Ist Übergewicht bei jüngeren Menschen häufig anzutreffen, so ist es im Alter eher die Mangelernährung. Unter- bzw. Mangelernährung sei ein oft unterschätztes Problem bei älteren Patienten, verlautete gerade erst wieder beim Deutschen Internistenkongress, wie die Ärztezeitung berichtete. Die regelmäßige Kontrolle des Ernährungszustandes solle ebenso selbstverständlich sein wie die regelmäßiges Blutdruckmessen, zitiert sie dabei den Geriater Professor Cornel Sieber aus Regensburg.
Mangelernährung schadet dem Organismus
Eine berechtigte Forderung – schließlich hat eine Mangelernährung nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) gravierende Auswirkungen auf zahlreiche Funktionen des Organismus: Die Muskelkraft sinkt, die Erholung im Krankheitsfall ist verlangsamt, die Wundheilung beeinträchtigt, die Sterblichkeitsrate erhöht. Einer Studie in Pflegeheimen zufolge stieg die Sterblichkeitsrate der Heimbewohner laut DGE auf 22 Prozent an, wenn ihr Body-Mass-Index unter 22 lag, während sie nur zehn Prozent betrug bei einem BMI, der höher war.
Und in Krankenhäusern, die ja bekanntlich viele ältere Menschen behandeln? Da ist, zahlreichen Studien zufolge, bei Einweisung in die Klinik etwa jeder vierte Patient mangelernährt, berichtete der Kasseler Professor Christian Löser, der das Problem auch mit einer eigenen Arbeitsgruppe untersuchte, bereits im Jahr 2010 im Deutschen Ärzteblatt. Hauptursache der Mangelernährung, schrieb er damals, sei die jeweilige Erkrankung. Mangelernährung, so Löser, erhöhe die Letalität (Sterblichkeit), zudem die Zahl der Komplikationen und auch die Krankenhausverweildauer.
Am Klinikum Augsburg hat man sich einmal angeschaut, wie effektiv mangelernährte Patienten bei der Klinikaufnahme ermittelt werden – und machte eine „katastrophale Untererfassung aus“, berichtet Dr. Stefan Gölder, Oberarzt und Leiter des Ernährungsteams an der III. Medizinischen Klinik. Das Team nahm sich des Problems an, was dazu führte, dass die Erfassung betroffener Patienten deutlich verbessert wurde. Und zwar mittels des Nutritional Risk Screenings (NRS), das auf der Beantwortung einiger weniger, aber wichtiger Fragen beruht.
Body-Mass-Index ist wichtiges Kriterium
„Wir fragen, ob der Body-Mass-Index unter 20,5 liegt“, sagt Gölders Kollegin im Ernährungsteam, Ernährungswissenschaftlerin Susanne Nau. Außerdem interessiert, ob in den vorangegangenen drei Monaten ein ungewollter Gewichtsverlust zu verzeichnen war, ob der Patient schwer erkrankt ist und in der Vorwoche eine verminderte Nährstoffzufuhr hatte. Wird nur eine dieser Fragen mit ja beantwortet, fährt man mit dem Hauptscreening fort, wobei für die Krankheitsschwere und das Ausmaß der Ernährungsstörung Punkte von Null bis drei vergeben werden; Alter über 70 Jahre ergibt ebenfalls einen Punkt. Ab drei Punkten liegt ein Ernährungsrisiko vor, die Erstellung eines Ernährungsplanes wird angeraten.
Das Screening, seit langem validiert und für Kliniken empfohlen, sei „elegant, weil es den subjektiven Eindruck objektiv zusammenfasst“, sagt Gölder, meist falle es ja optisch gerade Angehörigen auf, dass der Patient „immer weniger wird“. Oft werde dies auch als ein Hauptsymptom an die Behandler herangetragen. Doch obwohl man Mangelernährung sehen könne, werde sie oft nicht objektiv gemessen.
Mangelernährung betrifft in der Klinik neben sehr alten Menschen vor allem Patienten mit Tumorleiden, und diese wiederum vor allem dann, wenn Organe des Verdauungstrakts befallen sind. Weil die III. Medizinische Klinik viele solcher Patienten hat, machte sich das Ernährungsteam Gedanken, wie man der Mangelernährung beikommen könne. Gemeinsam mit Klinikums-Diätküchenleiter Bernhard Ziegenfuß ersann man die „besondere Zwischenmahlzeit“ (BZM) für mangelernährte Patienten. Sie wird aus normalen Lebensmitteln hergestellt und mit Kalorien und Eiweiß angereichert.
Patienten wird Appetit gemacht
Ein Flyer am Krankenbett soll betroffenen Patienten Appetit darauf machen. Morgens gibt es eine Joghurtspeise, mittags ein besonderes Dessert, abends eine herzhafte Cremesuppe. Alle drei Zwischenmahlzeiten zusammengenommen haben einen Energiegehalt, der die Hälfte bis zwei Drittel des täglichen Grundumsatzes deckt, sagt Gölder. „So kommt man rasch in einen Bereich, in dem man sagen kann, der Patient ist adäquat ernährt.“
Viele Menschen wissen aus eigener Erfahrung: Haben sie gerade eine Hauptmahlzeit verspeist, geht immer noch ein bisschen was. Und weil das Auge bekanntlich mitisst, sind die BZM appetitlich angerichtet und schön garniert. Der Patient, der ja oft Schwierigkeiten mit dem Essen hat, solle das Gefühl bekommen, „ja, das muss ich unbedingt haben“, heißt es.
Alternative wäre eine Fertig-Trinknahrung, die in ihrer Zusammensetzung bilanziert und ausgewogen ist. Doch kommen üblicherweise, so Susanne Nau, 15 bis 30 Prozent solcher Flaschen, die man den Patienten mit aufs Tablett stellt, ungeöffnet zurück. Das ist bei den besonderen Zwischenmahlzeiten nicht der Fall. Nau sieht den Ansatz der Zwischenmahlzeiten grundsätzlich anders als bei industriell hergestellten Fertig-Nahrungen: „Die Zwischenmahlzeiten sind Essen, der Patient ist ein genießender Mensch. Essen hat etwas mit Lebensqualität zu tun und Lebensqualität etwas mit Gesundwerden.“
Für Oberarzt Gölder ist die BZM ein Einstieg für mangelernährte Patienten in eine abgestufte Ernährungstherapie, die für viele als Basismaßnahme in der Klinik ausreichend sei. Wichtig ist aber auch, wie es nach der Klinik weitergeht; die Zeit des stationären Aufenthalts ist ja oft zu kurz, um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Zum Befund im Arztbrief solle daher eine Empfehlung kommen, wie der Patient in puncto Ernährung weitermachen solle, sagt Nau. „Die Vernetzung zwischen ambulant und stationär ist extrem wichtig.“