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München: Eingefroren für die Zukunft: Wie ein Münchner seine Wiedergeburt plant

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Eingefroren für die Zukunft: Wie ein Münchner seine Wiedergeburt plant

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    Kryoniker hoffen darauf, dass ihnen die Wissenschaft irgendwann den Traum von der Widergeburt erfüllen kann.
    Kryoniker hoffen darauf, dass ihnen die Wissenschaft irgendwann den Traum von der Widergeburt erfüllen kann. Foto: Medicimage, imago (Symbolbild)

    Man muss den Tod nur mal mit seinen Augen sehen. Dann sieht man ihn als eine Gleichung mit vielen Unbekannten. Es ist eine Aufgabe, die keiner lösen kann. Doch Torsten Nahm glaubt, dass es möglich ist. Irgendwann.

    Nahm ist Mathematiker bei einem internationalen Versicherungskonzern, ein blasser Junge in einem zu großen Anzug, der um dünne Arme und Beine schlenkert. Risiken bis auf die soundsovielte Stelle nach dem Komma zu berechnen, das ist sein Job. Und was ist der Tod anderes als das größte Risiko im Leben?

    In Gedanken hat Nahm für sich alle Varianten schon einmal durchgespielt. Ein Herzinfarkt ginge gar nicht, womöglich noch in den Bergen, wo man ihn erst nach Stunden finden würde. Alzheimer scheidet auch aus. Torsten Nahm will ja weiterleben nach dem Tod. Das ist sein Ziel. Sein Traum. Seine Berufung. Ihr hat er sein Leben gewidmet.

    Ein Tod mit Ansage, berechenbar bis auf die Minute - so stellt er sich das vor

    Sein Körper soll bei minus 196 Grad in Stickstoff eingefroren und erst wieder aufgetaut werden, wenn die Medizin weit genug ist, um ihm einen gesunden Körper zurückzugeben. Und was hätte er davon, wenn sein Gedächtnis dann so löcherig ist wie ein Schweizer Käse?

    Krebs dagegen würde sich anbieten, sagt er, als scanne er im Supermarkt verschiedene Pizzen mit der Handy-App auf Kalorien, Nährwert und Preis. Ein Tod mit Ansage, berechenbar bis auf die Minute, kontrolliertes Sterben in einem Krankenhaus. So stellt er sich das vor.

    Der Balsamierer könnte schon an seinem Bett sitzen und warten, bis das Herz stehen geblieben ist, um den Leichnam einzufrieren und vorzubereiten für den Transport. So nämlich funktioniert die Kryonik. Kryonik ist die Wissenschaft von der Konservierung einzelner Organe oder ganzer Organismen. Kryoniker hoffen auf ein zweites Leben nach dem Tag X.

    In Arizona hängen schon 124 Behälter mit gefrorenen Leichen

    Das ist Kryonik

    Kryonik ist die Wissenschaft von der Konservierung einzelner Organe oder ganzer Organismen. Der Begriff kommt vom griechischen Wort Kryos, er bedeutet Frost oder Eiseskälte.

    Kryoniker lassen sich nach ihrem Tod in einer Kapsel mit Stickstoff bei minus 196 Grad einfrieren. Sie hoffen, dass sie in ferner Zukunft mit einer Herz-Lungen-Maschine wiederbelebt werden können, wenn die Gentechnologie und die Medizin weit genug fortgeschritten sind, um schwere Krankheiten zu heilen und ihnen vielleicht sogar einen gesunden Körper zurückgeben können.

    Die Idee stammt von dem Physiker Robert Ettinger. In seinem 1964 erschienenen Buch „Die Aussicht auf Unsterblichkeit“ entwarf er die Vision, Menschen bei Tiefsttemperaturen zu konservieren und auf eine Reise in die Zukunft zu schicken.

    Heute, 50 Jahre später, steckt die Forschung aber immer noch in den Kinderschuhen. Das größte Problem ist die Suche nach einem Frostschutzmittel, das nicht toxisch ist. Bislang ist es noch nicht mal im Fall von Säugetieren gelungen, eingefrorene Organismen wiederzubeleben.

    Den größten Erfolg erzielten Wissenschaftler bislang mit einer einzelnen Kaninchenleber. Dennoch ist die Bewegung längst aus den USA nach Europa übergeschwappt. Inzwischen gibt es weltweit über 2000 Anhänger, und hunderte haben bereits Verträge über ihre Eiskonservierung abgeschlossen.

    Die Kosten liegen zwischen 25.000 und 200.000 US-Dollar. Weltweit gibt es bislang drei Organisationen in den USA und in Russland, die aus dem Traum vom ewigen Leben Kapital schlagen. Garantien können sie keine geben, und Kritiker weisen immer wieder auf die Lücken dieses fragwürdigen Geschäftsmodells hin.

