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Neurofeedback: Wie ein neues Verfahren bei Depressionen und Sucht helfen soll

Neurofeedback

Wie ein neues Verfahren bei Depressionen und Sucht helfen soll

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    Mithilfe der Neurofeedback-Therapie sollen Patienten lernen, ihre Hirnaktivitäten durch Konzentration zu steigern. Das soll unter anderem bei Depressionen und ADHS helfen.
    Mithilfe der Neurofeedback-Therapie sollen Patienten lernen, ihre Hirnaktivitäten durch Konzentration zu steigern. Das soll unter anderem bei Depressionen und ADHS helfen. Foto: imago/DATA73

    Neurofeedback – das klingt irgendwie nach einem neumodischen Verfahren. Damit soll man seine eigenen Gehirnaktivitäten kontrollieren und so verschiedene Krankheiten behandeln können. Aber die Methode ist umstritten.

    Wie funktioniert nun Neurofeedback genau? Ein Beispiel. Siegfried Trattner konnte früher oft nicht einmal für eine Minute still sitzen: Er hat ADHS, also die bekannte Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. Es dauerte aber recht lange, bis der 48-jährige Tätowierer aus Stuttgart die Diagnose bekam. Um mit der Unruhe fertig zu werden, nahm er früher Drogen. Doch das hatte natürlich Konsequenzen. Er schaffte es beispielsweise nicht, eine Berufsausbildung abzuschließen. Dann, während seiner fünften

    Wie genau der Prozess abläuft, ist noch immer unklar

    Beim Neurofeedback werden die Hirnströme per Elektro-Enzephalogramm (EEG, ein schon sehr lange bekanntes, völlig schmerzloses Verfahren) abgeleitet. Damit kann man dann Patienten ihre eigenen Gehirnaktivitäten zeigen. Sie sollen dann lernen, sie gezielt zu verändern. Ein einfaches Szenario: Ein Ball fliegt auf dem Bildschirm von links nach rechts. Der mit Elektroden am Kopf verkabelte Patient bekommt dann entweder den Auftrag, die Erregung des Gehirns zu verstärken oder zu hemmen. Schafft er es, fliegt der Ball nach unten beziehungsweise nach oben davon – als Zeichen des Erfolges. Es gibt auch kompliziertere Simulationen, etwa ein Tischtennisspiel oder eine Reise mit einem Raumschiff. Doch schlussendlich geht es beim Betrachten immer darum, seine innere Erregung zu steigern oder zu mindern.

    Wie genau Patienten es nun schaffen, ihre Gehirnaktivitäten zu beeinflussen, ist bis heute nicht ganz klar. Jeder muss eine eigene Strategie finden, wobei der Prozess eher automatisch abläuft, wenn man es erst einmal gelernt hat. Siegfried Trattner redete sich in Gedanken zu, ruhiger zu werden. Er wusste aber: „Man soll eigentlich so gut wie gar nichts machen, das Gehirn lernt es selbst.“ Auch, warum das Verfahren Symptome lindert oder kognitive Fähigkeiten verbessert, ist bisher nicht ganz klar. Dennoch scheint Neurofeedback für eine Menge verschiedener Anwendungsgebiete nützlich zu sein. Neben ADHS wird es bei Epilepsie eingesetzt, in Kombination mit den dabei üblichen Medikamenten. Auch bei Schizophrenie, Depressionen, Drogensucht, Schlaganfall, Schmerz und Schlaflosigkeit scheint es zu helfen – zumindest bei Teilaspekten der Erkrankungen.

    Neurofeedback: Ist alles nur ein Placebo-Effekt?

    Trotz vieler Erfolge in klinischen Studien und in der Praxis wird aber weiter debattiert, ob Neurofeedback überhaupt wirksam ist. Nicht jeder kann lernen, es zu nutzen, weshalb nun versucht wird, den Lernprozess zu vereinfachen. Eine Forschergruppe aus China stellte sogar eine Methode vor, wie Neurofeedback ganz ohne das Zutun des Patienten funktionieren kann. Allerdings ist das bisher ein sehr theoretisches Konstrukt mit vielen offenen Fragen.

    Zudem diskutieren Wissenschaftler, ob Neurofeedback tatsächlich wirkt oder ob es nur durch den Placebo-Effekt funktioniert. Also dadurch, dass der Patient meint, durch Beeinflussung seiner Gehirnaktivitäten seinen Zustand verbessern zu können. Wobei also allein der Glaube daran hilft.

    Was die Einordnung des Neurofeedbacks noch komplizierter macht: Praktisch jeder kann die Technik anbieten – nicht nur Heilkundige. So kommt es vor, dass ungeeignetes Equipment genutzt wird. Oder die Patienten nicht die therapeutische Begleitung bekommen, die sie eigentlich benötigen. Die Krankenkasse zahlt das Neurofeedback dann, wenn es von einem Psychotherapeuten mit Kassenzulassung als Teil einer Verhaltenstherapie angeboten oder als ergotherapeutische Maßnahme verordnet wird.

    Auch wird Neurofeedback nicht nur bei Erkrankungen, sondern ebenso zur Verbesserung der Konzentration in gesunden Menschen angeboten. Oder etwa im Leistungssport. „Es wird viel gemacht – und wenig dazu publiziert“, meint Ute Strehl, Psychologin und Forscherin an der Universität Tübingen. Wie sinnvoll diese Anwendungen sind, ist fraglich.

    Neurofeeback soll auch die Konzentration verbessern

    Siegfried Trattner und vielen anderen Patienten jedenfalls hat Neurofeedback ganz offensichtlich geholfen. Seit Trattner damit begann, gab es mehrere Situationen, in denen er früher von der Sucht her rückfällig geworden wäre – also Ruhe in den Drogen gesucht hätte. „Dank Neurofeedback hatte ich ein ganz anderes Gefühl für die Situation und blieb standhaft“, berichtet Siegfried Trattner. Bei seiner Drogentherapie waren die Therapeuten von seinem Erfolg so beeindruckt, dass sie die Methode nun ebenfalls in ihr Programm aufgenommen haben.

    Ein weiterer positiver Aspekt ist: Wenn man einmal gelernt hat, wie man seine Gehirnaktivität beeinflusst, braucht man später keine Auffrischungsübungen. Diese These belegen zumindest manche Langzeitstudien.

    Die Psychologin Ute Strehl meint: „Das ist motorisches Lernen: Wenn ich es einmal kann, verlerne ich es nicht mehr.“ Natürlich sei bei der Therapie wichtig, dass man den Transfer in den Alltag lernt. Manche Patienten seien sogar selbst überrascht, wenn sie feststellen, dass sie in kritischen Situationen unbewusst ihre erlernten Fähigkeiten immer noch anwenden.

    Für Siegfried Trattner brachte das Neurofeedback Lebensqualität und eine positivere Grundeinstellung. „Neurofeedback hat mir ein neues Leben gegeben, mich weg von den Drogen geführt. Seitdem ich das mache, komme ich meinen Zielen einfach näher. Schade, dass es nicht zwanzig Jahre früher passiert ist“, sagt er.

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