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Ernährung: Nahrungsergänzung: Der bedenkliche Markt für Muskeln

Ernährung

Nahrungsergänzung: Der bedenkliche Markt für Muskeln

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    Nahrungsergänzungsmittel liegen auch bei Freizeitsportlern im Trend.
    Nahrungsergänzungsmittel liegen auch bei Freizeitsportlern im Trend. Foto: Restyler - Fotolia

    Wer bei Google „Muskeln + Nahrungsergänzungsmittel“ eingibt, bekommt 667.000 Ergebnisse. Es ist der Beginn einer Reise in eine wundersame Welt. Eine Welt voller grotesk muskulöser Männer, bekleidet mit ärmellosen Shirts. In nächster Nähe finden sich meist sehr schöne und sehr sportliche Frauen …

    Das Ambiente wird dominiert von Hanteln und sonstigen Fitnessgeräten. Und natürlich ist es kein Zufall, dass irgendwo das Logo eines Supplement-Herstellers zu sehen ist. Supplements sind Nahrungsergänzungsmittel und das Gold der modernen Fitnessindustrie. Oder anders gesagt: Sinnbild einer Gesellschaft, die sich immer weiter selbst optimieren will und dabei doch nur einer simplen Reiz-Reaktions-Kette auf den Leim geht. Gewichte stemmen + wundersame Supplements = toller Körper = Erfolg beim anderen Geschlecht. Es ist so banal, dass man den Erfolg dieser Formel bezweifeln wollte. Dummerweise wirkt dieses Erfolgsversprechen. Sogar so gut, dass sich daraus ein Milliardenmarkt entwickelt hat.

    Ein großer Teil basiert auf einem relativ simplen Grundprinzip unseres Körpers, dessen Schlüsselwort Eiweiß heißt. Wer ein bisschen mehr nach Experte klingen will, sagt Protein dazu. Der Körper benötigt es, um Muskulatur aufzubauen. Und darum geht es, wenn Millionen Menschen ins Fitnessstudio rennen, um dort Eisengewichte durch den Raum zu bewegen. Die Branche boomt. In diesem Jahr soll die Zehn-Millionen-Marke bei der Mitgliederzahl geknackt werden. Das bedeutet, dass bald schon jeder achte Deutsche Mitglied in einem Fitnessstudio ist. Vor allem junge Männer haben dort nur ein Ziel: mehr Masse.

    Damit Muskeln wachsen, müssen sie möglichst stark belastet werden, denn der menschliche Körper ist seit Urzeiten darauf ausgelegt, Energie zu sparen. Muskeln aber sind Energiefresser. Also baut der Körper sie nur sehr ungern auf. Und er baut sie deutlich schneller wieder ab als auf, wenn sie nicht mehr benötigt werden. Eine der zahllosen Binsenweisheit des Kraftsports lautet deshalb: Drei Monate, bis sie drauf sind, drei Wochen, bis sie wieder runter sind. Nur wenn der Muskel immer und immer wieder traktiert wird, meldet er, vereinfacht gesagt, dem Stoffwechsel, dass er mehr Masse und damit mehr Energie benötigt. In der Zeit nach der Belastung wappnet sich der Körper für kommende Aufgaben und verdickt die Muskelfasern.

    Es ist eine weitere Regel, die jeder Neuling im Fitnessstudio bald lernt: dass der Muskel in der Ruhe wächst. Von außen betrachtet schwillt der Körper an, über dem Muskel liegende Adern treten hervor und (siehe oben) die Frauenwelt liegt dem derart geformten Adonis zu Füßen. Transformation ist nicht umsonst eines der Schlüsselwörter der Branche. Zahllose vorher-(schmächtig)-nachher-(mächtig)-Bilder kursieren im Netz. Sie sind Ausdruck eines Strebens, das vor allem junge Männer antreibt. Ein Streben, mit dem sich ein wunderbares Geschäft machen lässt.

    Muskeln bestehen zu einem Großteil aus Eiweiß. Wer mehr Muskeln will, muss auch mehr von deren Baustein zu sich nehmen. Also gehört es zum festen Ritual fast jeden Kraftsportlers, dass er sich nach dem Training einen Eiweiß-Shake gönnt. Das Schöne daran, zumindest aus Sicht der Industrie: Es ist ein Handel mit Abfall, denn zum Großteil bestehen die Eiweiß-Shakes aus Molkenprotein.

    Deren Ursprung ist eine Flüssigkeit, die bei der Herstellung von Käse übrig bleibt. Früher wurde sie weggeschüttet oder an Schweine verfüttert. Heute wird sie konzentriert, zu Pulver getrocknet und mit einem Geschmacksverstärker versetzt. Molkenprotein gibt es unter seinem englischen Namen „Whey“ in zig Geschmacksrichtungen. Fitnessstudios füllen mit „Whey“-Dosen ganze Wandregale. Veganer gönnen sich ihr Protein aus Erbsen, Hanf, Reis oder Soja.

    Findige Geschäftsleute haben aber längst erkannt, dass dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten noch deutlich mehr Potenzial hat als nur banale Eiweißpülverchen. Die gehören ja schon seit Jahrzehnten zur Basisausstattung eines jeden Kraftsportlers. Natürlich ist Eiweiß auch heute noch das am meisten verkaufte Produkt. Darüber hinaus aber ist die Angebotspalette völlig unübersichtlich geworden. Unter dem Ladentisch gibt es anabole Steroide, die zwar schnell zum Erfolg führen, dafür aber auch eine beeindruckend lange Liste von Nebenwirkungen haben. Von Akne bis zu Depressionen, von signifikant erhöhtem Krebs- und Herzinfarktrisiko bis zu Haarausfall, Unfruchtbarkeit und chronischem Nierenversagen.

