Für die Fachwelt ist es eine Sensation: Erstmals im deutschsprachigen Raum ist das Skelett eines geräderten Mannes aus dem Mittelalter entdeckt worden. Es kam durch Zufall vor der Verlegung der Bundesstraße 189 in Brandenburg ans Tageslicht - zwischen Perleberg und Pritzwalk. Dort verlief einst eine alte Heeresstraße.
"Es ist ein einzigartiger Fund", sagt Jost Auler, Archäologe und Autor mehrerer Bücher über Hinrichtungsstätten. Erstmals konnte untersucht werden, welche Spuren diese brutale Strafe hinterließ. Meist waren die Leichen der Verurteilten zum Teil über Jahre hinweg zur Abschreckung Wind und Wetter ausgesetzt. "Vögel nahmen Knochen weg", sagt Auler, der wegen seiner Forschungsarbeiten auch den Spitznamen "Galgenpapst" trägt.
"Der Geräderte ist eine eindrückliche und erschütternde Quelle unserer Kultur- und Rechtsgeschichte", sagt der Direkter des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum, Franz Schopper. Immer wieder gebe es spektakuläre Funde im Land: etwa 130 000 Jahre alte Feuersteingeräte des Neandertalers im Braunkohlentagebau oder neolithisches Gold im Oderbruch.
"Zunächst war es ganz normaler Grabungsalltag", sagt Archäologin Elisabeth Kirsch. Im Herbst vergangenen Jahres war sie vor Ort. Ein paar Gefäßfragmente, eine Steinaxt und Tonscherben, nichts Spektakuläres für eine jungbronzezeitliche Siedlung aus dem 1. Jahrtausend vor Christus. Dann tauchten deutlich jüngere Skelettreste auf.
Die Arme angewinkelt, die Beine nach hinten gedreht
"Es schockierte das Aussehen, das anatomisch nicht zu erklären war", sagt Anthropologin Bettina Jungklaus, die als Expertin dazu gerufen wurde. Der Tote lag auf dem Rücken, die Arme seitlich nach oben zum Hals angewinkelt, die Beine nach hinten gedreht. Alle längeren Knochen waren zerschlagen, viele nur noch in Teilen erhalten. Mit Hilfe einer eisernen Gürtelschnalle konnte der Fund auf die Zeit zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert datiert werden.
Rädern wurde in zwei Schritten vollzogen. "Zunächst zerschlugen die Henker dem nackten Verurteilten mit einem Wagenrad die Knochen", sagt der Experte für Rechtsgeschichte des Mittelalters von der Universität Bielefeld, Wolfgang Schild. Ziel sei dabei nicht der Tod des Delinquenten gewesen. "Er sollte erst auf dem Rad sterben", sagt er. Das Opfer wurde durch die Speichen geflochten oder festgebunden. Anschließend kam das Rad auf einen Pfahl. Der qualvolle Tod dauerte Tage.
Ein Foto von der Fundstelle mit den unnatürlich verdrehten Knochen des etwa 35 bis 39 Jahre alten Mannes schockiert. Mit Blick auf historische Abbildungen des Geschehens auf dem Richtplatz wird deutlich, wie er leiden musste.
Unterlagen zum Tod des Mannes gibt es nicht
Bei dem Toten von Groß Pankow konnten erstmals die Torturen genau dokumentiert werden. Ein schwerer Schlag hatte ihm beispielsweise das halbe Gesicht weggerissen, wie am lädierten Schädel erkennbar.
Für welche Tat er so martialisch bestraft wurde, ist unklar. Unterlagen zu Urteilen in jener Zeit in der Region fehlen. Bis zur Abschaffung im 18. Jahrhundert wurde die Strafe vor allem bei Mord verhängt, wie der Potsdamer Rechtswissenschaftler Stefan Saar erläutert.
In welcher Nacht- und Nebelaktion der Geräderte von Groß Pankow dann doch unter die Erde kam, ist unklar. Möglicherweise wurde er an einer mobilen Hinrichtungsstätte bestraft. Die Leiche blieb zurück und ein Mitfühlender erbarmte sich.
Die etwa 1000 Knochenteile liegen jetzt sorgsam verpackt in einem simplen Pappkarton. Unter der Bezeichnung "Befund 179" wandert das Skelett nun ins Archiv. Der Tote ist nun nicht mehr ganz anonym. dpa