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Klimawandel: Das große Schmelzen: Wie die Gletscher in Alaska sterben

Klimawandel

Das große Schmelzen: Wie die Gletscher in Alaska sterben

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    „Wenn nicht bald was passiert, wird es all das nicht mehr geben“: die verführerisch schöne Landschaft im Kenai Fjords Nationalpark.
    „Wenn nicht bald was passiert, wird es all das nicht mehr geben“: die verführerisch schöne Landschaft im Kenai Fjords Nationalpark. Foto: Thomas Spang

    Die Eiskristalle funkeln wie Diamanten in der Mittagssonne. Vorsichtig bohren sich die Steigeisen beim Einstieg in das Gletscherfeld in die aufgeweichte Oberfläche. „Kleine Schritte machen“, mahnt Bergführer Alex Bogner, 21, der mit den Tücken des „Exit Glacier“ im Kenai Fjords Nationalpark von Alaska nur allzu gut vertraut ist. Eine atemberaubende Welt, die alles übertrifft, was die blauen Eismassen aus der Ferne verheißen. Verführerisch schön, aber durch den Menschen bedroht und damit gefährlich.

    Alex schärft ein, ihm an diesem Bilderbuchtag auf Schritt und Tritt zu folgen. Die Rinnsale, die überall gen Tal fließen, seien kein Problem. Aber vor den Eisschluchten und Gletschermühlen, die oft bis auf den Grund reichen, gelte es Abstand zu halten – mindestens einen Meter. Während geübte Bergwanderer früher wagen konnten, den

    Grund dafür ist der Klimawandel, der die Gletscher auf der Kenai-Halbinsel im Süden Alaskas schneller schmelzen lässt als jemals zuvor in der Geschichte. In diesem Jahr stellten die Park-Ranger am Exit Glacier einen Rekordrückgang um etwa 100 Meter fest. Nach der Durchquerung des Gletschers und einem gut 200 Meter langen Aufstieg auf der anderen Seite des Tals macht Alex auf ein Weidenröschen aufmerksam. „Es sind die ersten Gewächse, die nach Katastrophen wieder wachsen“, erklärt der Bergführer und fügt hinzu: „Oder nach der Gletscherschmelze.“

    „Klimawandel sollte kein parteiisches Anliegen sein, sondern eines, das angegangen werden muss“, so Bergführer Alex Bogner.
    „Klimawandel sollte kein parteiisches Anliegen sein, sondern eines, das angegangen werden muss“, so Bergführer Alex Bogner. Foto: Thomas Spang

    Weiter oben an einem Aussichtspunkt holt er ein Foto von 1992 aus dem Rucksack. Es zeigt, wie sich der einst mäandernde Vorland-Gletscher immer weiter ins Tal zurückgezogen hat. Die Aufnahme stammt von Rick Brown, 64, der damals aus Kentucky nach Alaska kam. Der Berufsfeuerwehrmann verlor sein Herz an die Gletscherwelt. Zehn Jahre lang ließ er sich im Sommer beurlauben, um mit seinem Camper den Alaska-Highway hoch in das Hafenstädtchen Seward zu fahren. Dort heuerte er als Gletscherführer an. Nach seiner Pensionierung schlug er Wurzeln und gründete seine eigene Firma.

    „Die Gletscher kollabieren in einem rasanten Tempo“

    Der kauzige Chef von „Adventure 60 North“ mit seinen schlohweißen Haaren, der sich in einem kunterbunten Häuschen an der Zufahrt zum Nationalpark niedergelassen hat, ist für Alex und die übrigen 20 Angestellten so etwas wie ein Mentor. Brown gibt seine Erfahrung mit den Gletschern gerne an die nächste Generation weiter. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass sich wegen des Klimawandels die Dinge dramatisch ändern. „Ich beobachte das seit langer Zeit, und es beschleunigt sich.“ Kürzlich fasste er den Entschluss, wegen der nicht mehr kalkulierbar gewordenen Risiken keine Touristen mehr auf den benachbarten „Bear Glacier“ zu bringen. „Die Gletscher kollabieren hier in einem rasanten Tempo.“

    Forscher stellen das weltweit fest. Auf Grönland beispielsweise sind neuen Kartierungen zufolge zwei- bis viermal so viele Gletscher vom schnelleren Schmelzen bedroht als bisher angenommen, berichtet die US-Raumfahrtbehörde Nasa. Sie hat die Karten zusammen mit rund 30 anderen Forschungseinrichtungen erstellt. In Alaska beobachtet Rick Brown Veränderungen auch in der Tierwelt. Vergangenes Jahr klagten die Fischer von Seward über den schlechten Lachsfang. Einige erklären das mit den Mineralien, die durch das Schmelzwasser in die Resurrection-Bucht gelangen. Robben verlieren Ruhestätten auf dem Eis, der Kurzschnabelalk seine Brutplätze. Und Brown weiß von mehr Bärenangriffen, weil diese wegen steigender Temperaturen zu früh aus ihrem Winterschlaf zurückkehren.

