Steigende Wassertemperaturen können laut einer Studie für Bodensee-Felchen bestandsbedrohend sein. Mit den Temperaturen steigt auch die Sterblichkeit der Fischlarven, wie Biologen der Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg in Langenargen und der Universität Konstanz nun nachweisen konnten. Dafür untersuchten sie die Entwicklung von Eiern und Larven der Blaufelchen in unterschiedlichen Wassertemperaturen. "Die Resultate geben wenig Anlass zur Entwarnung", teilten die Forscherinnen und Forscher mit.
Felchen schlüpfen zu früh
Die Larven der Kälte-liebenden Felchen würden bei höheren Temperaturen deutlich früher schlüpfen - "also nicht wie üblich im Februar, sondern vielleicht schon Ende Januar", erklärten die Forscher. Dieser "Frühstart" könne sich als problematisch erweisen, weil zu diesem Zeitpunkt meist noch nicht ausreichend Futterorganismen vorhanden seien. "Außerdem konnte eine höhere Sterblichkeit der Eier nachgewiesen werden, da diese bei wärmerem Wasser mit einem höheren Befall von Mikroorganismen zu kämpfen haben."
Für erfolgreich geschlüpfte Larven gehe der Überlebenskampf weiter. Normalerweise seien sie über den Dottersack zunächst gut versorgt, einem kleinen eingebauten Nahrungsvorrat. Doch bei höheren Temperaturen verbrauche sich der Vorrat überproportional schnell – was ebenfalls die Überlebenswahrscheinlichkeit verringere.
Bodensee wird immer wärmer
Im tiefen Wasser, wo sich die Eier der Blaufelchen entwickeln und die Larven schlüpfen, überschreite die Wassertemperaturen schon heute Werte, die ursprünglich erst für das Jahr 2040 prognostiziert worden seien. "Auch im Flachwasser, wo die Gangfische laichen, ist es heute rund ein Grad wärmer als üblich."
Laut einer Auswertung des Seeforschungsinstituts Langenargen lag die Temperatur in der Tiefe im Jahresdurchschnitt 2023 bei 5,4 Grad. Das ist ein neuer Höhepunkt. Zehn Jahre zuvor waren es noch 4,3 Grad. Die Temperatur steigt von Jahr zu Jahr an.
Im Jahr 2022 erreichte die Temperatur in dem Binnengewässer im Jahresdurchschnitt an der Wasseroberfläche einen Höchstwert von 14,1 Grad. Das Seeforschungsinstitut Langenargen der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) misst die Wassertemperatur im See seit 1962. Damals betrug sie im Schnitt noch 10,5 Grad.
Auch für die ausgewachsenen Felchen wird befürchtet, dass diese im Sommer, wenn sie normalerweise Wasserflöhe in den lichtdurchfluteten Bereichen an der Seeoberfläche fressen, aufgrund des zu stark erwärmten Wassers nicht mehr in diese Bereiche einschwimmen. Dadurch seien sie von ihrer Nahrung getrennt.
Mensch muss nachhelfen
Felchen sind laut den Forschern nicht nur ein Wahrzeichen der Bodenseeregion und eine geschätzte Delikatesse: "Als Leitart des Freiwassers sind sie gleichzeitig von immenser Bedeutung für das Funktionieren und die Widerstandsfähigkeit des gesamten Ökosystems."
Die durch die Klimakrise verursachten Veränderungen erfolgten aus erdgeschichtlicher Sicht so schnell, dass die natürliche Anpassungsfähigkeit oft nicht Schritt halten könne. Deshalb müsse man bei den Felchen nachhelfen. Dies werde durch die gezielte Aufzucht von größeren Besatzlarven versucht, die die kritischen ersten Lebenswochen behütet und kühl in der Zucht "überspringen" und anschließend auch kürzere Hungerphasen vielleicht besser überstehen.
Felchenfangverbot seit Januar
Weil die Felchenerträge seit Jahren zurückgehen, dürfen die Fische seit Januar im Bodensee-Obersee nicht mehr gefangen werden. Im Fangjahr 2023 gingen den Fischern lediglich 9,9 Tonnen ins Netz und damit 94 Prozent weniger als im schon sehr geringen 10-Jahres-Mittel (165 Tonnen). Mit der im Juni 2023 von der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) beschlossenen dreijährigen Schonzeit für Felchen soll sich der Bestand erholen.
Die Gründe für den dramatischen Ertragsrückgang sind vielfältig. Die Felchen finden zum einen weniger Futter, weil der Bodensee wieder nährstoffarm geworden ist. Doch die aktuell größte Rolle spielt Fischexperten zufolge der Stichling. Der kleine silberne Fisch wurde Anfang der 1950er Jahre erstmals im Bodensee nachgewiesen und hat sich nach unauffälligen Jahrzehnten für alle überraschend ab 2012 explosionsartig vermehrt und dominiert heute den größten Lebensraum des Sees, das Freiwasser.
(dpa)