    Völlig legal sind dagegen zum Beispiel BCAAs, ein Aminosäure-Mix aus Leucin, Isoleucin und Valin. Wer ihn nimmt, kann mehr Leistung bringen, heißt das Versprechen. Oder aber Kreatin. Unser Körper produziert diesen Stoff selbst, allerdings nicht in den gewünschten Mengen. Vielen Kraftsportlern gilt Kreatin als eine Art legales Wundermittel. Es kann die Maximalkraft erhöhen und (besonders wichtig) es lagert Flüssigkeit in der Muskulatur ein. Das Ergebnis sind prall gefüllte Bi- und Trizepse. Im Spitzensport taucht Kreatin seit vielen Jahren immer wieder auf, da es seltsamerweise noch nicht auf der Dopingliste steht. Inzwischen hat es auch den Fitnessmarkt erreicht.

    Dieser wird regelrecht überschwemmt mit Produkten, die viel versprechen und wenig halten. Sie müssen nur billig in der Herstellung sein. Wirksamkeit ist nebensächlich, gekauft werden sie trotzdem. Professor Fritz Sörgel leitet das Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg. Er ist einer der führenden deutschen Dopingforscher und hat sich eingehend mit der Thematik befasst. Sei Urteil ist klar: Als gegenwärtigen Stand des Wissens müsse er feststellen, „dass es für kaum ein Nahrungsergänzungsmittel einen wissenschaftlichen sauberen Wirkungsnachweis gibt“. Allenfalls unter den extremen Belastungen eines Hochleistungssportlers könne das eine oder andere möglicherweise sinnvoll sein. Aber eindeutige Studien fehlten auch hier. Professor Sörgel: „Das sind teure Placebos.“ Selbst beim Eiweiß, das tatsächlich zum Muskelaufbau benötigt wird, ist sich die Wissenschaft nicht einig, wie viel sinnvoll ist.

    Wer sich durch die zahllosen Ratgeberseiten klickt, findet die aktuelle Mehrheitsmeinung, dass Kraftsportler täglich zwei Gramm Protein pro Kilo Körpergewicht zu sich nehmen sollen. Möglicherweise aber reicht es, sich ausgewogen und eiweißreich zu ernähren. Diese Meinung findet sich allerdings eher selten auf den bunten Seiten. Dort zählt vor allem eines: geschicktes Marketing. Das weiß auch Professor Sörgel. Er sagt: „Nahrungsergänzungsmittel sind ein Phänomen der Luxusgesellschaft. Ebenso wie der Fitnesswahn.“ Möglich sei das dadurch, „dass das Einkommen dieser Schichten hoch genug ist, um selbst überteuerte Nahrungsergänzungsmittel zu kaufen. Und überteuert sind die praktisch immer“.

    Das Bundesinstitut für Risikoabschätzung habe schon vor Jahren festgestellt, dass man in unseren Breiten diese Stoffe nicht braucht – verändert hat das nichts. Sörgel hat es aufgegeben, an ein Umdenken zu glauben. Menschen hätten schon immer irgendwelche Stoffe zu sich genommen, die ihr Befinden, sei es körperlicher oder geistiger Art, verbessern sollten. „Das ist vielleicht so eine Art genetischer Defekt des Homo sapiens. Gegen den ankämpfen zu wollen ist zwecklos“, sagt er mit einem bitteren Lachen.

    Dabei ist längst nicht alles, was sich der Mensch zuführt, unbedenklich. „Wirkung ohne Nebenwirkung gibt es nicht. Das ist ein pharmakologischer Lehrsatz, der schon im ersten Nachkriegslehrbuch der Pharmakologie auf der ersten Seite stand“, sagt Professor Sörgel. Im modernen Geschäft mit all den Pülverchen seien aber viele Risiken verborgen, „weil kriminelle Geschäftemacher teilweise wirksame Stoffe daruntermischen. Dann ist das Zeug nicht mehr wirkungslos, sondern gefährlich, sehr gefährlich“. Ein Feld, in dem das immer wieder vorkommt, sind die sogenannten Pre-Workout-Booster. Kurz vor dem Training eingenommen, sollen sie den Fokus des Sportlers voll auf die kommenden Anstrengungen richten und ein härteres Training ermöglichen. Sie tragen Namen wie „Chaos and Pain“ oder „Blackline Suizide“.

    Die meisten enthalten Unmengen Koffein und Taurin, die den Sportler ähnlich aufputschen wie ein Dutzend Tassen Kaffee. Und schon bei solchen völlig legalen Mitteln kann es je nach Dosierung leicht zu Kreislaufproblemen und Schlafstörungen, zu Nierenschäden und Herzrhythmus-Störungen kommen.

    Immer wieder aber tauchen Booster auf, die mit harten, amphetaminähnlichen Stimulanzien versetzt sind. Produziert werden sie meist in China oder Indien, und niemand weiß so ganz genau, was tatsächlich da drin ist. Zwar werden in Deutschland immer wieder einzelne Booster verboten, schnell tauchen dann aber leicht veränderte Varianten unter neuem Namen auf. Oder die verbotenen gibt es einfach weiterhin im Internet zu bestellen. Wer sollte deren Versand von irgendwo im Ausland auch kontrollieren?

    Diese gefährlichen Zusatzstoffe seien immer auch ein Bild der Möglichkeiten, die die Chemie gerade bietet, sagt Professor Sörgel. „In einigen Jahrzehnten, vielleicht auch früher, werden sicher auch biotechnologische Stoffe diese ‚Ergänzung‘ bieten“, fürchtet er. „Dann wird’s erst richtig interessant – und gefährlich.“ Dann nämlich wäre Muskelwachstum steuerbar: Design durch Einnahme, ganz ohne Training.

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