Wie kommt das Sperma zur Eizelle? Die erfolgreiche Reise von Spermien zur weiblichen Eizelle ist ein nicht gänzlich gelöstes Rätsel. Klar ist: Nur wenige von Millionen kommen durch. Jahrelang behauptete sich die These vom "Maiglöckchen-Phänomen": Demzufolge sollen die männlichen Spermien auf ihrem Schwimmweg zur Befruchtung der Eizelle von Düften geleitet werden. Damit räumen nun Wissenschaftler aus Bonn und Jülich in einer Studie auf: Spermien können nicht riechen, verkünden sie.
Die Forschergruppe kam zu dem Ergebnis, dass die These vom "Maiglöckchenduft" wohl nur ein Laborphänomen sei. "Spermien funktionieren nicht wie Riechzellen in der Nase", erklärt der Leiter der Studie, der Bonner Max-Planck-Wissenschaftler Timo Strünker, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Es gebe auch keine Hinweise auf einen betörenden Duft von Eizellen. "Bisher hat man weder Maiglöckchenduft noch irgendeinen anderen Duftstoff im weiblichen Genitaltrakt gefunden oder nachweisen können."
Spermien und Eizelle: Die Befruchtung ist chemisch gesteuert
Dennoch sei die Befruchtung keine Zufallsbegegnung, sondern chemisch gesteuert. Bereits seit den 80er Jahren weiß die Wissenschaft, dass die Eizelle, beziehungsweise sie umgebende Zellen, sehr große Mengen des weiblichen Sexualhormons Progesteron in den Eileiter aussenden. Unter Laborbedingungen wurde gezeigt, dass die Spermien bereits von geringen Mengen des Progesterons angelockt werden. Das geruchlose Progesteron fungiert also als Lockstoff und Spermien folgen diesem chemischen Lockreiz zur Befruchtung der Eizelle.
Die neue Studie wurde von Wissenschaftlern des Bonner Forschungszentrums caesar (assoziiert mit der Max-Planck-Gesellschaft) in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern des Forschungszentrums Jülich erarbeitet. Die Navigation der Spermien auf ihrem riskanten Weg über Muttermund, Gebärmutter und Eileiter und vor allem bis zur reifen Eizelle ist bisher noch nicht in allen Facetten erforscht.
Spermien haben hochempfindliche eigene Sensoren
In einer früheren Studie (veröffentlicht im März 2011 in "Nature") hatten Bonner caesar-Forscher vor einem Jahr bereits dargelegt, dass Spermien mittels hochempfindlicher eigener Sensoren das Progesteron entdecken und so gelenkt werden. Das Progesteron aktiviert und öffnet die sogenannten CatSper-Ionenkanäle und es strömt Kalzium in die Spermien-Zelle, was höchstwahrscheinlich wiederum die Steuerungsaktivität anregt. Die neuen Forschungsergebnisse zeigen, dass die Spermien mit ihren CatSper-Kanälen das chemische Milieu im Eileiter "auslesen" können und so womöglich die Eizelle aufspüren.
Die angezweifelte Duft-These geht auf eine Studie deutscher und amerikanischer Wissenschaftler aus dem Jahr 2003 zurück (veröffentlicht im Fachjournal "Science"). Danach greift Bourgeonal, ein Bestandteil des Maiglöckchenduftes, in den Kalziumhaushalt der Spermien ein und lockt sie an. Danach folgen Spermien angeblich den von Eizellen ausgelegten Duftfährten.
Maiglöckchen-These beruht wohl auf einem Labor-Artefakt
Im Labor könne zwar Maiglöckchenduftwirkung beobachtet werden, erklärt Strünker. Dieser Duft imitiere unter Laborbedingungen aber lediglich die Progesteronwirkung. Dabei wirkten die Duftstoffe nur bei einer Überdosis, wie sie im menschlichen Organismus nicht vorkomme - erst bei mehr als 1000fach höheren Konzentrationen als Progesteron. Das "Maiglöckchen-Phänomen" beruhe daher wohl auf einem "Labor-Artefakt". AZ, dpa