Greifswald (dpa) – Ein Hitzeschild, eine erweiterte Heizung und neue Messinstrumente: Nach einem 15-monatigen Umbau startet die Kernfusionsanlage "Wendelstein 7-X" im Greifswalder Max-Planck-Institut für Plasmaphysik jetzt in die zweite Experimentierphase.
Ziel der bis Dezember dauernden Experimente sei es, erstmals in dieser Anlage ein fusionsrelevantes Plasma zu erzeugen, sagte Institutsdirektor Thomas Klinger. Kernfusionsexperten aus aller Welt haben sich nach Institutsangaben zu den Experimenten angemeldet. Sie wollen in der Greifswalder Anlage die Fusion als eine neue Primärenergiequelle auf der Erde erforschen.
Vorbild dafür ist die Sonne, wo bei der Fusion von Wasserstoffkernen zu Helium unter hohem Druck und hohen Temperaturen gigantische Mengen Energie freigesetzt werden. Die Kernfusionsforscher untersuchen, inwieweit diese physikalischen Vorgänge auf der Erde in Kraftwerken für die Energiegewinnung genutzt werden können. Sollte dies gelingen, so Klinger, könnte die Fusion in künftigen Jahrzehnten eine grundlastfähige und CO2-freie Ergänzung zu den erneuerbaren Energien werden.
Ende 2015 hatte das Institut mit der Kernfusionsanlage das erste Plasma erzeugt. Seitdem konnten bei rund 1000 verschiedenen Experimenten in dem durch einen Magnetring gehaltenen Plasma Elektronen-Temperaturen von bis zu 100 Millionen Grad und Ionen-Temperaturen von bis zu 20 Millionen Grad erzeugt werden. Nun sei die Maschine in ihrer Leistungsfähigkeit so aufgerüstet worden, dass fusionsrelevante Bedingungen entstehen. Unter diesen Bedingungen könnten bereits Atomkerne effizient fusionieren, sagte Klinger. Die Elektronen- und Ionen-Temperaturen lägen dann bei jeweils etwa 70 Millionen Grad. "Jetzt fahren wir Vollgas."
Experimente mit Fusionsbrennstoff sind im von EU, Bund und Land geförderten Kernfusionsexperiment "Wendelstein 7-X" jetzt und auch künftig jedoch nicht geplant. Vielmehr wollen die Forscher Aussagen zur Kraftwerkstauglichkeit der Anlagen vom Typ "Stellerator" treffen. "Wendelstein 7-X" gilt als weltweit modernste Forschungsanlage dieses Fusionstyps, der – so die Annahmen der Greifswalder Forscher – in einem Kraftwerk im Dauerbetrieb gefahren werden und damit dem pulsbetriebenen Fusionstyp "Tokamak" überlegen sein könne. In der nun beginnenden zweiten Experimentierphase wollen die Forscher Plasmen bei voller Heizleistung für bis zu zehn Sekunden erzeugen. Ziel nach weiteren Umbauten sei es dann, Plasmen für eine Dauer von einer halben Stunde aufzubauen.
Techniker hatten in den vergangenen Monaten aus etwa 8500 Kohlenstoff-Kacheln ein auf Mikrometer genau platziertes Hitzeschild im Plasmagefäß der Anlage montiert und sogenannte Divertoren – das sind spezielle Prallplatten aus Graphit – installiert. Damit seien die Voraussetzungen geschaffen worden, die Leistung der Mikrowellenheizung auf 8,5 Megawatt verdoppeln und in der Folge höhere Plasmadichten und -temperaturen erzeugen zu können, sagte Klinger. Zudem seien die zentralen Sicherheitssteuerungen den höheren Experimentieranforderungen angepasst und die Magnetfelder für den optimalen Einschluss der Plasmen konfiguriert worden, ergänzte der diensthabende Technische Leiter Dirk Naujoks.
Für die Experimente haben sich etwa 100 Forscher aus dem Ausland – unter anderem den USA, Spanien, Ungarn, Großbritannien oder Japan - angemeldet. Sie hatten zuvor Experimentiervorschläge eingereicht, die von einer international besetzten Kommission bewertet worden sind. Die Experimente sollen unter anderem Fragen zur Stabilität des Plasmas, zur Heizung und zum Einschluss des Plasmas in den Magnetring beantworten.
Nachdem das für die Experimente notwendige Vakuum erzeugt und die Anlage auf minus 270 Grad nahe dem absoluten Nullpunkt heruntergekühlt wurde, seien inzwischen die Testläufe für die Experimente gestartet worden, hieß es. Das erste "heiße" Experiment soll Anfang September erfolgen.