    Der Pionier der Branche, ein US-Arzt, ging Ende der 1960er Jahre pleite und taute heimlich Leichen auf. Der Skandal flog auf, weil Nachbarn auf den Verwesungsgeruch aufmerksam geworden waren.

    In Deutschland ist die Bestattungsart der Kryonik gesetzlich nicht zugelassen. Damit sich das ändert, haben Anhänger dieser Wissenschaft einen Verein gegründet, die Deutsche Gesellschaft für angewandte Biostase. Sie hat 70 Mitglieder und veranstaltet Symposien, das nächste vom 4. bis 5. Oktober in Dresden. (ah)

    Es ist nur eine vage Hoffnung, und es gibt noch nicht den kleinsten Beweis dafür, dass sie sich jemals erfüllen könnte. Trotzdem hat Torsten Nahm schon einen Vertrag mit der Alcor Life Extension Foundation im US-Bundesstaat Arizona abgeschlossen – eine von drei Organisationen weltweit, die sogenannte Kryokonservierungen anbietet. Ein gigantisches Leichenkühlhaus in der Wüste.

    Alcor soll sich um alles kümmern an seinem Todestag, in 50, 100 oder 200 Jahren. Torsten Nahm hat eine Risikokapitalversicherung abgeschlossen. 200 000 Dollar kostet das Ticket in eine ungewisse Zukunft nach dem Tod. Einfrieren, Transport der Kapsel in die USA, Einlagerung, alles inklusive.

    Nahm ist nicht allein. 124 Thermosbehälter mit in Stickstoff gefrorenen Leichen hängen schon in der Alcor-Zentrale. Die meisten kommen aus den USA und aus Kanada, aber auch in Europa breitet sich die Bewegung langsam aus. Alcor ist Teil einer milliardenschweren Industrie, die mit einem alten Traum der Menschheit handelt: dem Traum vom ewigen Leben.

    Der Todfeind, so wird Nahm manchmal genannt

    Aber warum geben erwachsene Menschen ein halbes Vermögen für ein ungewisses Abenteuer in der Zukunft aus, statt ihr Leben auf Erden zu genießen? Der Münchner Torsten Nahm, 37 Jahre, seit einem halben Jahr wieder Single, keine Kinder, sagt, in seiner Freizeit lese er gerne Wissenschaftsmagazine und singe im Chor. Und dann ist da noch sein Engagement für den Verein. Zusammen mit anderen hat Nahm die Gesellschaft für angewandte Biostase e.V. gegründet, 70 Mitglieder, 90 Prozent Männer, fast alle mit einem naturwissenschaftlichen Hintergrund, Alter: 18 bis 72 Jahre.

    Wie tief sie in dem Thema stecken, zeigt ein Blick in die Chatforen auf der Homepage des Vereins. Gibt es schon mobile Ultratiefkühltruhen? Bekommt der Mensch etwas von der Konservierung mit? Und würde es für eine Wiederauferstehung nicht theoretisch reichen, wenn man das Hirn konserviert, das Zentrum des Bewusstseins, der Gefühle und der Erinnerungen?

    Es sind Fragen, die Science-Fiction-Freunde nicht überraschen. Der amerikanische Physiker Robert Ettinger war der Erste, der die Idee der Eiskonservierung aufbrachte. 1964 erschien sein Buch „Die Aussicht auf Unsterblichkeit“. Seither geistern tiefgefrorene Leichen in allen Variationen durch Horror- und Science-Fiction-Filme.

    Und die Mitglieder des Vereins haben Mühe, das Image der Frankensteins loszuwerden. Sie veranstalten wissenschaftliche Symposien und gehen in TV-Talkshows, um Vorbehalte auszuräumen. Torsten Nahm ist einer ihrer fleißigsten Lobbyisten. Der Todfeind, so wird der Sohn eines Physik-Professors schon mal genannt.

    Kryonik nährt die Hoffnung auf ewiges Leben

    Er ist in seiner Mittagspause von der Allianz-Versicherung zum Olympia-Park herübergeradelt. Ein blasser Schlaks mit wachen Augen hinter dicken Brillengläsern. Er sieht aus wie einer, der lange und gerne vor dem Computer sitzt. Ein Treffen in der Ausstellung „Körperwelten“. Es ist ein gespenstischer Ort. Plastinierte Leichen sitzen, stehen und liegen in hell erleuchteten Glasvitrinen. Sie spielen Schach oder Karten. Sie umarmen sich. Knochen, Muskeln, Gelenke, Sehnen.

