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Lernstörungen: Wenn Lesen, Schreiben und Rechnen zur Qual werden

Lernstörungen

Wenn Lesen, Schreiben und Rechnen zur Qual werden

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    13 - 12 = 11? Für einige Kinder bleibt Rechnen, Lesen und Schreiben reine Plackerei - egal wie viel sie üben. Was man tun kann.
    13 - 12 = 11? Für einige Kinder bleibt Rechnen, Lesen und Schreiben reine Plackerei - egal wie viel sie üben. Was man tun kann. Foto: Jörg Carstensen dpa/lnw

    Am Anfang der ersten Klasse sind sie alle gleich. Die Schüler können noch nicht lesen und schreiben. Sie lernen, wie die Buchstaben aussehen, wie man sie ausspricht und wie man sie schreibt. Das geht mit der Zeit immer schneller, sie müssen nicht mehr bei jedem Buchstaben überlegen, irgendwann lesen und schreiben sie flüssig. Doch manche Schulkameraden bleiben zurück. Sehr wahrscheinlich haben diese Schüler Legasthenie, eine Lese- und Rechtschreibschwäche. Ähnliche Probleme haben manche mit dem Rechnen, sie haben eine Dyskalkulie. So schwer diese Schüler sich auch tun, die Diagnose Legasthenie oder Dyskalkulie bedeutet auch immer etwas Gutes.

    Denn diese Lernstörungen könne nur jemand haben, der recht begabt ist, sagt der Psychologieprofessor Marcus Hasselhorn. Er forscht viel zu Lernstörungen. Er erklärt, dass Wissenschaftler bei manchen Kindern, die ansonsten gut lernen, große Schwierigkeiten beim Lesen, Schreiben oder Rechnen festgestellt haben. Weil diese Probleme und die eher hohe Intelligenz gar nicht zusammenzupassen scheinen, gehen Forscher davon aus, dass es dafür tiefer liegende Ursachen gibt, sagt Hasselhorn. Mittlerweile haben sie herausgefunden, dass bei vielen Betroffenen die Teile des Gehirns, die für das Kurzzeitgedächtnis zuständig sind, schlechter arbeiten als bei anderen. Deswegen seien Lernstörungen im Bereich Lesen, Schreiben und Rechnen auch medizinisch anerkannte Diagnosen, erklärt Hasselhorn. Andere Lernstörungen kenne die Medizin nicht.

    Üben, üben, üben? Das bringt bei Legasthenie und Dyskalkulie nicht viel

    Viele Schüler mit Legasthenie oder Dyskalkulie leiden monate- oder jahrelang. Sie üben und schaffen es nicht, flüssig zu lesen, richtig zu schreiben oder korrekt zu rechnen. Oft forderten die Lehrer und Eltern dann einseitig vom Kind, dass es sich mehr anstrengen solle, sagt die Kaufbeurener Legasthenie- und Dyskalkulie-Therapeutin Martina Osswald. Die Diagnose einer Lernstörung befreie häufig die Kinder und Eltern, weil mit ihr klar werde, dass niemand schuld ist. Sie ist auch nötig, um von der Schule einen sogenannten Nachteilsausgleich zu bekommen. Das bedeutet, dass Legastheniker zum Beispiel mehr Zeit bei Diktaten bekommen oder dass der Lehrer ihnen die Aufgaben bei Prüfungen vorliest. Zudem ist Notenschutz möglich. Dann werten die Lehrer etwa bei Deutscharbeiten die Rechtschreibung nicht mehr. Bekommt ein Schüler Notenschutz, muss die Schule das im Zeugnis vermerken. Allerdings betrifft das nur Schüler mit Legasthenie.

    Denn bei Dyskalkulie bietet das bayerische Schulsystem keinen Nachteilsausgleich oder Notenschutz an. Dyskalkulie ist gewissermaßen das Stiefkind der Lernstörungen. Therapeutin Osswald erzählt, dass die Therapiemethoden noch nicht so ausgereift seien. Und Psychologieprofessor Hasselhorn berichtet davon, dass viele Eltern die Dyskalkulie nicht ernst nehmen. Als er mit seinen Kollegen eine Beratung für die Eltern von Kindern mit Lernstörungen anbot, nahm eine große Mehrheit der Legastheniker-Eltern das Angebot an. Bei den Eltern von Kindern mit Dyskalkulie war es nur eine Minderheit. Die Legasthenie scheint in der Öffentlichkeit eher anerkannt zu sein als Dyskalkulie. Wenn aber Legastheniker zum Beispiel keinen Punktabzug für Rechtschreibfehler bekommen, macht das nicht andere Schüler neidisch?

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    Anscheinend nicht. Therapeutin Martina Osswald hat so etwas nicht mitbekommen. Dass Kinder wegen Legasthenie oder Dyskalkulie gehänselt werden, sei selten. Auch Osswalds Marktoberdorfer Kollege Richard Straub beobachtet eher, dass die anderen Schüler vorher das Leiden des Kindes mit Legasthenie sehen und dann Verständnis für den Nachteilsausgleich haben. Und auch der Leiter der staatlichen Schulberatung in Schwaben, Hans Schweiger, sagt, dass der Nachteilsausgleich keine Spannungen erzeuge, solange der Lehrer der Klasse klar kommuniziert, dass es dabei um den Ausgleich eines Handicaps geht.

    Auch wenn die Mitschüler nett sind, Lernstörungen bleiben sehr lange ein Manko. Psychologieprofessor Hasselhorn sagt zwar, dass Legastheniker nach einer Therapie ausreichend gut lesen und richtig schreiben können. Allerdings nur bei einem begrenzten Wortschatz. Neue Fremd- und Fachwörter bleiben immer eine große Herausforderung. Bei Dyskalkulie könne man bessere Erfolge erzielen, allerdings sei es da wichtig, schon am Anfang der Grundschule mit der Therapie zu beginnen. Großes Frustpotenzial berge der Übertritt aufs Gymnasium. Viele Grundschüler mit Legasthenie bekommen dank Nachteilsausgleich gute Noten und erwarten, dass es am Gymnasium so weitergeht. Dort müssen Schüler jedoch viel mehr lesen und häufig können dann Legastheniker trotz Nachteilsausgleich nicht mithalten.

    Allerdings können Menschen mit Lernstörungen grundsätzlich jeden Beruf ergreifen. Beim Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie kennt man viele solche Geschichten. Zum Beispiel die vom Wirtschaftsstudenten, der trotz Legasthenie viele Texte lesen muss. Er behilft sich mit einem Vorleseprogramm. Und studiert gemeinsam mit Menschen, die ihn in der ersten Klasse beim Lesen noch überholt hätten.

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