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Interview: Experte erklärt: Das steckt hinter dem Klimawandel

Interview

Experte erklärt: Das steckt hinter dem Klimawandel

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    Klimawandel: Flutkatastrophe von Simbach am Inn im Juni 2016.
    Klimawandel: Flutkatastrophe von Simbach am Inn im Juni 2016. Foto: Walter Geiring, PNP/dpa (Archiv)

    Herr Rauch, Sie sind der Chef-Klimaexperte der Münchener Rück, die mit 50 Milliarden Euro Konzernumsatz einer der größten Versicherungskonzerne der Welt ist. Warum interessiert sich Ihr Unternehmen für den Klimawandel?

    Ernst Rauch: Es ist ein Teil unseres Kerngeschäfts, dass wir auch Versicherungen gegen Naturgefahren anbieten: gegen Erdbeben, gegen Stürme, Überschwemmungen und andere Wetterschäden. Deshalb steht der Klimawandel in unmittelbarem Zusammenhang mit unserem Kerngeschäft. Das Besondere ist, dass der Klimawandel für uns ein sogenanntes Änderungsrisiko darstellt: Das heißt, der reine Blick eines Versicherers auf die Vergangenheit ist nicht mehr maßgeblich, wenn wir das Schadensrisiko bewerten. Die Wahrscheinlichkeit für Unwetterschäden verändert sich sowohl auf der Seite der Naturereignisse als auch bei der Höhe der Schäden. Deswegen müssen wir als Versicherung den Klimawandel verstehen.

    Wie sicher sind Sie, dass der Klimawandel tatsächlich stattfindet, und was hat er mit dem Menschen zu tun?

    Rauch: Als Geophysiker kann ich aus naturwissenschaftlicher Sicht sagen: Der Klimawandel findet eindeutig statt und zu einem Teil ist auch der Mensch dafür verantwortlich. Dafür sprechen die physikalischen Eigenschaften sogenannter Treibhausgase wie Kohlendioxid, also schlicht und einfach die Physik des Klimawandels. Der Weltklimarat IPCC sagt, die Erderwärmung, die wir in den über hundert Jahren seit Beginn der Industrialisierung sehen, ist zu über 50 Prozent vom Menschen verursacht. Das heißt aber auch, dass der Anteil von etwas unter 50 Prozent des Klimawandels natürlichen Ursprungs ist. Das geht oft in der Diskussion unter, aber das bestreiten die seriösen Experten auch nicht.

    Welche Rolle spielen denn natürliche Ursachen wie die Sonnenstrahlung dabei?

    Rauch: Die Sonne ist nur ein kleiner Treiber des Klimawandels. Die veränderte Sonneneinstrahlung macht nur unter zehn Prozent der zusätzlichen Heizleistung in der Atmosphäre aus. Rund 90 Prozent der beobachteten Erwärmung haben eine andere Ursache.

    Welche natürlichen Faktoren spielen eine Rolle?

    Rauch: Da gibt es vor allem sogenannte planetare Ursachen, die sich auf die Sonneneinstrahlung auswirken: In unterschiedlichen Zeitskalen verändert sich geringfügig die Lage der Erde gegenüber der Sonne. Sowohl was die Erdachse als auch die Rotationsbewegung betrifft, da gibt es beispielsweise Nickbewegungen, die man Nutation nennt. Typische Zeitskalen sind dafür zehntausend bis hunderttausend Jahre. Ein Beispiel dafür sind die Eiszeiten, die solche planetarischen Ursachen haben. Wenn man in noch längeren Zeiträumen denkt, in Millionen Jahren, gibt es als Klimafaktor noch die Kontinentaldrift – die Verschiebung der Erdteile und der Ozeane. Die Verteilung von Land und Wasser auf dem Globus hat natürlich auch Auswirkungen auf das Klima.

    Welche Auswirkungen haben Vulkanausbrüche auf das Erdklima?

