Sie arbeiten in der Gastronomie, im Friseurhandwerk, fahren Taxi: In Deutschland waren im Jahr 2020 vier Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor tätig - und trotz politischer Beteuerungen verharrt die Zahl derer, die trotz Vollzeitjob die Niedriglohnschwelle nicht überschreiten, seit Jahren auf einem hohen Niveau. 2020 verdienten insgesamt 18,7 Prozent der Beschäftigten (ohne Auszubildende) weniger als 2.284 Euro im Monat, 2019 waren es 18,8 Prozent. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei vor.
Mit diesen Zahlen liegt Deutschland auch im europäischen Vergleich über dem Durchschnitt von 15,3 Prozent. Die meisten Arbeitnehmer mit Niedriglöhnen haben die baltischen Staaten Lettland (23,5 Prozent), Litauen (22,3 Prozent) und Estland (22 Prozent). Deutschland liegt auf Platz sechs. Am wenigsten hat Schweden (3,6 Prozent), gefolgt von Portugal (4 Prozent) und Finnland (5 Prozent).
Im Osten Deutschlands ist die soziale Schieflage besonders ausgeprägt
Besonders groß ist die soziale Schieflage aber im Osten Deutschlands. Hier lag der Anteil der Niedriglöhnerinnen und -löhner mit 29,1 Prozent im Jahr 2020 nahezu doppelt so hoch wie in Westdeutschland (16,4 Prozent). In den östlichen Bundesländern schneiden am schlechtesten ab: Mecklenburg-Vorpommern (34,2 Prozent), Thüringen (32,9 Prozent) und Sachsen (32,6 Prozent). Hinzu kommt: In Ostdeutschland liegt die Niedriglohnschwelle sogar bei nur 1927 Euro, im Westen bei 2360 Euro.
In Bayern ist der Niedriglohnsektor vor allem im Regierungsbezirk Oberfranken verbreitet - das ehemalige Zonenrandgebiet gilt bis heute als eher strukturschwache Region. 21,2 Prozent der Vollzeitbeschäftigten arbeiten hier für weniger als 2284 Euro im Monat. Nirgendwo in Bayern arbeiten prozentual gesehen so viele Menschen im Niedriglohnbereich wie in Hof.
Linkspartei: Der gesetzliche Mindestlohn ist zu niedrig
"Dass der Anteil der zu einem Niedriglohn arbeitenden Beschäftigten unverändert hoch ist, beweist einmal mehr, dass der gesetzliche Mindestlohn viel zu niedrig ist", kritisiert Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag. Aktuell liegt der Mindestlohn bei 9,60 Euro. SPD will mindestens zwölf Euro Mindestlohn, in den Programmen der Union spielt das Thema keine Rolle, die Linke fordert hingegen eine Anhebung auf 13 Euro. "Nur so ist er existenzsichernd und schützt auch in der Rente vor Armut", sagt Ferschl. "Die Lohnentwicklung muss aber insgesamt gestärkt werden." Dazu zählt für die Partei eine stärkere Tarifbindung und die Abschaffung von Hartz IV. "Hartz IV führt dazu, dass Menschen jede Arbeit, und sei sie noch so schlecht bezahlt, annehmen müssen", sagt die Linken-Politikerin.
Besonders dringlich sei das Thema vor dem Hintergrund der Inflation. Die hat im Euroraum im August weiter zugelegt und den höchsten Stand seit fast zehn Jahren erreicht. Die Verbraucherpreise seien gegenüber dem Vorjahr um 3,0 Prozent gestiegen, teilte das Statistikamt Eurostat in dieser Woche mit. In Deutschland kratzt die Inflationsrate inzwischen sogar an der Vier-Prozent-Marke. Besonders stark verteuerte sich im August erneut Energie, die 15,4 Prozent teurer war als ein Jahr zuvor. Lebens- und Genussmittel kosteten 2,0 Prozent mehr als vor einem Jahr. All das sind Kostenstellen, denen sich Privathaushalte kaum entziehen können und die gerade bei Niedriglöhnern ein großes Loch in die Haushaltskasse reißen. Volkswirte rechnen damit, dass die Verbraucherpreise in den nächsten Monaten weiter steigen werden. Inflationsraten von an die fünf Prozent in Deutschland gelten als möglich. Damit drohten, warnt Susanne Ferschl, "insbesondere für Geringverdiener massive Kaufkraft-Verluste".
Niedriglohnsektor: Frauen sind häufiger betroffen als Männer
Besonders häufig werden Niedriglöhne in der Gastronomie bezahlt: 68,9 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten bewegen sich hier im Niedriglohnsektor. Hier ist der Anteil der Betroffenen im Vergleich zum Jahr 2019 (63,4 Prozent) noch einmal gestiegen. Frauen (25,4 Prozent) sind häufiger betroffen als Männer (15,4 Prozent), ebenso wie Ausländerinnen und Ausländer (36,9 Prozent) häufiger als Deutsche (15,9 Prozent). Schwer haben es zudem Menschen ohne Berufsabschluss.
Insgesamt ist auch das Armutsrisiko während der Pandemie gestiegen. Alleinerziehende und ihre Kinder sind einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge in deutlich überproportionalem Ausmaß von finanzieller Armut bedroht. Knapp 43 Prozent aller Ein-Eltern-Familien gelten als einkommensarm. Bei Paar-Familien mit einem Kind sind es neun Prozent, mit zwei Kindern trifft das für elf Prozent zu, bei drei Kindern für 31 Prozent. Obwohl Alleinerziehende meistens erwerbstätig sind, können sie demnach häufig mit ihrem Einkommen für sich und ihre Kinder trotzdem nicht das Existenzminimum sichern.