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Augsburg: Forscherin will Schmerzen von Demenzkranken erkennen

Augsburg

Forscherin will Schmerzen von Demenzkranken erkennen

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    Die Augsburger Professorin Miriam Kunz will dementen Menschen helfen. Denn wenn sie leiden, können sie das oft nicht mitteilen.
    Die Augsburger Professorin Miriam Kunz will dementen Menschen helfen. Denn wenn sie leiden, können sie das oft nicht mitteilen. Foto: Patrick Pleu,dpa (Symbolbild)

    Frau Prof. Kunz, Sie haben seit Anfang des Jahres den Lehrstuhl für Medizinische Psychologie und Soziologie an der neuen medizinischen Fakultät der Universität Augsburg inne. Ab Oktober werden Sie auch die ersten Medizin-Studierenden unterrichten. Worauf liegt der Fokus Ihrer Forschungsarbeit im Besonderen?

    Prof. Miriam Kunz: Ein wichtiger Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Schmerzforschung und dabei vor allem das Thema Schmerzen beim älteren Menschen.

    Ab wann ist man bei Ihnen ein älterer Mensch?

    Kunz: Wir definieren – für unsere Forschungsarbeit – Menschen ab 65 Jahren als ältere Menschen. Man weiß aus Studien, dass etwa 50 Prozent aller Menschen über 65 Schmerzen haben, wobei sich der Schmerzgrad natürlich unterscheiden kann. Und bei dieser Gruppe von Menschen interessiert mich das Schmerzempfinden von Demenzkranken.

    Wie kamen Sie auf dieses Thema?

    Kunz: Es war schon Thema meiner Doktorarbeit. Mein Doktorvater hat mich darauf gebracht. Er hatte selbst einen Vater, der an Demenz erkrankt war.

    Warum ist das Thema so brisant?

    Kunz: Demenzkranke können sich nicht artikulieren. Wenn sie an Schmerzen leiden, werden sie unruhig, schlafen nicht oder nur schlecht und entwickeln depressive Züge. Zugleich wird aufgrund der demografischen Entwicklung die Zahl der Demenzkranken immer größer. Ich habe vor 17 Jahren mit meiner Promotion begonnen. Damals dachte man, dass Demenzkranke nicht an Schmerzen leiden. Weil sie nicht darüber reden. Weil man meinte, sie könnten sich ja auch an nichts erinnern. Weil sie etwa wie Babys sind, die sich später nicht an ein Schmerzereignis erinnern können. Dabei weiß man heute, dass Schmerzen bei Babys sogar dazu führen, dass Schmerzbahnen im Gehirn ausgebaut werden können. Oder weil man annahm, die Nervenzellen von Demenzkranken seien abgestorben, sie hätten also gar kein Schmerzempfinden mehr. Das ist natürlich Unsinn.

    Wie fand man heraus, dass Demenzkranke durchaus Schmerzen empfinden können?

    Ein Mensch mit Demenz kann sich vielleicht nicht mehr verbal ausdrücken. Doch bestimmte Aspekte der Mimik weisen darauf hin, dass er Schmerzen hat.
    Ein Mensch mit Demenz kann sich vielleicht nicht mehr verbal ausdrücken. Doch bestimmte Aspekte der Mimik weisen darauf hin, dass er Schmerzen hat. Foto: Universität Augsburg

    Kunz: Man hat Studien durchgeführt, bei denen man Demenzkranke vertretbaren Druckreizen aussetzte – etwa am Unterarm. Dabei stellten Wissenschaftler fest, dass Demenzkranke nicht etwa weniger, sondern heftiger auf Schmerzen reagieren. Das kann man etwa in der Mimik eines Menschen ablesen, auch wenn dieser vielleicht nicht mehr sprechen kann. Aber die Mimik, die Stimme oder Lautäußerungen, die Körperhaltung – all das gibt es ja noch. Und diese können Auskunft darüber geben, ob jemand Schmerzen erleidet.

    Wie geht das genau?

    Kunz: Wir haben in einem europäischen Projekt, bei dem ich mitarbeitete, eine Skala entwickelt, die als Beobachtungskriterium dient.

    Welche Kriterien werden in dieser Skala bewertet?

