Die Zahl der HIV-Infizierten und der Neuinfizierten ist 2015 in Deutschland nicht zurückgegangen. Nach den am Montag vom Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin veröffentlichten Zahlen lebten Ende vergangenen Jahres rund 84.700 Menschen in Deutschland mit dem Virus. Etwa 3200 Menschen von ihnen haben sich 2015 neu infiziert.
Dies sei eine "im Vergleich zu vielen anderen Staaten positive Nachricht", erklärte RKI-Präsident Lothar Wieler. Die Zahlen zeigten aber auch: Bei der Vorbeugung darf nicht nachgelassen werden. "Die Empfehlung, Kondome zu verwenden, bleibt Grundpfeiler der HIV-Prävention und hat nichts an Aktualität verloren", hieß es vom RKI. Die Experten sehen HIV und Aids weiter als "Gesundheitsrisiko in Deutschland".
HIV: Zu viele stecken sich mit Aids-Erreger an
Die am stärksten von HIV betroffene Gruppe sind weiterhin Männer, die Sex mit Männern haben - in dieser Gruppe steckten sich geschätzt 2200 Menschen neu an. Diese Zahl gehe seit einigen Jahren aber leicht zurück. Die übrigen Ansteckungen kämen zustande bei heterosexuellem Sex (750 Fälle) und durch verunreinigte Nadeln beim Drogenkonsum (250), so das RKI. 2015 gab es zudem geschätzte 460 Todesfälle bei HIV-Infizierten.
Den Schätzungen zufolge lebten Ende 2015 rund 84.700 Menschen mit HIV in Deutschland, davon 12.600 ohne es zu wissen. Angesichts dieser Zahl müssten die Hürden, sich auf HIV testen zu lassen, abgebaut werden, bilanzieren die Experten. Das Virus drohe ansonsten unabsichtlich weitergegeben zu werden. Mit Spätdiagnosen seien höhere Sterblichkeit und Behandlungskosten verbunden.
Zudem wird angenommen, dass knapp 11.000 Menschen von ihrer Infektion wissen, aber keine Medikamente nehmen, um das Virus im Körper zurückzudrängen. Offenbar gebe es Zugangsbarrieren, die ausgeräumt werden müssten, teilte das RKI mit.
Kampf gegen Aids - Von der ersten Infektion zur effektiven Therapie
1900: Vermutlich um die Jahrhundertwende geht ein HIV-Urtyp (SI-Virus) in Afrika vom Affen auf den Menschen über.
1959: Ärzte entnehmen einem Mann im Kongo eine Blutprobe. Jahrzehnte später wird festgestellt, dass sich darin HIV-Antikörper befinden.
1981: Die US-Gesundheitsbehörden melden, dass immer mehr Homosexuelle unter bis dahin seltenen Infektionen und Hauttumoren leiden.
1982: Krankheitsfälle treten auch bei Drogenabhängigen und Blutern auf. Die Krankheit bekommt den Namen Aids (Acquired Immune Deficiency Syndrome, Erworbenes Immunschwäche-Syndrom). In Deutschland wird die erste Aids-Diagnose gestellt.
1983: Luc Montagnier und seinen Kollegen vom Pasteur-Institut in Paris gelingt es, das Aids-Virus zu isolieren. Der New Yorker Arzt Joseph Sonnabend benutzt erstmals den Begriff "Safer Sex". Auch in Deutschland wird verstärkt über das Thema Aids berichtet.
1984: Robert Gallo entwickelt ein Zellkultursystem und schafft damit die Voraussetzung für die Entwicklung erster Aids-Tests.
1985: Die erste internationale Aids-Konferenz tagt. 27 Millionen deutsche Haushalte bekommen Informationsbroschüren zugeschickt.
1986: Experten bezeichnen den Erreger einheitlich als HIV (Human Immunodeficiency Virus, Humanes Immunschwächevirus).
1987: Das erste Aids-Medikament AZT wird in den USA und wenig später auch in Deutschland zugelassen. Es kann die Virus-Vermehrung etwas bremsen.
