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"Gibt es Dich wirklich?", schrieb ihm ein kleines Mädchen.

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"Gibt es Dich wirklich?", schrieb ihm ein kleines Mädchen.

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    Albert Einstein starb vor 50 Jahren am 18.04.1955 in Princeton.
    Albert Einstein starb vor 50 Jahren am 18.04.1955 in Princeton. Foto: DPA

    - "E ist gleich mc-Quadrat." O ja, das geht von den Lippen. Versuchen sie's mal: "E ist gleich mc-Quadrat." Das hätten sich auch Werbetexter ausdenken können. Nicht weil's die Welt verändert, sondern weilqs einfach gut und kompatibel ist:

    "E ist gleich mc-Quadrat. Make it real."

    "Ich liebe es: E ist gleich mc-Quadrat."

    "E ist gleich mc-Quadrat. Ja is' denn heut' scho' Weihnachten?"

    "Geiz ist geil, wenn E gleich mc-Quadrat ist." Klingt irgendwie klüger, oder?

    Jetzt reicht's aber: Albert Einstein rückte soeben in die Nähe von Coca-Cola, McDonald's, Franz Beckenbauer und ­ als wäre die Toleranzgrenze nicht schon weit überschritten ­ der "Mutter aller Schnäppchen". Das ist boshaft, brutal, billig und eines Genies nicht würdig. Und schon nach wenigen Zeilen sind wir mittendrin im Faszinosum und Schlamassel, in der Problematik und im Thema.

    Einstein.

    Coca-Cola.

    McDonald's.

    Beckenbauer.

    Schnäppchen.

    Stille. Irgendwo ist da etwas. Etwas, das nachdenklich stimmt. Als würde diese seltsame Assoziationskette verschlüsselte Botschaften transportieren. Vielleicht dass Einstein gleich Mediamarkt mal Coca-Cola im Quadrat ist? Hä? Gut, etwas klarer: Dass sich Albert Einstein, der "größte Physiker des 20. Jahrhunderts", 125 Jahre nach seiner Geburt am 14. März 1879 in Ulm mitten hinein in die Popkultur des 21. Jahrhunderts katapultiert hat. Und dabei mit frechen Augen dreinblickt und albern die Zunge herausstreckt. Ätsch! Als hätte er schon damals gewusst und gewollt, dass er seiner Nachwelt als Pop-Mythos in Erinnerung bleiben wird. Doppel-Ätsch! Als hätte er gewusst, dass ihn Deutschland fast 50 Jahre nach seinem Tod bei der Wahl seines "Größten aller Zeiten" nur sechs Plätze vor Daniel Küblböck befördern wird. Ätsch! Ätsch! Ätsch!

    Keine Bange, und erst mal ruhig durchatmen. Denn es gibt kluge Leute im Lande, die können das alles erklären. Und ­ man ahnt es ja schon ­ es hat etwas mit den Begriffen wie Kult und Mythos zu tun. "Die Pop-Kultur ist die Welt der neuen Mythen", sagt beispielsweise Jürgen Audretsch, Physik-Professor an der Uni Konstanz. "Charakteristisch dafür ist es, dass sich die neuen Mythen fast ganz auf die Verehrung in Kult-Bildern reduziert haben." Und da die Naturwissenschaften mittendrin in dieser Welt der Bilder, Postkarten und Plakate stünden, sei "die mit Abstand verbreitetste Trivial-Ikone Albert Einstein". Deswegen kenne ihn jeder, und "jedem hat er schon von den unterschiedlichsten Wänden her seine Zunge rausgestreckt".

    Vermutlich hätte das auch Einstein unterschrieben. Wenn man ihm das Schriftstück in ein Zimmer gebracht, ihn an einen Schreibtisch gesetzt, einen Füller in die Hand geklemmt, ihm gesagt hätte, er solle unterschreiben. Nun gut, das ist jetzt vielleicht nicht besonders fair. Sagen wir: Einstein war nicht besonders selbstständig und bisweilen hilflos. Bringen wir es also auf den Nenner "sozial ungeschickt". Der britische Psychologe Baron-Cohen behauptet sogar, Einstein habe an einer milden Form von Autismus gelitten. Er habe erst als Dreijähriger zu sprechen begonnen und bis zum Alter von sieben Jahren bestimmte Sätze zwanghaft wiederholt. Als Dozent habe er Vorlesungen gehalten, die eher verwirrend als tiefsinnig gewesen seien.