    Rauch: Eine gewaltige: Jahre mit hoher Intensität von Vulkanausbrüchen sieht man in der Temperaturkurve. Große Ausbrüche bringen aber auch einen Kühleffekt, obwohl sie sehr viel CO2 und andere Gase ausstoßen: Durch die in die Luft geblasenen Aerosole und Partikel wirkt sich der kühlende Abschattungseffekt unter dem Strich stärker aus. Diesen Effekt sieht man übrigens nicht nur bei den Vulkanen, sondern auch bei der Luftverschmutzung durch den Menschen. Das hat man bis in die 2000er Jahre hinein in China gesehen, wo in Regionen mit besonders hoher Luftverschmutzung eine unterdurchschnittliche Klimaerwärmung oder sogar Abkühlung festgestellt wurde. Allerdings ist diese abkühlende Wirkung der Luftverschmutzung bereits in allen Berechnungen des Weltklimarats in der Bilanz berücksichtigt.

    Wie haben Sie als Klimawissenschaftler denn diesen außergewöhnlich trockenen und langen Sommer erlebt? War er ein Vorbote dessen, was Deutschland in Zukunft erwarten wird?

    Rauch: Die Zukunft hat schon angefangen. So drastisch muss man das sagen. Wir in Süddeutschland sind noch glimpflich davongekommen, wenn man die Dürre in Ostdeutschland anschaut. Für mich war das eindrücklichste Erlebnis, als wir beim Wandern in den Schlierseer Bergen gesehen haben, wie die Feuerwehr auf Almen die Kühe mit Wasser versorgen musste. Obwohl es dort schon seit hunderten Jahren Almen gibt. Man muss leider sagen, dass dieser Sommer perfekt in das Szenario passt, das die Klimaforscher schon vor 20 Jahren als Muster vorausgesagt haben, was wir zu erwarten haben: Längere und heißere Sommer in Mitteleuropa – aber auch feuchtere und wärmere Winter, in denen Niederschläge weniger als Schneefall, sondern als Regen auftreten und die Überschwemmungsgefahren steigen lassen. Die Zukunft hat bei uns eigentlich schon mit dem Rekordsommer 2003 begonnen. Viele haben vergessen, dass damals in Europa etwa 70.000 Menschen vorzeitig verstorben sind, meist schwache, alte und kranke Menschen. Das wurde gar nicht so von der Öffentlichkeit wahrgenommen, aber es war für

    Spürt die Munich Re, wie die Münchener Rück heute international heißt, als global tätiger Versicherungskonzern den Klimawandel bereits in den Schadensbilanzen? Lassen sich die Klimaschäden bereits heute beziffern?

    Rauch: Hier gilt es für uns, präzise zu bleiben. Eine pauschale Aussage, der Klimawandel zeigt sich in unserer Schadensentwicklung, machen wir so nicht. Wir analysieren die Ursachen genau, was die Schadensveränderungen in die Höhe treibt. Wir sehen in unseren Schadensstatistiken, dass die Häufigkeit beispielsweise von Sturm und Überschwemmungen in bestimmten Regionen zugenommen haben. Aber wir sehen auch, dass Haupttreiber der Schadensentwicklung meistens sogenannte sozioökonomische Faktoren sind: die Veränderung der Bevölkerung, von Baumaterialien oder auch, dass heute in den Industriestaaten mehr Menschen direkt am Wasser wohnen, weil dort die Lebensqualität besonders hoch ist.

    Das heißt, die Gebäude werden teurer und eher in Risikogebieten am Wasser gebaut, deshalb entstehen auch im Ernstfall höhere Schäden. Aber welche Rolle spielt der Klimawandel dabei?

    Rauch: Wenn wir mit sehr hohem Aufwand alle Faktoren herausrechnen, sehen wir in manchen Regionen bei bestimmten Gefahren, dass sich die höhere Schadensentwicklung nicht sozioökonomisch erklären lässt. Dann schauen wir darauf, wie sich die Wetterparameter verändert haben. Wenn die meteorologische Veränderung synchron verläuft mit unseren Schadensparametern, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sich der Klimawandel in unseren Zahlen zeigt. Deshalb sehen wir den Klimawandel als einen sehr wahrscheinlichen Mittreiber der steigenden Schäden. Wenn man seriös bleiben will, muss man sich vor einfachen Verallgemeinerungen hüten. Doch es gibt eine sehr klare Indizienkette für diesen Verdacht.

