Herr Dr. Haberstock, Sie sind praktischer Arzt und Homöopath. Passen die Schulmedizin und die Homöopathie überhaupt zusammen?
Dr. Jörg Haberstock: Sie passen wunderbar zusammen. Die Homöopathie kann man nicht nur einzeln, sondern auch hervorragend begleitend zur schulmedizinischen Therapie einsetzen. Ein Beispiel: Wenn Patienten Schilddrüsenhormone nehmen müssen, dann können homöopathische Mittel helfen, die Eigenleistung der Schilddrüse anzuheben.
Auf welchen Grundsätzen beruht die Homöopathie?
Haberstock: Es gibt zwei Grundpfeiler. Einer davon ist das Ähnlichkeitsprinzip. Man behandelt eine Krankheit mit genau dem Stoff, der diese Krankheit auslöst. Ein Beispiel dafür ist die Tollkirsche. Wenn man sie im Wald essen würde, würde sie unter anderem zu hohem Fieber, kalten Händen, schnellem Herzschlag führen. Wenn man aus der Pflanze aber Kügelchen macht, dann wirken sie gegen genau diese Symptome. Ich provoziere den Körper mit diesen Globuli, sich zu wehren.
Und das zweite Prinzip? Geht es da darum, dass in den Globuli nur ein minimaler Teil eines Wirkstoffes enthalten ist?
Haberstock: Es ist sogar noch schlimmer. Tatsächlich ist in homöopathischen Arzneien kein einziges Molekül mehr nachweisbar. Aber auf irgendeine Art und Weise gelangt die Information, etwa die der Tollkirsche, in die Globuli. Wie das funktioniert, weiß man nicht. Der größte Vorwurf gegen die Homöopathie ist ja immer: Da ist nichts drin. Und es ist tatsächlich nichts drin. Aber die Information wirkt dennoch. Und dass es funktioniert, das sieht man jeden Tag.
Man weiß überhaupt nicht, wie diese Informationen in die Globuli gelangen?
Haberstock: Man weiß Folgendes: In der Homöopathie geht es um das Potenzieren von Arzneien aus Stoffen. Dieses Prinzip des Verdünnens ist immer verbunden mit einer sehr hohen mechanischen Energie. Das heißt, man nimmt zum Beispiel die Tollkirsche, gibt sie in einen Zuber, in dem man sie mit einem Mörser ganz lange und intensiv in einer großen Menge von Milchzucker zerreibt. Dann gibt man davon ein bisschen in einen neuen Satz Milchzucker. Und das geht so lange, bis am Ende alles wegverdünnt ist und sehr viel mechanisch-kinetische Energie reingegeben wurde. Und die ist auch dafür nötig, dass die Information auf irgendeine Art und Weise in die Kügelchen gelangt.
Wenn kein Wirkstoff nachweisbar ist, wie wichtig ist dann der Glaube der Patienten? Also: Welche Rolle spielt der Placebo-Effekt?
Haberstock: Die Frage musste kommen. Interessanterweise hat der Placebo-Effekt das gleiche Problem wie die Homöopathie selbst: Er ist nämlich nur ganz schwer mit den gängigen Verfahren nachweisbar. In der Homöopathie ist es so: Wenn ich mich intensiv damit befasse, was Sie mir eineinhalb Stunden lang im Patientengespräch erzählen, dann haben Sie zu Recht das Gefühl, dass ich mich in Ihre Problematik total reinversetzt habe. Dieses Setting ist besonders gut dazu geeignet, den Placebo-Effekt zu fördern. Vielleicht ist das auch ein Teil des Erfolges der Homöopathie. Dass man aber nicht an eine Wirkung glauben muss, das sehe ich jeden Tag. Denn ich habe immer wieder Ungläubige – meistens Männer – und da funktioniert es trotzdem.
Aber man fragt sich: Wie wirken diese homöopathischen Mittel, wenn doch nichts drin ist?