1991: Die rote Schleife (Red Ribbon) wird zum internationalen Aids-Symbol. Queen-Sänger Freddie Mercury stirbt an HIV.
1996: Für Aufsehen sorgt die Entdeckung, dass einige Menschen eine genetisch bedingte, wenn auch nicht vollständige HIV-Resistenz haben.
1999: Schweizer Ärzte haben außergewöhnlichen Erfolg mit einer Hochdosis-Kombinationstherapie aus mehreren Medikamenten (HAART), in der Folge wird diese Strategie zur Standardbehandlung.
2002: Der Globale Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria wird zur Finanzierung nationaler Maßnahmen gegen diese Krankheiten gegründet.
2003: Mit dem Fusionshemmer Enfuvirtid (Handelsname Fuzeon) kommt in den USA und der EU eine vierte Klasse von Aids-Medikamenten auf den Markt, nach den sogenannten Nukleosiden, Protease-Hemmern und Transkriptase-Hemmern.
2008: Luc Montagnier wird gemeinsam mit Françoise Barré-Sinoussi für die Entdeckung von HIV der Medizin-Nobelpreis verliehen.
2010: Barack Obama hebt das in den USA seit 1987 geltende Einreiseverbot für HIV-Positive auf.
2014: Bei dem zunächst als "funktionell geheilt" geltenden "Mississippi-Baby" entdecken Ärzte erneut das HI-Virus. Das Mädchen war kurz nach der Geburt mit drei Medikamenten behandelt worden, nach einem halben Jahr entzog es die Mutter einer weiteren Therapie. Monate später war das Kind dennoch virenfrei gewesen. Dies bezeichneten Mediziner als Sensation - bis der Erreger doch wieder auftauchte.
2016: Die Vereinten Nationen sprechen von einem Wendepunkt der Aids-Epidemie in Afrika. Zum ersten Mal würden auf dem Kontinent mehr Betroffene behandelt als sich neu infizieren.
Auch die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) sieht Nachbesserungsbedarf. Die Zahlen könnten noch niedriger sein, erklärte Sylvia Urban vom DAH-Vorstand in einer Reaktion auf die neuen Daten. "Denn zurzeit sind einige hochwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von HIV-Infektionen in Deutschland nicht zugänglich." Dazu gehöre die sogenannte Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP), bei der HIV-Medikamente vorbeugend eingenommen werden. Zwar sei sie in Deutschland inzwischen verschreibungsfähig, doch für die Finanzierung gebe es bisher keine Lösung - bei Kosten von über 800 Euro pro Monat. "Die Folge sind vermeidbare HIV-Infektionen."
HIV und Aids: Infektionsgefahr durch unsaubere Spritzen
Ein weiterer Punkt sei die Verfügbarkeit von sauberen Spritzen für Drogenkonsumenten. "In deutschen Haftanstalten sind bisher keine sauberen Spritzen verfügbar", hieß es. "Menschen mit einem drastisch erhöhten Infektionsrisiko die Schutzmaßnahmen zu entziehen, ist irrational und hoch gefährlich", erklärte Urban. Ausgebaut werden müssten demnach auch die Angebote für freiwillige und anonyme HIV-Tests, insbesondere für schwule und bisexuelle Männer, Drogenkonsumenten und Migranten. Leiter der HIV-Forschung in Essen: "HIV lässt sich ausrotten"
Die Schätzung der Zahl der HIV-Neuinfektionen erfolgt beim RKI in jedem Jahr neu. Die RKI-Schätzungen anhand von Modellrechnungen zu neuen Infektionen sind nicht zu verwechseln mit der Zahl der Neudiagnosen, bei denen HIV tatsächlich festgestellt wird. Das passiert in der Regel später, da HIV über viele Jahre keine auffälligen Beschwerden verursacht. Das Humane Immunschwächevirus (HIV) ist die Ursache für die Immunschwächekrankheit Aids. (dpa/epd)