    Man sieht, wie das Zusammenspiel im Körper funktioniert. Das Wunder Mensch. Doch in das Staunen mischt sich auch ein leises Gruseln. Denn die Wissenschaft ist das eine, die Inszenierung der Plastinate das andere. Gunther von Hagens, der Anatom und Erfinder der Plastination, gefällt sich in der Pose eines Gottes, der Tote wie Marionetten tanzen lässt.

    „Absurdes Theater“, sagt Torsten Nahm und lächelt. Dabei ist es mit diesen plastinierten Leichen wie mit der Kryonik. Beide nähren die Hoffnung auf ewiges Leben. In beiden Fällen wird das Blut aus dem Kreislauf gepumpt und durch eine Flüssigkeit ersetzt. Bei der Plastination hält dafür ein Kunststoff und in der Kryonik ein Frostschutzmittel her. Erst damit ist es möglich, den Körper einzufrieren, ohne dass Eiskristalle entstehen.

    Eine beklemmende Vorstellung. Doch der Zweck, sagt Torsten Nahm, heilige die Mittel. Und mit den zombiesken Gestalten aus den Körperwelten habe das nicht das Geringste zu tun. „Ich will ja nicht ausgestellt werden, sondern weiter mein Leben führen.“

    Alleine, ohne Freunde und Verwandte und mit der Angst, dass der körperlichen Schaden durch Erfrierungen so stark sein könnte, dass das Leben nur halb so lebenswert ist, wie er sich das in seinen Träumen ausmalt? Ach, sagt er, es sei eben nur eine kleine Chance. Bislang ist es nur gelungen, eine eingefrorene Kaninchenleber aufzutauen. „Es kann gut sein, dass es nicht funktionieren wird. Aber einen Versuch ist es auf jeden Fall wert.“

    Torsten Nahm hat auch seinen Bruder überzeugt, sich einfrieren zu lassen

    Seinen jüngeren Bruder Oliver hat er auch davon überzeugt, sich nach dem Tod einfrieren zu lassen. Natürlich gehe er davon aus, dass er in einen gesunden Zustand versetzt werde. So stehe es im Vertrag mit Alcor. „Ich habe ja keine Lust, als tatteriger Achtzigjähriger zurückzukommen.“ Torsten Nahm hat einige Semester Medizin studiert und im Fach Anatomie eine Leiche zerschnippelt. Es ist seine Art, dem Tod den Schrecken zu rauben. Alles rein funktional sehen, lieber nicht nach dem Menschen dahinter fragen, sagt er.

    Ist also die Kryonik weniger von der Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod getragen als von der Angst vor dem Tod? Der Transplantationsmediziner Eckhard Nagel, 54, glaubt, dass beide Motive eine Rolle spielen. Nagel sitzt im Ethikrat des Bundestags und im Präsidiumsvorstand des Deutschen Evangelischen Kirchentags.

    Noch hat sich der Ethikrat zwar nicht mit dem Thema Kryonik beschäftigt. Aber Nagel muss gläubigen Patienten schon mal die Frage beantworten, wie das zusammenpasse, eine Organspende und das Leben nach dem Tod. Schließlich, so der Einwand der Patienten, wollten sie als vollständiger Mensch wiederauferstehen. Nagel sagt, er frage sie dann, wie sie denn glaubten, wiederaufzuerstehen: im Körper eines Zwanzigjährigen? „Dann sagen viele von sich aus schon, nein, natürlich ist die Seele das Entscheidende.“

    Was ist denn schon so ein Leben?

    Doch die, kritisiert der ärztliche Direktor des Essener Universitätsklinikums, der bis 2010 Leiter des Transplantationszentrums am Klinikum Augsburg war, spiele in der Kryonik keine Rolle. Kryonik sei reine Science-Fiction. So sieht er das. Eine Industrie, die aus der Angst vor dem Tod ebenso Kapital schlage wie aus der Angst vor der eigenen Lebenswirklichkeit. Am meisten Sorge bereitet ihm das Menschenbild, das dahinterstehe. „Manche Menschen denken, nur die Materie mache sie aus. Kulturhistorisch ist das eine starke Verarmung.“

    Tatsächlich ist Torsten Nahm Atheist, wie die meisten seiner Mitstreiter. Anruf bei seiner Mutter Ingeborg, 64, in Bonn. Man würde gern wissen, wie sie sich seine Faszination für ein Leben nach dem Tod erklärt.

    Am Ende der Münchner „Körperwelten“-Ausstellung hängt ein Zitat von dem berühmten Philosophen Arthur Schopenhauer an der Wand. „Vom Standpunkt der Jugend aus ist das Leben lang, in der Rückschau aber kurz.“ Torsten Nahm lächelt. Der Satz spricht ihm aus dem Herzen. Er sagt: „Was ist denn schon so ein Leben? Ein Wimpernschlag der Geschichte.“

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