Haberstock: Diese Frage stelle ich mir auch. Aber es ist tatsächlich so, dass man bis heute nicht weiß, wie die Homöopathie funktioniert. Es gibt verschiedene Modellvorstellungen. Früher hat man gedacht, dass es eine Art Gedächtnis im Wasser gibt. Ein guter Freund von mir forscht gerade an den Nanopartikelqualitäten von hochmechanischen Verreibungen. Das ist ein vielversprechender Ansatz.
Vor kurzem war in unserer Zeitung ein Interview mit einer bayerischen Apothekerin zu lesen, die alle homöopathischen Mittel aus ihrer Apotheke verbannt hat, weil deren Wirkung nicht belegt ist. Was sagen Sie dazu?
Haberstock: Das fand ich bewundernswert. Zuerst habe ich mir gedacht: Da bringt sie sich um einen Teil ihrer Kunden. Aber das wird sie sich sicher überlegt haben. Es ist konsequentes Handeln. Wenn ich das aber weiterdenke, dann hätte man vor 70 Jahren auch Aspirin aus dem Handel nehmen müssen. Denn es war nicht nachgewiesen, wie das Medikament überhaupt funktionieren kann. Der Homöopathie wird immer wieder gesagt, sie müsse sich evidenzbasiert beweisen. Wenn man aber die Maßstäbe, die an die Homöopathie angelegt werden, auf die Schulmedizin übertragen würde, dann müsste die Apothekerin ihren halben Laden ausräumen.
Momentan sind in Deutschland etwa 5000 homöopathische Arzneien auf dem Markt. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für den hohen Zuspruch? Fehlt den Menschen das Vertrauen in die Schulmedizin?
Haberstock: Eine wunderbare Frage, auf die man ganz romantisch antworten kann. Es gibt natürlich das Bedürfnis, dass man auch große Probleme möglichst nebenwirkungsfrei lösen kann. Das erfüllt die Homöopathie ein Stück weit, weil man selbst chronische Erkrankungen mit ungiftigen Stoffen erfolgreich behandeln kann. Wenn Sie zu mir kämen, würde ich mich eineinhalb Stunden mit Ihnen hinsetzen, um genau herauszufinden, worin denn Ihre Krankheit besteht. Und ich würde auch fragen, was Sie gerne essen, was Sie träumen, ob sie wetterempfindlich sind. Man versucht, den ganzen Menschen darzustellen. Ich glaube nicht, dass die Menschen von der Schulmedizin enttäuscht sind. Ich denke, dass es viel damit zu tun hat, dass man sich in der Homöopathie sehr intensiv mit den Menschen auseinandersetzt.
Bei welchen Krankheiten kann man die Homöopathie einsetzen?
Haberstock: Man kann die Homöopathie, und das klingt jetzt fast ein bisschen überheblich, in allen Krankheitsfeldern einsetzen. Aber natürlich gibt es Einschränkungen. Etwa dann, wenn es sich um festgelegte Organveränderungen handelt, die schon in einem fortgeschrittenen Stadium sind. Eine Narbe an der Haut etwa oder große Gallensteine, die kann man nicht mehr homöopathisch rückgängig machen.
Vor einem Jahr ist ein Kind in Italien gestorben, weil die Eltern sich geweigert hatten, ihm ein Antibiotikum zu geben. Sie schworen stattdessen auf die Homöopathie. Wann gelangen Globuli an ihre Grenzen?
Haberstock: Nehmen wir an, zu mir in die Praxis kommt ein Kind mit einer Bronchitis. Weil es keine Lungenentzündung ist, gebe ich ihm eine homöopathische Arznei. Wenn ich dann aber sehe, dass das Mittel nicht funktioniert, weil es nicht richtig ausgesucht ist oder das Kind sehr schnell kränker wird, dann muss ich natürlich rechtzeitig die Bremse ziehen und die Möglichkeiten, die Antibiotika bieten, ausschöpfen. Grundsätzlich stellt sich die Frage nach der Dogmatik. Dogmatik ist immer schlecht.
Zur Person Dr. Jörg Haberstock ist Homöopath und praktischer Arzt. Seit 1995 ist er in Augsburg privatärztlich niedergelassen.