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Corona-Isolation: "Mehr als vier Wochen halten die meisten das psychisch nicht durch"

Corona-Isolation

"Mehr als vier Wochen halten die meisten das psychisch nicht durch"

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    Kontakt zu anderen Menschen ist enorm wichtig. Für den Körper und für die Psyche.
    Kontakt zu anderen Menschen ist enorm wichtig. Für den Körper und für die Psyche. Foto: David Zorrakino, dpa

    Herr Professor Bauer, warum halten Sie die bisher verordneten Corona-Maßnahmen für richtig, warnen aber vor einer längerfristigen Aufrechterhaltung?

    Joachim Bauer: Akut geht es um die Verhinderung einer zu schnellen Ausbreitung des Coronavirus. Es soll vermieden werden, dass es zu einer Überlastung unseres Gesundheitssystems kommt. Insofern halte ich die Kontaktsperre und die Ausgangsbeschränkungen als Sofortmaßnahme für richtig. Je länger diese Maßnahmen allerdings aufrecht erhalten werden, desto mehr werden sich auch ernste Nebenwirkungen zeigen.

    Was meinen Sie mit Nebenwirkungen?

    Bauer: Mehr als vier Wochen halten die meisten Menschen das psychisch nicht durch. Zwischenmenschliche Nähe ist, wenn sie einem Menschen nicht aufgezwungen wird, eine der stärksten heilsamen Drogen. Die Folgen einer Kontaktsperre wären sozialpsychologisch verheerend.

    In Zeiten der Isolation, könnte sich die Sterblichkeit erhöhen

    Von welchen Folgen sprechen Sie?

    Bauer: Soziale Isolation führt beim Menschen zu psychischen Störungen. Typischerweise beobachten wir Angstsymptome, depressive Symptome und eine Zunahme von Reizbarkeit und Aggressivität. Sozialbehörden zum Beispiel verzeichnen bereits jetzt eine erkennbare Zunahme an häuslicher Gewalt.

    Kontaktverbote machen dem Menschen also vor allem psychisch zu schaffen?

    Bauer: Nicht nur. Keinen Kontakt zu anderen Menschen zu haben, ist nicht nur für die Psyche schwierig, die Folgen betreffen auch den ganzen Körper. Menschen sind von ihren neurobiologischen Konstruktionsmerkmalen her auf soziale Kontakte angewiesen. Mit anderen Menschen zusammen sein zu können und Gemeinschaft zu erleben, ist mehr als nur ein Spaßfaktor. Wenn Menschen über längere Zeit sozial isoliert werden – was in Zeiten der Coronakrise ja durchaus passieren könnte –, dann treten in wichtigen biologischen Systemen des Körpers Störungen auf, die nicht nur das Risiko von Erkrankungen, sondern sogar die Sterblichkeit erhöhen können. Wissenschaftliche Studien zeigen sogar, dass soziale Isolation das Herz-Kreislauf-System belastet, das Immunsystem schwächt und zu schweren Schlafstörungen führen kann.

    Wenn der soziale Kontakt ausbleibt, steigt das Demenz-Risiko

    Was macht zwischenmenschliche Nähe mit uns?

    Bauer: Lebensmut zu haben, die Kraft in sich zu spüren, jeden Tag wieder aufs Neue zu meistern – das sind keine Heiße-Luft-Psycho- Faktoren, wie manche glauben. Lebensmut und Lebenswille haben eine neurobiologische Grundlage. Unsere psychische Lebenskraft ist abhängig davon, dass das sogenannten Motivationssystem des Gehirns bestimmte Botenstoffe ausschüttet. Zu einer Aktivierung dieses Motivationssystems kommt es jedoch nur dann, wenn Menschen sozialen Kontakt miteinander haben. Wenn dieser Kontakt jedoch ausbleibt, fahren die Motivationssysteme herunter.

    Welche Symptome können auftreten, wenn man unter fehlender menschlicher Nähe leidet?

    Bauer: Wissenschaftliche Studien zeigen eine Zunahme von verschiedenen körperlichen Beschwerden. Vor allem Schmerzen, Schlafstörungen, Angstsymptome, Depressivität und Aggressivität. Bei älteren Menschen erhöht sich bei sozialer Isolation zudem das Risiko, kognitiv abzubauen und eine Demenz zu entwickeln.

    Und deshalb warnen Sie auch davor, dass die Beschränkungen für die Bevölkerung während der Coronakrise zu lange dauern könnten...

    Bauer: Die derzeit gültigen Maßnahmen führen für viele Menschen in einen Zustand, in dem das Leben auf null gedreht wird. Wir müssen aufpassen, dass wir aus lauter Angst vor dem Coronavirus uns nicht vorsichtshalber mehr Schaden zufügen als die Erkrankung, vor der wir uns fürchten.

    Was kann man tun, um sich in dieser Situation selbst zu helfen?

    Bauer: Solange Menschen, die alt sind, alleine zu Hause oder in Heimen leben, derzeit keinen Besuch empfangen dürfen, ist die Lage für sie praktisch ausweglos. Für die Jüngeren gibt es Möglichkeiten, über die digitalen Medien miteinander Kontakt zu halten. Auf Dauer ist aber auch das kein echter Ersatz, und das spüren auch alle. Daher müssen wir diese ganzen Beschränkungen bald wieder lockern.

    Joachim Bauer ist Professor für Psychoneuroimmunologie sowie Facharzt für Innere Medizin und für Psychiatrie aus Berlin.Buchtipp: "Joachim Bauer: Wie wir werden, wer wir sind". Blessing Verlag, 256 Seiten, 22 Euro.

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