    So lebte der Sonderling Einstein. Und hat dabei die Relativitätstheorie ersonnen, 25 Ehrendoktortitel und einen Nobelpreis bekommen (übrigens nicht für die Relativitäts-, sondern für seine Beiträge zur Quantentheorie). Eine Mischung, die ihn als Inbegriff des genialen und zerstreuten Professors, als Kuriosum und Phänomen in der ganzen Welt bekannt machte.

    Das wohl berühmteste Porträtfoto Einsteins (rechts) entstand in einem Taxi in New York, und Einstein selbst gefiel es so gut, dass er es 1951 an all seine Freunde schickte ­ als Geburtstagsgruß. Was nun schon fast die Vermutung nahe legt, er sei nicht naiv-tollpatschig einem Mythos verfallen, sondern habe ihn gezielt und klug vorbereitet. Es existieren einige Anekdoten von Autogrammstunden, während der Einstein mit irgendwelchen Namen unterschrieben hat oder seinen eigenen Namen von Unterschrift zu Unterschrift kleiner auf die Karten setzte ­ bis man schließlich gar nichts mehr erkennen konnte.

    "Ja, ein Schelm ist er auf alle Fälle gewesen", bestätigt auch Frank Steiner, Professor für Physik an der Uni in Ulm. Die Gleichung könnt also lauten:

    Einstein, der Wissenschaftler

    + Einstein, der Star

    + Einstein, der Sonderling

    + Einstein, der Schelm

    = Einstein, das Phänomen.

    Den Beginn dieses Prozesses datiert Steiner auf den Dezember 1919 und den Januar 1920. Damals habe eine englische Expedition während einer Sonnenfinsternis in Südafrika beobachtet, dass eine Krümmung von Raum und Zeit vorliege und somit Einsteins Theorie bewiesen. Wenig später habe man ihn erstmals mit Newton verglichen, und sein Konterfei erschien weltweit auf den Zeitungen. "Er war eine Popfigur", so Steiner. Eine Popfigur, die durch die Hintertür zu seinen Terminen musste und der "die Mädchen Locken abschneiden wollten". Eine Popfigur, die sich über den befremdenden Umstand lustig machte, dass sie eine Popfigur geworden ist. Auf die Frage, welchen Beruf er ausübe, antwortete Einstein einmal: "Ich bin Modell. Weil ich so oft fotografiert werde." So oft, dass manch einer schon wieder an seiner Existenz zu zweifeln begann. Ein kleines Mädchen fragte ihn in einem Brief: "Gibt es Dich wirklich?" Womit sich nun auch das Christkind zu Beckenbauer in die Assoziationskette einreiht.

    Allerdings, so Steiner, sei Einstein nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch als Physiker immer noch präsent. "Es gibt noch immer viele Fragen, die wir nicht beantworten können." Wenn ein Held scheitern muss, um zum Mythos zu werden, dann muss ein Wissenschaftler Rätsel aufgeben. Ideale Voraussetzungen dafür, dass nach Einsteins Tod 1955 aus dem Phänomen schnell ein Mythos wurde. Während die Wissenschaft grübelte, benutzten Künstler, Musiker, Politiker und sogar die Scientologen Einsteins Konterfei für ihre Zwecke. Pop-Künstler Andy Warhol nahm Einstein 1980 in seine Galerie auf und setzt dessen Namen in Verbindung mit Elvis Presley, Marilyn Monroe, Mao und Liz Taylor. Die Fantastischen Vier packen seine drollige Stimme 1998 auf ihre CD "Lauschgift", das Time-Magazin kürte Einstein kurz vor der Jahrtausendwende zur "Person of the Century", und zum 125. Geburtstag feiert ihn nun seine Geburtsstadt Ulm sogar mit einer Oper.

    Vergessen wir nicht die "große Zauberformel" (Audretsch). Auch sie trägt zum Mythos bei, ist selbst schon einer. Immerhin feiert sie nächstes Jahr mit großen Festlichkeiten ihren 100. Geburtstag. Eine Formel! Nein, die Formel und vermutlich die einzige, die den Weg in den Alltag gefunden hat. Sie ist selbst Bestandteil von Fotocollagen, Gemälden und Gesprächen ­ beim Abendessen mit der Familie oder auf Küchenpartys mit Freunden. Eben weil sie kaum jemand versteht und demzufolge auch nicht befürchten muss, eines Besseren belehrt zu werden. Also, nur noch ein letztes Mal. Weil's die Welt verändert hat, weil's für 98 Prozent der Menschheit keinen Sinn macht und weil's so wunderschön ist:

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