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Psychische Erkrankungen: Burnout-Experte: "Alles wird schneller, intensiver, komplexer"

Psychische Erkrankungen

Burnout-Experte: "Alles wird schneller, intensiver, komplexer"

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    "Klare diagnostische Kriterien, zumal um Burnout gegenüber Depressionen abzugrenzen, gibt es nicht", sagt Dr. Andreas Hillert.
    "Klare diagnostische Kriterien, zumal um Burnout gegenüber Depressionen abzugrenzen, gibt es nicht", sagt Dr. Andreas Hillert. Foto: Oliver Berg, dpa

    Im ersten Halbjahr 2014 gingen 16 Prozent aller Fehltage am Arbeitsplatz auf psychische Erkrankungen zurück. Der Diözesane Ärztetag im Erzbistum München-Freising beschäftigt sich an diesem Samstag mit dem Thema Burnout. Wir sprachen vorab mit dem Festredner, Prof. Dr. Andreas Hillert, Chefarzt der Priener Schön Klinik Roseneck.

    Die Diagnose „Burnout“ gibt es nicht. Wie kann man dieses Syndrom erklären?

    Hillert: Ein „Syndrom“ setzt voraus, dass es Symptome und Kriterien gibt, anhand derer man es objektiv feststellen kann. So gesehen ist Burnout oder „Ausgebrannt“ kein Syndrom, sondern ein Phänomen und zudem ein starker Begriff. Jeder Mensch assoziiert damit spontan eindrucksvolle Bilder. Der Psychotherapeut Herbert Freudenberger, der den Begriff 1974 eingeführt hat, brachte es auf den Punkt: „Wer je ein ausgebranntes Haus gesehen hat, weiß, wie verheerend so etwas ist.“ Betroffene fühlen sich entsprechend. Dabei gibt es Mythen, die wissenschaftlich zwar nicht haltbar sind, aber für die hohe gesellschaftliche Akzeptanz von Burnout wichtig wurden. Etwa die Idee, wonach es nur die Besten, die besonders Engagierten, treffe. Man hat nicht versagt, man ist auch nicht krank, aber man kann nicht mehr. Letzteres ergibt dann einen Ausweg aus Belastungssituationen, denen man sich nicht gewachsen fühlt. Und solche wurden in unserer beschleunigten Gesellschaft, zumal im Arbeitsbereich, immer häufiger.

    Wie ist der medizinische Befund bei Menschen mit Burnout?

    Hillert: Letztlich definiert jeder, der sich von Burnout betroffen fühlt, Burnout selber. Klare diagnostische Kriterien, zumal um Burnout gegenüber Depressionen abzugrenzen, gibt es nicht. Antriebslosigkeit, Kraftlosigkeit, Initiativlosigkeit, körperliche Beschwerden … wer solche Symptome auf Überlastungen zurückführt, wird sich heute wohl spontan als ausgebrannt erleben. Depressionen hingegen sind seelische Erkrankungen, die sich anhand definierter Kriterien diagnostizieren lassen.

    Burnout: Perfektionisten sind häufiger betroffen

    Wer ist betroffen?

    Profis mit Burn-Out oder Depressionen

    Sebastian Deisler: Der Fußballspieler des FC Bayern München ließ sich 2003 wegen anhaltender Depressionen stationär behandeln. 2007 beendete Deisler wegen Verletzungen und dem Druck im Fußball-Geschäft seine Karriere im Alter von 27 Jahren.

    Jan Simak: Der Fußball-Profi galt einst als Wunderknabe. Er wurde von Bayer Leverkusen als Nachfolger von Michael Ballack verpflichtet. Den Erwartungen in ihn wurde Simak allerdings nie gerecht. Er zog sich 2003 - mittlerweile ausgeliehen an Hannover 96 - wegen einem Erschöpfungssyndrom in Verbindung mit schweren Depressionen zurück. Simak hatte auch Probleme mit Alkohol. Seit einem Entzug zeigt Simak wieder passable Leistungen. Momentan spielt er bei Carl Zeiss Jena.

    Gianluigi Buffon: In den Jahren 2003 und 2004 litt der italienische Nationaltorhüter an starken Depressionen. Mittels Therapie zog sich Buffon aus dem Tief.

    Robert Enke: Der Nationaltorhüter und Spieler von Hannover 96 litt seit 2003 an starken Depressionen. Er ließ sich immer wieder therapeutisch behandeln. Einen Erfolg hatte die Behandlung allerdings nicht. Robert Enke nahm sich am 10. November 2009 das Leben.

    Andreas Biermann: Am 20. November 2009 gab der Profi von St. Pauli bekannt, dass er wie Enke an Depressionen leidet und sich stationär behandeln lässt. Biermann hatte im Oktober versucht, sich das Leben zu nehmen. Er überlebte. Mittlerweile spielt der 30-Jährige für den FC Spandau 06, weil St. Pauli seinen Vertrag nicht mehr verlängerte.

    Markus Miller: Der ehemalige FCA-Torhüter gab im September 2011 bekannt, dass er an einem angehenden Burnout leidet. Er will die Krankheit mit Hilfe einer stationären Therapie in den Griff bekommen. Miller setzte bewusst die Öffentlichkeit über seine Krankheit in Kenntnis.