    So wirkt sich der Klimawandel auf die Welt aus

    Der globale Klimawandel hat immense Auswirkungen. Er beeinflusst Wetter, Gesundheit und Meeresspiegel. Wir zeigen das in einigen Beispielen.

    Geht die Erwärmung der Erde ungebremst weiter, werden extreme Unwetter häufiger auftreten, warnen Klimaforscher. Feuchte Regionen werden noch feuchter, in trockenen drohen Dürreperioden.

    Auf Klimaveränderungen reagieren Tiere, Pflanzen und Menschen empfindlich. Milde Winter erhöhen die Überlebensrate von Krankheitsüberträgern wie Mücken, Zecken oder Wanzen. Menschen, die ein Leben lang beschwerdefrei waren, bekommen vermehrt Allergien.

    Die Erderwärmung lässt Gletscher und das Eis der Pole schmelzen. Steigt der Meeresspiegel weiter an, könnten die Malediven in rund 100 Jahren überflutet sein. Umweltschützer fürchten auch für die Nordseeküste dramatische Folgen: Wattflächen, Salzwiesen und Inseln könnten dauerhaft überschwemmt werden. Die Eisdecken an den Polen waren im März so klein wie noch nie in einem solchen Monat.

    „Wenn wir nicht sehr bald etwas tun, wird es all das nicht mehr geben“, schlägt Brown Alarm. Die Politiker in Washington, findet er, sollten nicht nur mit Akademikern sprechen, sondern mit Leuten, die wie er den Klimawandel im Alltag erlebten. „Sie müssen nur ihre Augen und Ohren aufmachen und werden dann schon zu ihren eigenen Einschätzungen gelangen.“

    Nachhilfe gibt es im Besucherzentrum des Kenai-Nationalparks. Dort steht ein Modell des nach dem ehemaligen US-Präsidenten Warren Harding benannten Eisfelds in den Kenai-Bergen. Dieses gehört zu den vier geologischen Formationen der USA, die bis in die Eiszeit vor 20.000 Jahren zurückreichen. Das Harding Field speist die 40 Gletscher, die sich mit dem Eisfeld über 1800 Quadratkilometer erstrecken. Park-Rangerin Laura Vaydenova, 24, vergleicht die Auswirkungen des Klimawandels gerne mit einem Bankkonto. Der Schnee im Winter sei wie die Einzahlungen. „Wenn das Eis schneller schmilzt, als Schnee fällt, nimmt das Polster ab.“ Genau das passiere im großen Stil.

    2015 war Obama da, Trump noch nie

    Der Weg zum nächsten Aussichtspunkt wird von Jahr zu Jahr länger. Unterwegs markieren Schilder, wie weit der einzige über die Straße erreichbare Gletscher in Alaska einstmals reichte. Vor einem geräumigen Steinpavillon macht Laura halt. Vor 30 Jahren habe man von hier aus direkt aufs Eis geblickt, sagt sie. Jetzt lässt sich durch die dichte Vegetation kaum mehr etwas erkennen. „Der Gletscher läuft uns davon“, erzählt die Rangerin. Und dass die Verwaltung des Nationalparks nicht hinterherkommt, die Infrastruktur anzupassen. In den vergangenen 15 Jahren schrumpfte der „Exit Glacier“ mit 3,4 Kilometern fast doppelt so viel wie in den 112 Jahren davor (1,8 Kilometer).

    Im Sommer 2015 reiste der damalige Präsident Barack Obama hierher. Er wollte vor dem Pariser Klimaabkommen ein Zeichen setzen. Laura fiel die Aufgabe zu, den Präsidenten auf einer Bootsfahrt in der Resurrection-Bucht zu begleiten. „Das ist spektakulär“, sagte der sichtbar beeindruckte Obama. „Das müssen wir für unsere Enkel erhalten. Seitdem hat sich einiges verändert. Am Montag beginnt in Bonn die nächste Weltklimakonferenz. Obamas Nachfolger Donald Trump war im Vorfeld nicht in Alaska, um ein Zeichen zu setzen. Stattdessen ist er aus dem Klimaschutzvertrag ausgestiegen, hat die strikte Obergrenze für fossile Kraftwerke aufgehoben und ausgewiesene Leugner des Klimawandels in Schlüsselpositionen seiner Regierung berufen.

