannern ausgestattet, die den Code lesen können.

    Jedes gekennzeichnete Präparat wird vor der Ausgabe gescannt, was eine geschützte Abfrage im Datenbank-System auslöst. Ist die Seriennummer ordnungsgemäß, wird das vom System bestätigt und die Nummer in der Datenbank als „abgegeben“ vermerkt. Eine unbekannte oder bereits abgegebene Nummer dagegen löst Alarm aus. Dann erhält der Kunde eine andere, korrekte Packung, und der Fälschung wird nachgegangen.

    „Wenn alles klappt wie geplant, ist securPharm in der Lage, den legalen Vertriebsweg weiter zu stärken und fit zu machen für die Herausforderungen der Zukunft“, sagt Hömke. Werde das System nach erfolgreicher Prüfung flächendeckend eingeführt, „bietet man allen, die das wollen, einen sicheren Hafen, sprich sichere Bezugsquellen“. Den illegalen Internethandel, der sich komplett außerhalb der Apotheken abspielt, wird es freilich nicht verhindern – und auch nicht sicherer machen können.

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