    Ralf Rangnick: Der Fußball-Trainer von Schalke 04 legte am 22. September 2011 seine Arbeit beim Bundesligisten nieder. Rangnick äußerte sich in der Öffentlichkeit, dass er momentan nicht die Kraft für eine solche Aufgabe hat. Rangnick zieht sich mit einem Erschöpfungssyndrom aus dem aktiven Profi-Geschäft zurück.

    Sven Hannawald: Der ehemalige Olympia-Sieger im Skisprung beendete im Jahr 2005 seine aktive Karriere. Ein Jahr zuvor begab sich die damalige Nummer eins im Skisport in stationäre Behandlung wegen eines Burnout-Syndroms. Nach erfolgreicher Therapie wendete sich Hannawald vom aktiven Leistungssport ab.

    Florian Mayer: Der Profi-Tennisspieler legte im Jahr 2008 eine sechsmonatige Pause vom Profi-Sport ein. Erst im Jahr 2011 gab Mayer bekannt, dass er sich in dieser Zeit in einem tiefen mentalen Loch befand. Mittlerweile hat Mayer aber seinen Burnout überwunden und ist ins Profi-Tennis zurückgekehrt.

    Hillert: Früher ging man davon aus, dass es nur in Sozialberufen tätige Menschen treffe, später galt Burnout als Lehrerkrankheit. Heute dürfte es keine Berufsgruppe geben, die sich gegenüber Burnout immun fühlt. Dabei trifft es vorzugsweise Menschen, die hohe Ansprüche an sich selber haben und Probleme eher weniger offensiv angehen. Viele Betroffene berichten von Gratifikationskrisen im Beruf. Sie habe das Gefühl, viel gegeben zu haben und zu wenig dafür zu bekommen, zumal an Anerkennung. Die zugrunde liegenden Bewertungen bleiben letztlich subjektiv. So leidet etwa ein Drittel der Lehramtsstudenten unter Burnout, also bevor eine langfristige Überarbeitung zum Wohle der Schüler stattgefunden haben kann. Die Quote bei im Beruf stehenden Lehrkräften ist vergleichbar hoch. Auch von den Mitarbeitern einer großen Firma, die wir untersucht haben, erlebte sich etwa ein Drittel als ausgebrannt. Hiervon erfüllt allerdings nur jeder Siebte auch die Kriterien einer Depression. Das heißt, die meisten Menschen, die sich ausgebrannt fühlen, sind – erfreulicherweise – nicht krank.

    Burnout ist ein Stück weit ja auch ein gesellschaftliches Phänomen. Was müsste sich ändern?

    Hillert: Burnout ist ein Phänomen einerseits der Beschleunigungs- und andererseits der Wohlstandsgesellschaft. Alles wird schneller, intensiver, komplexer, bei gleichzeitig abnehmenden Sicherheiten. Entsprechend wächst der Druck in der Arbeitswelt. Sich angesichts dessen ausgebrannt zu fühlen ist so gesehen ein Stück weit eine normale Reaktion. Um aus diesem Dilemma heraus zu kommen, müsste sich der Druck verringern. Angesichts der globalen Dimensionen, in denen wir uns bewegen, ist das letztlich wohl utopisch. Was nicht heißt, dass es im Kleinen keine Verbesserungen geben kann, wertschätzende Führungskräfte, die unter anderem für möglichst ungestörte Arbeitsabläufe sorgen, weniger E-Mails …

    Burnout: "Am Stressmanagement führt kein Weg vorbei"

    Wie kann man vorbeugen?

    Hillert: Am Thema Stressmanagement führt kein Weg vorbei. Menschen werden lernen müssen, kompetenter und somit entspannter mit Stress umzugehen. Von Achtsamkeit über Entspannungstechniken, vom Training sozialer Kompetenzen im Umgang mit Konflikten bis zu Supervisionen gibt es hier eine ganze Menge Angebote und Möglichkeiten. Zudem: Menschen, die in stabilen sozialen Beziehungen leben und über das Tagesgeschäft hinaus einen Sinn in ihrem Leben sehen, sind deutlich weniger Burnout-gefährdet.

    Und was kann man tun, wenn das Haus schon ausgebrannt ist?

    Hillert: Dann stellt sich die Frage: Fühle ich mich ausgebrannt und/oder bin ich psychisch krank? Eine Erkrankung kann und muss als solche angemessen behandelt werden, wobei auch der Stellenwert und der Umgang mit beruflichen Belastungen therapeutisch bearbeitet werden sollte. Wenn ich mich ausgebrannt fühle, aber psychisch nicht krank bin, dann ist das ein deutlicher Hinweis auf eine Diskrepanz zwischen meiner Erwartung und den Arbeitsanforderungen bzw. Arbeitsbedingungen. Eben diese Diskrepanz gilt es aufzulösen, idealerweise indem ich reflektiere, was mich in meinen Mustern hält und meine Möglichkeiten erweitere. Spätestens wenn die Situation objektiv unerträglich ist, was leider nicht selten ist, dann gilt es Veränderungsmöglichkeiten, bis hin zur Kündigung, auszuloten.

    Interview: Karin Seibold

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