    Laura spricht als Bundesbeamtin aus gutem Grund nicht über Politik. Aber bei dem, was 97 Prozent aller Forscher sagen, lässt sie sich keinen Maulkorb verpassen. „Das Eis schmilzt und wir sprechen hier über diese Veränderungen.“ Basta. Wie gewaltig dieser Prozess ist, lässt sich kaum irgendwo besser beobachten als im Northwestern Fjord unweit der Spitze der Kenai-Halbinsel. Der Weg dorthin führt durch das oft raue Meer des Golfs von Alaska. „Für Tage wie diese leben wir“, sagt Kapitän Mike Boyce, 45, über den strahlenden Sonnenschein und die meilenweite Fernsicht auf der vier Stunden langen Fahrt von Seward.

    Welche Auswirkungen der Klimawandel auf Alaska hat

    Bundesstaat Alaska ist der flächenmäßig größte Bundesstaat der Vereinigten Staaten von Amerika (1,7 Millionen Quadratkilometer), zudem der nördlichste und westlichste.

    Hauptstadt ist Juneau mit rund 31000 Einwohnern, die größte Stadt ist Anchorage mit knapp 300000 Einwohnern. Insgesamt leben etwa 710000 Menschen in Alaska. Es gibt viermal so viele Seen wie Menschen.

    Klimawandel: Überflutungen, Küstenerosion, extreme Stürme – der Klimawandel wird auch zu einem ernsten Problem für die amerikanische Bevölkerung.

    13,1 Millionen US-Amerikaner dürften bis Ende des Jahrhunderts unmittelbar vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen sein, prognostiziert Geograf Mathew Hauer von der Universität Georgia. Der Meeresspiegel werde bis dahin im Durchschnitt pro Jahr um 4,6 Millimeter steigen.

    Folgen in Alaska: Die Polarregion ist wie keine andere auf der Welt vom Klimawandel betroffen. Nirgendwo schreitet die Erderwärmung schneller voran als in der Arktis.

    Jeden Tag verliert Alaska ein Fußballfeld großes Stück Land an das Meer. Schon 2009 hatte das Government Accountability Office 184 Dörfer offiziell als überflutungsgefährdet eingestuft, 31 davon seien unmittelbar bedroht.

    In der hellen Jahreszeit bringt Boyce so gut wie täglich einige dutzend Besucher an Bord der „Alaskan Explorer“ in den Fjord, in den drei Meeresgletscher aus dem Harding-Eisfeld münden. Unterwegs verlangsamt er die Fahrt, wenn Buckelwale im Wasser auftauchen, Seelöwen sich auf Felseninseln sonnen oder Robben faul auf vorübertreibenden Eisschollen ruhen.

    "Klimawandel sollte kein parteiisches Anliegen sein"

    Kurz nach Mittag erreicht das Boot die entlegene schmale Bucht, die nur bei ruhiger See zu erreichen ist. Je tiefer das Schiff hineinfährt, desto steiler steigen die Berge aus dem Wasser auf. Dann geht es nicht mehr weiter. Eine gewaltige Wand aus blauem Eis markiert das Ende des Fjords. Kapitän Mike schaltet die Motoren herunter. Plötzlich bebt es, und mit einem Urlaut kracht ein riesiges Stück Eis aus dem Gletscher ins Meer. „Oh mein Gott“, schreit eine Frau, andere klatschen wie nach einer Aufführung. Es fließen Tränen. Die „Alaskan Explorer“ bleibt lange genug, damit jeder in Ruhe ein Erinnerungsfoto machen kann.

    Auch der Bootsführer spricht nicht über Politik. Oft genug geht es hitzig her zwischen den Fahrgästen. Dabei hat Mike Boyce durchaus eine Meinung. „Der Einfluss der Menschen auf die Natur begeistert mich nicht gerade“, stellt er nüchtern fest. Er verfolgt das Schauspiel im Northwestern Fjord mit einer Mischung aus Überwältigung und Trauer. „Es wird konstant weniger“, sagt Boyce. Und dass er bald jede Woche neue Veränderungen ausmachen kann.

    Auf dem Weg zurück nach Seward fährt er an einem Wasserfall vorbei, der erst seit kurzem ins Meer stürzt. „Alles Schmelzwasser aus dem Gletscher.“ Auch Bergführer Alex Bogner hat auf seinen Touren durch den Exit Glacier am anderen Ende des Harding-Eisfelds immer wieder Besucher, die das Offenkundige abstreiten. „Da fehlt es oft an Bildung“, erklärt er das Verdrängen der Realitäten.

    Als Donald Trump den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen erklärte, fühlte sich Alex Bogner, als hätte ihm gerade jemand in den Magen geschlagen. „Was macht er da?, habe ich mich gefragt. Klimawandel sollte kein parteiisches Anliegen sein, sondern eines, das angegangen werden muss.“ Wenn jemand dran zweifele, so Alex, nehme er ihn gerne auf den Gletscher mit. „Solange er noch da ist.“

    Lesen Sie auch: Klima-Schreckensjahr: 2016 bricht Temperaturrekord

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