    Heute steht jedes Unwetter, egal ob Wintersturm oder ein örtlicher Tornado, immer gleich unter Verdacht: Das muss Klimawandel sein. Haben Sie Erkenntnisse, wo es direkte Folgen gibt?

    Rauch: Winterstürme haben eine natürliche Ursache, die erst einmal nichts mit dem Klimawandel zu tun haben. Winterstürme holen ihre Energie aus der Temperaturdifferenz zwischen den polaren und den gemäßigten mittleren Breiten. Interessant ist aber, dass die Häufigkeit der Winterstürme auf der Nordhalbkugel eher rückläufig ist, dafür die Intensität zunimmt. Wir stellen zugleich fest, dass Gewitterstürme im Sommerhalbjahr zunehmend immer größere Schäden auslösen, durch starke Niederschläge und hohe Windgeschwindigkeiten die Dächer abdecken und Bäume fällen. Solche Starkniederschläge führen dazu, dass ein Ort, der eigentlich überhaupt keine Überschwemmungen kennt, weil es dort nur ein kleines Bächlein oder gar kein fließendes Gewässer gibt, auf einmal innerhalb von Minuten eine Flut erlebt. Die ist plötzlich zwei, drei Meter hoch und nach der Verwüstung in zwei Stunden wieder vorbei. Typisches Beispiel war der Fall Simbach am Inn im Juni 2016. So etwas kommt völlig unerwartet und die Schadenswirkung ist enorm. Solche Wassermassen bringen einfach eine totale Zerstörung.

    Das heißt, Sie haben den Verdacht, dass auch bei uns Überschwemmungskatastrophen wie in Simbach eine direkte Folge des Klimawandels sind?

    Rauch: Diese Verbindung ist naheliegend. Der wissenschaftliche Beweis für solche Zusammenhänge wird möglicherweise noch lange nicht zu erbringen sein. Aber damit dies eines Tages möglich wird, unterstützt unser Unternehmen die Forschung und stellt dafür unsere Schadensdaten zur Verfügung. Aber die Katastrophen von Simbach und kurz zuvor im baden-württembergischen Braunsbach haben sehr wahrscheinlich auch mit dem Klimawandel zu tun, weil schwere Gewitter die Auslöser waren, die in manchen Regionen mit der Klimaveränderung zunehmen. Deshalb steigt das Risiko nicht nur für Menschen, die in der Nähe von Flüssen wohnen, sondern fast überall. Etwa durch Starkregen oder Schneedruck auf den Dächern. Das wird völlig unterschätzt. Die Krux ist, dass in Deutschland die wenigsten gegen solche Schäden mit einer Elementarschaden-Versicherung geschützt sind. Nur etwa 40 Prozent der Gebäude sind versichert.

    Ernst Rauch.
    Ernst Rauch. Foto: Oliver Soulas

    Ist Simbach aber nicht ein Beispiel dafür, dass Betroffene sich nicht versichern konnten, weil der Inn in der Nähe ihrer Häuser war?

    Rauch: Ich kann Einzelfälle nicht beurteilen. Aber es ist ein Mythos, dass in Deutschland in größerem Umfang Gebäude nicht versicherbar seien. Das hat sich völlig geändert. Wir bieten zum Beispiel mit unserer Konzerntochter ERGO auch in der höchsten Gefährdungszone „Vier“ Versicherungen an – nicht als Einzelangebot, aber als Teil einer Gesamtversicherung. In Hochrisikozonen mögen die Versicherungsprämien höher sein. Ich kann aus Risikosicht nur jedem Hausbesitzer raten: Mit Kosten von meist deutlich unter hundert Euro im Jahr bekommt man einen hervorragenden Gegenwert und schützt damit mehrere hunderttausend Euro Sachwerte, wenn einem zum Beispiel fatalerweise das Wasser durch das Haus rauscht. Und vonseiten der Politik wird das Signal immer deutlicher, bei Naturkatastrophen keine staatlichen Hilfen für Schäden zu zahlen, die versicherbar gewesen wären.

    Kann das Ziel der Klimakonferenzen noch gelingen, die Erderwärmung bis Ende dieses Jahrhunderts auf zwei Grad zu begrenzen?

