Während einer Autofahrt mit 60 Kilometern pro Stunde hört man den Satz „Öffnen Sie bitte mal die Tür!“ für gewöhnlich nie. Bei einer Produktpräsentation der ZF Lifetec, eine im März aus dem Technologiekonzern ZF Friedrichshafen ausgegliederte Sparte, aber schon: Das neue Unternehmen hat auf dem ehemaligen Fliegerhorst im oberbayerischen Penzing vorgestellt, wie die von ihr entwickelten Sicherheitssysteme der Zukunft in Autos aussehen und was sie leisten können. Im Mittelpunkt stehen bessere Airbags, neuartige Lenkräder und Systeme, die unter anderem Frauen und Kinder deutlich besser schützen sollen, als dies bislang der Fall ist. Das Unternehmen hat guten Grund, seine Innovationen zu präsentieren, denn bald könnte es zum Verkauf stehen, wie das Manager Magazin berichtet. Auch ein Börsengang ist eine Option.
Der Mutterkonzern ZF Friedrichshafen ist derzeit im Umbruch. Der drittgrößte Auto-Zulieferer der Welt hat deshalb beschlossen, in den nächsten zwei Jahren rund sechs Milliarden Euro an Kosten einzusparen. Aus diesem Grund hat man die Sparte "Passive Sicherheitstechnik" ausgelagert. Sie firmiert seit März unter dem Namen ZF Lifetec. Für das Unternehmen arbeiten weltweit 36.000 Beschäftigte. In der Krise steckt ZF Lifetec mit 4,6 Milliarden Euro Jahresumsatz im Jahr 2023 nicht. Deutsche Standorte gibt es in Alfdorf (Baden-Württemberg), Aschaffenburg, Aschau am Inn (Bayern) und Laage (Mecklenburg-Vorpommern).
Nun aber zurück zur Sicherheitstechnik: Der Standard der bei Crashtests genutzten Dummys ist der sogenannte 50-Perzentil-Mann. Er hat seinen Namen daher, dass er dem Durchschnitt des mitteleuropäischen Mannes entspricht: 1,75 Meter groß und 78 Kilogramm schwer. Nur wer diese Maße aufweist, kann den bestmöglichen Schutz durch den Airbag erwarten, alle anderen müssen Abstriche machen. Hier setzt ZF Lifetec an. Mittels Kamera könnten Größe, Gewicht und Sitzposition ermittelt und der Airbag, entsprechend angepasst, ausgelöst werden, sagt ein Ingenieur bei der Vorführung in Penzing. „Die Werte sind nicht hundertprozentig genau, verringern die Verletzungen aber gegenüber dem derzeitigen Stand um 20 bis 30 Prozent.“
Airbag des Autos löst schon kurz vor dem Unfall aus
Im Fokus stehen auch die Seitenairbags. Achim Hofmann, Leiter der Grundlagenentwicklung, verweist darauf, dass derartige Unfälle zwar insgesamt etwa ein Viertel ausmachten, bei den schweren Unfällen aber die Hälfte. „Wir haben ein System entwickelt, das dank Sensorik und Kameras erkennt, ob es zum Unfall kommt. Der Airbag löst bereits vor der Kollision aus. So ist mehr Zeit, damit sich dieser mehr ausdehnen kann. Der Fahrer wird dann sechs Zentimeter in Richtung Mitte geschoben und im Zentrum des Fahrzeugs löst ebenfalls ein Airbag aus.“
Der Frontairbag ist zudem nicht mehr zentral im Lenkrad verbaut, sondern dahinter. Den frei gewordenen Platz nutzt ZF Lifetec für Entertainment- und Assistenzfunktionen des Fahrzeugs. „Der Fahrer muss nicht mehr auf ein Display in der Mitte schauen, sondern kann sich aufs Fahren konzentrieren, während er die Knöpfe am Lenkrad drückt", betont Stark. Die Markteinführung soll vor 2028 erfolgen, so Lutz. Es liefen „gute Gespräche“ mit den Autoherstellern.
Getüftelt wird auch an den Autositzen. In der Sitzfläche einen Airbag zu verbauen, sei bereits möglich, sagt Entwicklungsleiter Harald Lutz. Dieser drücke die Person nach oben und verhindere so, dass das Becken unten durch den Gurt rutscht und es zu Verletzungen an der Wirbelsäule kommt. Mit Blick auf das teilautonome Fahren sei es aber eine Herausforderung, wenn sich Fahrerin oder Fahrer weit zurücklehnten. „Wir haben einen Airbag entwickelt, der bis zu einem Winkel von 45 Grad bei der Sitzlehne funktioniert. Was darüber hinaus geht, ist aktuell noch schwierig“, erklärt Lutz. In normaler Fahrposition beträgt der Winkel etwa 20 Grad.
Das Thema Airbag macht bei ZF Lifetec immerhin 43 Prozent des Umsatzes aus. Die anderen großen Bereiche sind Sicherheitsgurte und Lenkräder. „Wir haben in der Branche für Sicherheitstechnik im Autoverkehr einen Marktanteil von über 20 Prozent“, so Stark. Er erwartet heuer ein Wachstum von vier Prozent. „Der weltweite Automarkt wird wohl um ein Prozent wachsen, daran sieht man das Potenzial unserer Branche.“
ZF Lifetec entwickelt beheizbare Gurte für Fahrzeuge
Während der Probefahrt auf dem Fliegerhorst in Penzing wird auch deutlich, wie sich die Technik bei den Gurten weiterentwickelt hat. Nach dem Öffnen der Autotür während der Fahrt wird der Gurt automatisch deutlich straffer, drückt auf den Brustkorb und fängt zudem an zu vibrieren. Nach dem Schließen der Tür ist dann alles wieder normal. Und der Gurt kann noch mehr. Dieser ist beheizbar und erreicht innerhalb von zwei Minuten 40 Grad.
Harald Lutz gibt für die Firma ein klares Ziel aus: „Wir wollen vom Zulieferer zum Partner der Automobilindustrie werden und gemeinsam Neuerungen entwickeln.“