    Kunz: Da ist zunächst einmal der Gesichtsausdruck. Bei Schmerzreizen sind fünf Aspekte oft zu beobachten: ein Zusammenziehen der Augenbrauen, das Zusammenkneifen der Augen, Hochziehen der Oberlippe, der Mund öffnet sich und man sieht einfach angespannt aus.

    Was wird noch beobachtet?

    Kunz: Die Körperbewegungen – und dabei die Kriterien Erstarren, eine Schutzhaltung einnehmen, Pflegemaßnahmen abwehren, Reiben von schmerzenden Arealen und Unruhe. Der dritte große Komplex der Skala ist die sogenannte Vokalisation. Hier gibt es die Aspekte Schreien, Stöhnen, Murmeln/Nuscheln, Klagen und die Verwendung von Worten, die Schmerzen ausdrücken – wie „Oweh“ oder „Aua“. Diese Wörter können auch Demenzkranke oft noch von sich geben, selbst wenn sie sonst nicht mehr sprechen können.

    Wer kann die Skala beispielsweise verwenden?

    Miriam Kunz, Jahrgang 1977, ist Professorin für Medizinische Psychologie und Soziologie an der Universität Augsburg.
    Miriam Kunz, Jahrgang 1977, ist Professorin für Medizinische Psychologie und Soziologie an der Universität Augsburg. Foto: Universität Augsburg

    Kunz: Neben Wissenschaftlern natürlich Angehörige und Pflegekräfte. Die Skala ist so konzipiert, dass sie jeder verstehen kann. Auch für Pflegeprofis ist das Thema sehr wichtig. Viele Pflegekräfte sagen, dass sie ja viel Erfahrung haben und schon wissen, wann ihr Patient Schmerzen hat. Es gibt Studien, die das widerlegen. Pflegekräfte schauen nämlich oft nicht oder zumindest nicht die ganze Zeit ins Gesicht eines Demenzpatienten, weil sie sich – und das auch noch unter Zeitdruck – auf Pflegemaßnahmen konzentrieren müssen. Und die spielen sich oft genug abseits des Gesichtes eines Patienten ab.

    Ist die Skala schon im Einsatz?

    Kunz: Ja, wir bieten auch schon ein Online-Training an. Ich habe es während meiner Zeit an der Uni Groningen in den Niederlanden entwickelt. Bislang war es nur auf Niederländisch verfügbar. Jetzt gibt es auch eine deutsche und eine englische Version. Wir registrieren erste Anfragen dazu, etwa aus Heimen.

    Selbst für die Pflege wird ja inzwischen der Einsatz von Robotik und künstlicher Intelligenz diskutiert...

    Kunz: An dieser Entwicklung beteiligen wir uns auch hier in Augsburg. Da Demenzkranke etwa in Heimen nicht permanent angeschaut und personell überwacht werden können, arbeiten wir an der Uni in Zusammenarbeit mit der Informatik an einer automatischen Schmerzerkennung. Hier kooperieren wir auch eng mit der Uni Bamberg und dem Fraunhofer Institut in Erlangen.

    Klingt sehr interessant.

    Kunz: Das Ganze funktioniert vor allem über die Gesichtserkennung. Eine Kamera registriert sogenannte Gesichtslandmarken und diese werden dann von einem Programm ausgewertet. Allerdings liefert die Gesichtserkennung bislang nur gute Werte unter idealen Bedingungen. Zumal sie bisher aus Entwicklungsgründen auf die Gesichter von jungen Menschen zugeschnitten ist. Die Gesichtserkennung braucht einen hellen Raum, eine frontale Sicht auf das Gesicht, das wiederum bisher faltenfrei sein muss. Das ist natürlich so nicht ausreichend, um Gesichter von Demenzkranken zu analysieren. Da müssen wir noch besser werden.

    Bleibt es bei der Gesichtserkennung?

    Kunz: Wir wollen künftig auch die Stimme und die Stimmlage analysieren sowie die Körperhaltung. Es bleibt noch viel zu tun.

    Wann wird die automatische Schmerzüberwachung wirklich praktisch einsatzfähig werden?

    Kunz: Das lässt sich schwer sagen. Ich denke, das dauert noch mindestens fünf bis zehn Jahre.

    Miriam Kunz, Jahrgang 1977, ist Professorin für Medizinische Psychologie und Soziologie an der Universität Augsburg.

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