    Rauch: Betrachten wir es von der Physik her: Je nach Höhe, in der sich das Kohlendioxid in der Atmosphäre befindet, wirkt es dort rund hundert Jahre. Das, was wir schon heute an CO2-Konzentration in der Atmosphäre haben, wirkt also lange nach. Wir haben damit bereits jetzt ein Erwärmungspotenzial, das über eineinhalb Grad hinausgeht. Das heißt, unsere Kinder und Kindeskinder werden mit dem leben müssen, was wir und die Generationen vor uns bereits in die Atmosphäre geblasen haben. Selbst wenn wir heute die CO2-Emissionen auf null herunterfahren könnten, hätten wir in den kommenden Jahrzehnten noch eine Erderwärmung. Dieser rein naturwissenschaftliche Blick macht einen sehr vorsichtig, zu sagen, dass das Ziel der Pariser Klimakonferenz einer Erwärmung von nur zwei Grad noch erreichbar ist. Außer man ginge den Schritt, CO2 wieder aus der Atmosphäre herauszunehmen. Aber das ist eher Wunschdenken: Ein Spurengas wie Kohlendioxid mit der minimalen Konzentration von 0,04 Prozent aus der Atmosphäre zu bekommen, wäre ein enormer technischer und finanzieller Aufwand.

    Geht die Politik zu zögerlich bei der Klimaschutzpolitik vor? Werden die Klimaschutzziele nicht konsequent genug umgesetzt?

    Rauch: Die Politik kann nur das machen, was technologisch möglich ist und was gesellschaftlich akzeptiert ist. Deswegen ist der Blick auf die Politik unvollständig. Die Kernfrage lautet, wie baut man die heutige Energieerzeugung bei Strom, Verkehr und Wärmeerzeugung so um, dass sie kein CO2 mehr ausstößt? Die Politik kann hier nur die Leitplanken vorgeben. Wir brauchen einen fundamentalen Technologiewandel, der Teil unserer Lebenswirklichkeit werden muss. Ein Beispiel: Die Bereitschaft, heute ein Elektroauto zu kaufen, auch wenn es teurer ist und noch nicht die allerbeste CO2-Bilanz hat, ist noch nicht die Lösung des Problems, aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung.

    Ist es das Hauptproblem der Klimaschutzpolitik, dass sie der Wirtschaft schaden könnte?

    Rauch: Darüber streiten die Volkswirte. Es gibt durchaus Studien, auch vom Bundesverband der Deutschen Industrie, die zum Ergebnis kommen, dass die Transformation zu einer klimaneutralen Volkswirtschaft auf längere Sicht ökonomische Vorteile bringt, auch was die Arbeitsplätze angeht. Wir haben heute über 300000 Jobs im Bereich der erneuerbaren Energien und einen wesentlich kleineren Anteil bei den fossilen Energien. Selbst die Milliardensummen, die uns der Umstieg auf die erneuerbaren Energien kostet, haben sich nicht negativ auf unsere gesamtwirtschaftliche Bilanz durchgeschlagen.

    Viele Menschen haben davor Angst, dass sie der Klimaschutz Lebensqualität kosten wird…

    Rauch: Natürlich kann man über Themen wie die Landschaftsfolgen des Windenergieausbaus streiten. Aber jenseits davon gewinnen wir an Luftqualität, wenn Verbrennungsprozesse wegfallen. In China wird derzeit sehr viel für den Klimaschutz getan, doch der Hauptantrieb ist weniger der Kampf gegen die Erderwärmung, sondern einer für die Luftreinheit. Neue Technologien, die auf Strom basieren, sind wesentlich emissionsärmer: Ein Elektroauto macht deutlich weniger Lärm. Und ich kann nur jedem empfehlen, das Fahrerlebnis auszuprobieren: Man erlebt auch eine neue Lebensqualität entspannten Fahrens.

    Zur Person: Der Geophysiker Ernst Rauch leitet seit 2008 die Klimaforschungsabteilung des Versicherungskonzerns Munich Re. Die Münchener Rück untersucht als größter Rückversicherungskonzern der Welt bereits seit 1974 Naturgefahren und betreibt seitdem Forschungen über Klimaveränderungen.

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