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Nobelpreisträger: Anruf aus Stockholm: Momente der Rührung bei Thomas Südhof

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Anruf aus Stockholm: Momente der Rührung bei Thomas Südhof

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    Die frühere Sekretärin von Thomas Südhof, Gabriele Endo, zeigt im Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen ein Foto von Südhof.
    Die frühere Sekretärin von Thomas Südhof, Gabriele Endo, zeigt im Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen ein Foto von Südhof. Foto: Swen Pförtner, dpa

    Erst ungläubig, dann ganz ergriffen hat der Medizin-Nobelpreisträger Thomas Südhof, 57, auf den Nobel-Anruf aus Stockholm reagiert. „Ist das Ihr Ernst?“, fragte er den Anrufer. „Oh mein Gott!“

    Es habe eine Menge Spekulationen gegeben, aber er hätte niemals damit gerechnet, den Nobelpreis zu bekommen, sagte der gebürtige Göttinger. Auf den Schock musste der Minuten zuvor in Schweden geehrte Forscher, der mit dem Auto in Spanien zu einer Konferenz unterwegs war, erst einmal anhalten. „Ich dachte, es wäre mein Freund, der anruft. Ich habe mich ein bisschen verfahren. Es tut mir leid, das ist ein bisschen unerwartet.“

    Südhof: „Meine Frau denkt, ich bin verrückt. Ich bin unglaublich getrieben.“

    Dass er gemeinsam mit den US-Forschern Randy Schekman, 64, und James Rothman, 62, ausgezeichnet worden ist, sei „wundervoll“, sagte Südhof. „Ich bin tatsächlich sehr glücklich darüber, weil ich denke, dass das unglaublich fair ist. Jeder hat seine eigene Meinung darüber, wer was verdient, und man neigt dazu, sich zu überschätzen.“ Seine Arbeitswut löse in seinem Umfeld manchmal Kopfschütteln aus: „Meine Frau denkt, ich bin verrückt. Ich bin unglaublich getrieben. Ich glaube, das war nicht so, als ich jung war“, sagte Südhof. „Ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich genieße, was ich tue.“

    Alle drei Wissenschaftler wurden bereits ausgezeichnet

    Der Anruf aus Stockholm rührte den Forscher hörbar: „Ich muss das hier immer noch verdauen, es tut mir leid“, sagte Südhof.

    „Die drei Preisträger haben das Geheimnis gelöst, wie die Zellen ihr Transportsystem organisieren“, erläutert Juleen Zierath, Vorsitzende des Nobelkomitees in Stockholm. Alle drei Wissenschaftler, die unabhängig voneinander forschten, wurden bereits mit dem Lasker-Preis ausgezeichnet: die beiden US-Forscher 2002, Südhof in diesem Jahr. „Wenn wir denken, werden Substanzen von einem Neuron zu einem anderen freigesetzt“, erklärte Komitee-Mitglied Jan Andersson.

    Nobelpreisträger fanden heraus, wie Zellen ihr Transportsystem organisieren

    „Südhof hat herausgefunden, wie das Freisetzen kontrolliert wird. Also wie man seine Gedanken und Bewegungen kontrollieren kann.“

    Südhof sei „eine sehr starke und fordernde Persönlichkeit, sehr ehrlich und offen“, aber auch in seiner Kritik immer konstruktiv, sagte gestern sein ehemaliger Mitarbeiter Nils Brose, der Direktor am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen ist. Brose nannte Südhof einen „sehr guten Mentor und kollegialen Unterstützer, der seinen Mitarbeitern gegenüber sehr großzügig ist“.

    Thomas Südhof in Göttingen und Hannover aufgewachsen

    Aufgewachsen ist Südhof in Göttingen und Hannover. An der Waldorfschule in der niedersächsischen Landeshauptstadt machte er 1975 sein Abitur. Er studierte in Aachen und Göttingen, wo er 1982 seine Doktorarbeit abschloss. Darauf ging er an die Universität von Texas. Seit 2008 arbeitet er an der Stanford-Universität. Ungeachtet seiner langen US-Karriere blieb Südhof nach Meinung von Kollegen „in vieler Hinsicht typisch deutsch“.

    Nobelpreisträger weiß nicht, ob er noch deutscher Staatsbürger ist

    Medizin-Nobelpreisträger seit 2004

    2017: Der Nobelpreis geht an Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young (alle USA) für Arbeiten zur Funktion und Kontrolle der Inneren Uhr.

    2016: Molekularbiologe Yoshinori Ohsumi aus Japan erhält den Preis für seine Forschung zur Autophagie. Die Entschlüsselung der lebenswichtigen Müllentsorgung in Körperzellen könnte dabei helfen, Therapien gegen diverse Krankheiten zu entwickeln.

    2015: Die Chinesin Youyou Tu für die Entdeckung des Malaria-Wirkstoffs Artemisinin. Sie teilte sich den Preis mit dem gebürtigen Iren William C. Campbell und dem Japaner Satoshi Omura, die an der Bekämpfung weiterer Parasiten gearbeitet hatten.

    2014: John O'Keefe aus den USA sowie May-Britt Moser und Edvard Moser (beide Norwegen).

    2013: Thomas Südhof aus Deutschland und seine beiden US-Kollegen James Rothman und Randy Schekman.

    2012: John B. Gurdon aus Großbritannien und Shinya Yamanaka aus Japan.

    2011: Bruce Beutler (USA) und Jules Hoffmann (Frankreich) für Arbeiten zur Alarmierung des angeborenen Abwehrsystems.

    2010: Der Brite Robert Edwards für die Entwicklung der Reagenzglas-Befruchtung.

    2009: Elizabeth Blackburn, Carol Greider und Jack Szostak (alle USA) für die Erforschung der Zellalterung.

    2008: Harald zur Hausen (Deutschland) für die Entdeckung der Papilloma-Viren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen, sowie die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung des Aidserregers HIV.

    2007: Mario R. Capecchi, Oliver Smithies (beide USA) und Sir Martin J. Evans (Großbritannien) für eine genetische Technik, um Versuchsmäuse mit menschlichen Krankheiten zu schaffen.

    2006: Die US-Forscher Andrew Z. Fire und Craig C. Mello für eine Technik, mit der sich Gene gezielt stumm schalten lassen.

    2005: Barry J. Marshall und J. Robin Warren (beide Australien) für die Entdeckung des Magenkeims Helicobacter pylori und dessen Rolle bei der Entstehung von Magengeschwüren.

    2004: Richard Axel und Linda Buck (beide USA) für die detailgenaue Enträtselung des Geruchssinns.

    Ob er aber noch deutscher Staatsangehöriger ist, blieb gestern unklar. Er selbst war sich am Tag der Verkündung nicht sicher, ob er neben der amerikanischen auch noch die deutsche Staatsbürgerschaft habe. „Ich bezweifle, dass ich juristisch gesehen deutscher Staatsbürger bin, aber ich weiß es nicht“, sagte er. Von deutschen Behörden kamen widersprüchliche Aussagen. Südhof lebt seit 1983 in den USA und hat inzwischen die US-Staatsbürgerschaft angenommen. Deutschland fühle er sich aber noch immer verbunden.

    Amerikaner Schekman war gerade aus Deutschland zurückgekommen

    Der Amerikaner Schekman hatte erst am Donnerstag die Otto-Warburg-Medaille in Frankfurt am Main erhalten – für Forschungsergebnisse zu Transport-Prozessen in Zellen. „Ich war gerade aus Deutschland zurückgekommen und hatte meiner Frau stolz die Warburg-Medaille gezeigt, die ich gerade in Frankfurt bekommen hatte“, sagte Schekman. Er forscht derzeit an der Yale-Universität in New Haven. Der Nobel-Anruf erreichte ihn um 1.30 Uhr Ortszeit.

    „Das ist eine hervorragende Wahl“, sagte Prof. Franz-Ulrich Hartl, Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried, mit Blick auf die Preisträger. „Im Moment gibt es noch keine konkreten therapeutischen Ansätze, aber die Chance ist ganz erheblich, dass das passieren wird.“

    Forschungen nützlich bei Immunkrankheiten von Kindern

    Nützlich seien die Forschungen bereits etwa bei schweren Immunkrankheiten von Kindern, erläuterte Nobel-Komitee-Mitglied Jan Andersson. Weil entscheidende Gene identifiziert seien, könne man innerhalb weniger Tage feststellen, wo genau diese Funktionsstörung liege und in das Immunsystem eingreifen. An diesem Dienstag und am Mittwoch werden die Träger des Physik- und des Chemie-Nobelpreises benannt. dpa/AZ

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